Vielköpfig

Entwickler von Applikationen für das vernetzte Leben stehen vor einer heterogenen Gerätelandschaft, die ihnen das Leben schwer macht. Forscher haben im EU-Projekt Hydra eine Middleware entwickelt, die alle IP-fähigen Geräte verbinden kann.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Barbara Lange
Inhaltsverzeichnis

Anwendungsbereiche für Embedded-Applikationen gibt es viele, vor allem im Zusammenhang mit „Smart Homes“, der Telemedizin oder dem „Internet der Dinge“, das Objekte aller Art vernetzen und mit dem Internet verbinden will. Bislang ist die Gerätelandschaft jedoch sehr heterogen. Das lässt die Komplexität von Anwendungen steigen, die Produkte mehrerer Hersteller mit unterschiedlichen Zugangstechniken zu einem Gesamtsystem verbinden.

Obendrein hat jedes Embedded-Gerät seine Eigenarten, die es zu berücksichtigen gilt. Hardware- und Energie-Ressourcen sind begrenzt, die Prozessorleistung ist auf das Minimum reduziert. Software für eine Plattform lässt sich nicht ohne Weiteres auf einer anderen wiederverwenden, was den Entwicklungsaufwand weiter erhöht.

Da die abgespeckte Hardware in Embedded-Systemen ein Hindernis bildet, ist es sinnvoll, sich von ihr und den gerätespezifischen Details zu lösen. Diese Abstraktion hat sich das EU-Projekt „Hydra“ vorgenommen. Es arbeitet an einer Middleware, die Entwicklern die Arbeit erleichtert und den Entwicklungszyklus beschleunigt. So sollen Applikationen für „Ambient Intelligence“-Umgebungen schneller auf den Markt kommen können.

Der komplette Projektname drückt aus, worum es geht: „Networked Embedded System Middleware for Heterogeneous Physical Devices“. Mit der auf einer serviceorientierten Architektur aufbauenden Middleware können Entwickler heterogene Geräte in ein Embedded-System integrieren, sofern diese eine Anforderung erfüllen: Sie müssen das Internet-Protokoll (IP) beherrschen.

Hydra organisiert die Kommunikation zwischen den angeschlossenen Geräten über Webservices. Details wie die verwendeten Protokolle oder Hardware-Ressourcen bleiben unter der Abstraktionsschicht verborgen. Jedes physische Gerät oder Subsystem, jeder Sensor oder Aktor ist für die Middleware ein einzelner Webservice, den die Entwickler unabhängig von der darunterliegenden Netztopologie in das Hydra-Netz integrieren können. Die Services sind konform zur Spezifikation der OSGi-Allianz (Open Services Gateway Initiative).

Die Hydra-Middleware fügt sich als zusätzliche Schicht zwischen dem Application Layer und dem physischen Layer ein (Abb. 1).

Der Ansatz trennt die Logik von Applikation und Gerätekommunikation, was das Wiederverwenden der Software erleichtert. Über die syntaktische Beschreibung der Schnittstellen hinaus können Entwickler die Eigenschaften der Geräte semantisch mit Standards wie OWL (Web Ontology Language), OWL-S und SAWSDL (Semantic Annotations for WSDL) beschreiben. Darüber hinaus verbindet Hydra Peer-to-Peer- und Webservice-Techniken.

Technisch gesehen liegt die Hydra-Middleware als zusätzliche Schicht zwischen dem Application Layer und dem Physical Layer. Wie Abbildung 1 zeigt, zählen zur Middleware zahlreiche „Manager“, die zum Beispiel Webservices über das standardisierte Protokoll für Peer-to-Peer-Anwendungen JXTA implementieren („Network Manager“). Der „Application Service Manager“ stellt Programmschnittstellen und Geräteinformationen bereit. Ein „Discovery Manager“ erlaubt es, Geräte in einem Hydra-Netzwerk zu finden. Der „Ontology Manager“ liefert Meta-Informationen über Geräte und löst semantisch auf, welcher Gerätetyp gefunden wurde. Eine detaillierte Beschreibung der Hydra-Architektur ist im Web zu finden.

Das Mitte 2006 gestartete EU-Projekt läuft noch bis Ende Oktober 2010. Zurzeit stehen die Projektpartner vor der Aufgabe, die Middleware als Open Source der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Unter welcher Lizenz das geschehen soll, befand sich bei Redaktionsschluss noch in der Diskussion. Zur Wahl stehen Lizenzen wie die GNU General Public License (GPL), ihre weniger restriktive Schwester, die Lesser General Public License (LGPL), oder die Apache-Lizenz.

Es existieren spezielle Herausforderungen, ein Forschungsprojekt wie Hydra quelloffen zu gestalten, wie aus dem Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) in Sankt Augustin, das das Projekt koordiniert, zu hören war. Leichter wäre es gewesen, die Open-Source-Lizenz am Anfang statt am Ende des Projekts festzulegen und diese Entscheidung während der Laufzeit kontinuierlich zu überprüfen. Denn in der Praxis haben die Projektteilnehmer nicht nach den strengen Riten eines Open-Source-Projektes entwickelt, sondern Code und Bibliotheken mit verschiedenen, einander widersprechenden Lizenzen in das Projekt integriert. Diesen bunten Lizenz-Strauß gilt es nun im Nachhinein aufzuräumen und auszubessern.

Im Laufe des Jahres soll im Entwicklerportal SourceForge die komplette Middleware als Open Source zum Download bereitstehen. Für das Erstellen kommerzieller Hydra-basierter Embedded-Applikationen planen die Projektteilnehmer eine kostenpflichtige Variante. Die ebenfalls im Rahmen von Hydra erstellten Software Development und Device Development Kits (SDK, DDK), mit denen Softwareentwickler Hydra-basierte Applikationen erstellen können, sollen nicht unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlicht werden. Man will sie aber in Entwicklungsumgebungen wie Eclipse integrieren.

Auf der CeBIT 2010 zeigt das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik in Halle 9 (Stand B36) einen Prototypen, mit dem sich Privatanwender den Energieverbrauch elektrischer Geräte wie Lampen, Waschmaschinen oder DVD-Player anschauen und überwachen können, die in einem Hydra-Netz verbunden sind.

Zwischen Stecker und Steckdose jedes Geräts ist ein Adapter namens „Power-Plogg“ des britischen Unternehmens Plogg International geschaltet, der den Stromverbrauch per ZigBee an einen PC funkt. Der Nutzer bekommt zwei Möglichkeiten, sich die Auswertung der Daten anzusehen: auf dem Bildschirm eines PC, der mit der Hydra-Middleware ausgestattet ist, oder über sein Handy.

Auf der CeBIT zeigt Fraunhofer FIT ein Projekt, das Geräte vernetzt und ihren Energieverbrauch zeigt. Dazu genügt es, ein Gerät mit einer Handykamera ins Visier zu nehmen (Abb. 2).

Richtet der Nutzer seine Handykamera auf das Gerät, erscheint der Stromverbrauch auf dem Bild seines mobilen Helfers (siehe Abbildung 2). Die „magische Linse“ vergleicht das Kamerabild mit den auf einem Server gespeicherten Bildern aller Geräte, die aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen und dort hinterlegt wurden. So kann die Applikation den per Funk übermittelten Energiebedarf an das Handy übermitteln. Darüber hinaus kann der Nutzer per Handy Geräte ein- und ausschalten oder Lampen dimmen.

Mit vielfältige Auswertungen und alternativen Szenarien wollen die Projektpartner das Energiebewusstsein im Haus erhöhen. So können sich Nutzer zum Beispiel Kosten und Verbrauch von Glühbirnen und Energiesparlampen anzeigen lassen oder prüfen, ob das Abspielen von DVDs auf einer Playstation mehr Energie erfordert als auf einem DVD-Player. Darüber hinaus kann das System die in Zukunft zu erwartenden tageszeitabhängigen Strompreise in die Kalkulation einbeziehen.

Letztlich ist das CeBIT-Projekt aber nur ein Beispiel für die Einsatzmöglichkeiten der Middleware. Im Laufe der Projektjahre entstanden mehrere Prototypen, auch für andere Segmente. Eine Anwendung aus dem Bereich Gebäudemanagement informiert den Bewohner per SMS, wenn die Heizung nicht funktioniert. Er kann dann eine Wartungsfirma verständigen, die über einen per Handy übermittelten zeitlich begrenzten Schlüssel einen Zugang zum Haus erhält. Auf der CeBIT 2009 war ein Hydra-Netz mit medizinischen Geräten zu sehen, das Gesundheitsdaten von Patienten zu Hause überwacht, sie bei vergessenen Messungen von Gesundheitsdaten erinnert und gegebenenfalls den Arzt informiert, der wiederum einen Pflegedienst beauftragen kann.

Zurzeit überlegen die Projektteilnehmer, wie sie ihr Thema weiter vertiefen können. Im Gespräch sind Folgeprojekte, die weitere Applikationen für das „Internet der Dinge“ entwickeln sollen, die etwa in der Lebensmittel- und Fertigungsindustrie den Lebenszyklus von Produkten von der Produktion bis zur Entsorgung abbilden.

ist IT-Journalistin und Inhaberin des Redaktionsbüros kurz&einfach in Lengede.

www.ix.de/ix1003094 (mr)