Adorno online, Reemtsma und der Haftbefehl

Die Reemtsma-Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur geht mit aller Härte gegen den Betreiber einer subkulturellen Bücher-Site wegen eines Urheberrechtsverstoßes vor.

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Die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur hat den Erlass eines Haftbefehls gegen den Betreiber einer subkulturellen Bücher-Site beantragt. Auslöser des mit harten Bandagen geführten Rechtsstreits war das Auftauchen zweier Texte von Theodor W. Adorno auf der Site textz.com. Die Werke "Jargon der Eigentlichkeit" und "Anti-Semitism and Fascist Propaganda" standen in der subkulturellen Online-Bücherecke monatelang zum freien Download zur Verfügung. Die Stiftung, die Jan Philipp Reemtsma ins Leben gerufen hat, sah sich dadurch in den Verwertungsrechten verletzt, die sie für beide Texte innehat. Sebastian Lütgert, der Administrator der Untergrund-Site, steht mit einem Bein im Gefängnis.

Der Berliner findet die Sache nur noch "absurd", da es sich seiner Ansicht nach bei textz.com "nicht um einen gewerblichen Vertrieb für raubkopierte Literatur handelt, sondern um ein kollektiv betriebenes Forschungsprojekt". Auf der Domain komme vor allem eine "künstlerische Arbeit" zum Tragen, was sich laut Lütgers selbst "bei einer oberflächlichen Betrachtung" ergebe. Wer immer die beanstandeten Textdateien abgelegt habe, nehme "außer der Freiheit der Kunst" nichts für sich in Anspruch. "Er oder sie trübt nicht einmal hinter dem Komma die Bilanz eines Verlegers, verursacht weder materiell noch immateriell einem Eigentümer Schaden und gefährdet in keiner Weise die Integrität anderer, privater oder öffentlicher Archive", versuchte der Programmierer dem Erben des Tabakkonzerns in einem Brief Mitte Januar klar zu machen. Zudem seien die Gesammelten Werke Adornos im Netz längst an anderen Stellen digital verfügbar.

In Hamburg stießen die Einwände Lütgerts bislang nicht auf offene Ohren. Der Haftbefehl wurde zwar bis 23. Februar ausgesetzt. Doch der Berliner Netzaktivist soll auf jeden Fall rund 2300 Euro zahlen für eine von ihm verlangte Unterlassungserklärung und die dafür entstandenen Kosten der Hamburger Kanzlei Senfft, Kersten, Voss-Andreae & Schwenn. Sie vertritt die Reemtsma-Stiftung. Lütgert hat die inkriminierten Dateien längst unzugänglich gemacht. Er betrachtet den "Fall" nicht als seine Privatsache und sieht sich zudem außer Stande, die geforderte Summe zu zahlen. Es sei höchstens denkbar, erklärte der Gesuchte gegenüber heise online, das Geld in Raten bis zum Jahr 2039 abzuzahlen, in dem die Urheberrechte an beiden Stücken verfallen. "Das wären knapp sechs Euro im Monat", rechnet Lütgert vor, "wenn die Stiftung auf Zinsen verzichtet." Andernfalls würde er sich gezwungen sehen, an die Spendenwilligkeit der Nutzer zu appellieren.

Dass der Streit derart verfahren ist, liegt an der Tatsache, dass sich Lütgert nach eigenen Angaben zum Zeitpunkt der ersten Abmahnungen längere Zeit in New York aufhielt. So verpasste er auch eine mit Dringlichkeitsvermerk angesetzte Anhörung am Hamburger Landgericht, die bereits im August 2002 stattfand. Reemtsmas Anwaltskanzlei hält den Haftbefehl nun für gerechtfertigt. Sie wirft Lütgert vor, es "trotz zahlreicher Zahlungsaufforderungen seit über einem Jahr nicht für nötig befunden [zu] haben, sich zu Ihren rechtswidrigen Handlungen und den dadurch verursachten Schaden zu erklären". Man habe zum "letzten Mittel" gegriffen, um die Vermögensverhältnisse des Schuldners zu ermitteln.

Der Künstler, der langfristige Verwertungsrechte als eines der Haupthindernisse auf dem Weg in die Wissensgesellschaft betrachtet, verweist dagegen auf die besondere Ironie der Angelegenheit. "Mir scheint, als ließen sich gerade in den Schriften, über die wir streiten, Hinweise darauf finden, dass ihr Verfasser nicht im Sinn hatte, mit seinem Werk geistigen Besitz zu schaffen, der von seinen späteren Eigentümern vor Deutschen Landgerichten gegen ein Weiterleben in den Künsten einklagbar sein sollte", schrieb Lütgert an Reemtsma und bat gleichzeitig um ein Stipendium in Höhe der im Raum stehenden Forderung. Adorno hätte es sicher nicht für gut befunden, dass im Namen des "geistigen Eigentums" inzwischen "Tag für Tag Enteignungen vollzogen, Grundrechte außer Kraft gesetzt und handfeste Verbrechen begangen werden." Frühere Beanstandungen der Site durch Verwerter, wie etwa 2002 im Fall Suhrkamp, hätten sich auch außergerichtlich beilegen lassen.

Die Anwälte der Stiftung sind trotzdem weiter der Auffassung, dass die Pflege des Werks Adornos nicht "in Form von unberechtigten Raubkopien und durch das Internet" möglich sei. Es bleibe wissenschaftlichen Interessierten ja unbenommen, "die Werke kostenfrei in den Staatsbibliotheken auszuleihen". Zudem könne jeder daraus gemäß der urheberrechtlichen Bestimmungen zitieren. (Stefan Krempl) / (jk)