Das Treppen-Problem

Der Mensch fliegt ins All und taucht in die Tiefen der Meere. Doch Treppen daheim stellen für Gehbehinderte noch immer schier unüberwindbare Hindernisse dar. Trotzdem hält sich das Angebot an Produkten in Grenzen - auch in Japan.

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Von
  • Martin Kölling

Manchmal hält die Technik-Berichterstattung aus Japan Überraschungen bereit. Kürzlich erhielt ich einen Anruf von einem Rentnerehepaar aus Deutschland, das mich bat, nach einem treppengängigen Rollstuhl zu suchen. Die in Deutschland erhältlichen Produkte zur Stufenüberwindung kämen in ihrem Fall nicht in Frage, weil sie einen Lift nicht installieren dürften und die Treppe für andere Rollstuhlsysteme zu schmal sei. Aber ein Bekannter hätte da was im Fernsehen aus Japan gesehen.

Ich stürzte mich dankbar auf die Aufgabe, da ich mich in den vergangenen Wochen ohnehin gerade verstärkt mit dem Thema "Technik in der Pflege" beschäftige. Mein Fazit vorweg (vielleicht schaffe ich es mit diesem Satz ja in den Hohlspiegel vom "Spiegel"): Barrieren bleiben Hindernisse.

Erst kürzlich war ich auf einem Altenpflegekongress in Tokio, auf dem auch Robotertechnik vorgestellt wurde: Ein Rollstuhl mit omnidirektionalen Rädern und computerisiertem Schiebeassistenten beispielsweise. Treppensteigen kann der zugegebener Maßen zwar nicht, aber er lässt sich immerhin auch seitwärts schieben. Und er erkennt, in welche Richtung er von einer Hilfsperson geschoben wird und hilft dann mit seinem Elektromotor mit. Das System ist so feinfühlig, dass es sogar auf leichten Fingerdruck reagiert. Beeindruckend.

Eine Treppensteighilfe gab es allerdings auch – nebenan auf dem Stand der Hausbaufirma Daiwa House: Die bot den Roboteranzug Hal von Cyberdine feil, der umgeschnallt bedürftige Menschen bei Bewegungen unterstützt. Nur ist das Exoskelett Gehbehinderten, die im Rollstuhl sitzen, keine Hilfe bei der Bewältigung von Treppen.

Dummerweise war damit auf der Messe Schluss, also ging ich im Internet auf die Suche. Und wurde herb enttäuscht. Zu Beginn des Jahrtausends schien es noch jede Menge Pläne gegeben zu haben, darunter einen zweibeinigen Roboter von der Waseda-Universität. Oder einen Rollstuhl, bei dem Front- und Hinterräder durch jeweils ein Räderquartett ersetzt wurden, die den Rollstuhl Stufe um Stufe erklimmen lassen. Aber offenbar hat sich keiner der Träume als Produkt materialisiert.

Dafür fand ich zwei sackkarrenähnliche Helfer, die einen Rollstuhl langsam Stufe für Stufe die Treppen hoch- oder runter hieven (hier und hier). Aber bei denen muss eine Person das Gerät festhalten und nach hinten neigen. Die Idee flößt auf den ersten Blick nicht gerade Vertrauen ein und dürfte sich auch nicht für selbst schon verrentete Helfer eignen.

Am interessantesten schienen mir noch die Raupenkettenuntersätze für Rollstühle der kleinen Firma Sunwa zu sein, die netterweise ihre kleine "Stair Aid"-Flotte auch auf Englisch ins Netz gestellt hat. Das freundliche Motto der Firma lautet: "Designing unique and creative products with dreams". Besonders hat es mir unter diesem Gesichtspunkt "Carrydun" angetan, ein nur 20 Kilogramm schweres Rettungsgerät, mit dem Helfer Gehbehinderte über Treppen evakuieren können. Der Raupenstuhl rollt von der Schwerkraft gezogen über die Stufen nach unten und bremst dabei auf vier Kilometer pro Stunde ab. Der Name ist dabei so kreativ wie das Produkt: Carrydun ist eine Rückübersetzung des in japanischer Silbenschrift geschriebenen englischen "Carry down". "Kyaridan" steht dann da auf Japanisch. Und das "dan" wurde bei der Rückübersetzung ins Englische wiederum lautlich übertragen und zum "dun" (sprich dan). Soweit zur Wortgeschichte.

Aus zufälligen Gesprächen mit einem Kenner der Treppenliftszene erfuhr ich dann, dass der Mangel an Treppen steigenden Produkten einen tieferen Grund hat. In Japan haben es selbst Treppenliftverkäufer schwer, ihre Produkte an Besitzer von mehrstöckigen Eigenheimen zu bringen. Denn viele Menschen ziehen schlicht ins Erdgeschoss, wenn sie die Stufen nicht mehr schaffen. Zugegeben, bestechend einfach und auch viel preiswerter als eines der technischen Hilfsmittel, die ein jedes viele tausend Euro kosten.

Denn: Selbst ein Umzug in eine barrierefreie Bleibe mit einer Umzugsfirma, die alles ein und auspackt, kostet in Japan mit 500 bis 2000 Euro immer noch weniger als Hightechlösungen, die zudem meist noch Helfer zur Bewältigung der Treppen benötigen. Die Kehrseite von so viel preislichem Pragmatismus: Damit wird ein Zukunftsmarkt zerstört. Denn wenn die untechnische Lösung so viel billiger ist als eine mögliche technische, verwundert es kaum, dass es so wenig Produkte gibt. (bsc)