EU-Rat macht sich für grenzenlose Softwarepatente stark

Das Gremium der EU-Nationalstaaten will die Einschränkungen des Europäischen Parlaments bei der Richtlinie über die "Patentierbarkeit Computer-implementierter Erfindungen" wieder zurücknehmen.

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Schneller als erwartet hat der Rat der Europäischen Union unter seiner irischen Präsidentschaft Position zur heftig umstrittenen Frage der Patentierbarkeit von Software bezogen. Das entsprechende Arbeitspapier soll am 2. März von der Ratsgruppe "Geistiges Eigentum" diskutiert werden. Doch schon vorab stößt es auf heftige Kritik von Softwarepatentgegnern wie dem Förderverein für eine Freie Informationellen Infrastruktur (FFII), der das Dokument auf seiner Website kommentiert hat. Grund für die Aufregung: Die Experten des Ministerrats wollen fast alle Grenzen der Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" wieder zurücknehmen, die das Europaparlament nach langen und heftigen Debatten im September beschlossen hatte.

"Gestrichen" oder "umformuliert" ist die Standardformel in den Fußnoten, wenn der neue Text auf die Änderungen der Abgeordneten zu sprechen kommt. Zwar macht der Rat einzelne kleine Zugeständnisse an das Lager der Softwarepatentkritiker: So sollen die Auswirkungen der EU-Gesetzgebung laut Artikel 7 "insbesondere auf die kleinen und mittleren Unternehmen und die Open-Source-Bewegung" hin untersucht werden. Von einem "Kompromiss" könne dennoch keine Rede sein, stemmt sich der FFII gegen die Argumente des Rats. "Es ist, als wenn als Ergebnis einer Diskussion über Tempolimits auf den Straßen nicht nur die Geschwindigkeitsbeschränkungen aufgehoben, sondern auch noch die Gurtpflicht abgeschafft würde", kommentiert der belgische FFII-Sprecher Jonas Maebe die Kehrtwende in Brüssel.

Was den Verband besonders beunruhigt, ist die erneute Entgrenzung der begrifflichen Fassung "computerimplementierter Erfindungen". So soll der "technische Beitrag", der für die Gewährung des staatlich gewährten Monopolschutzes in Form eines Patents eigentlich entscheidend ist, sich nun allein daran bemessen lassen, "inwieweit sich der Gegenstand des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit [...] vom Stand der Technik abhebt." Damit würden sich die Autoren des Rats auf die so genannte Ganzheitslehre berufen, kritisiert Hartmut Pilch vom FFII. Diese gelte in der gesamten aktuellen Fachliteratur jedoch als "indiskutabel", da damit letztlich jeder Schutzanspruch als "technisch" bezeichnet werden könne. Dies beträfe auch die Patentierbarkeit von Geschäftsmethoden, die der Rat -- genauso wie die Kommission und das Parlament -- eigentlich als nicht schutzfähig aus der Richtlinie ausschließen will. Der Kern der bisherigen Patentbestimmungen und der überarbeiteten Richtlinie, wonach die Datenverarbeitung nicht als Gebiet der Technik gilt, gehe damit verloren, warnte Pilch im Gespräch mit heise online. Ein solcher Ansatz verstoße sogar gegen internationale Abkommen wie die TRIPS-Übereinkunft im Rahmen der World Intellectual Property Organization (WIPO), auf die sich die Patentlobby ansonsten so gerne berufe. Eine klare Definition des Technikbegriffs sei in der Richtlinie unerlässlich.

Als Provokation sieht der FFII ferner den Versuch des Rats, Patentansprüche letztlich mit dem wieder entdeckten Artikel 5 (2) auch auf Computerprogramme im Quellcode zu gewähren. Hier befürchteten die Patentgegner vor allem, dass die Publikationsfreiheit von Software drastisch eingeschränkt werden soll. Sie sehen Entwickler und Distributoren von Software ebenso wie andere Informationsmittler wie etwa Internet-Zugangsanbieter damit "direkt den schweren Geschossen der Patentjustiz ausgesetzt", falls sie patentgeschützten Code nur im Netz bereithalten würden. Die Anbieter könnten genauso behandelt werden wie die "Lieferanten von Industriegütern". Der FFII vermisst ferner die vom Parlament eingeführte Interoperabilitätsklausel, die der Monopolisierung technischer Standards entgegenwirken sollte. Zudem würden Patentinhaber dem Rat zufolge nicht mehr angehalten, ihre geschützten Programmtexte im Interesse der Öffentlichkeit zu publizieren.

Die "völlige Begriffsverwirrung", die Pilch in das neue Papier eingewebt sieht, ist nach Ansicht des FFII strategisch angelegt. Es handele sich um ein Signal, erklärte Pilch gegenüber heise online, die Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts und deren weit gefasste Patentierungspraxis als den eigentlichen Maßstab für die Zukunft zu etablieren: "Die Ratsgruppe scheint die Richtlinie insgesamt beerdigen zu wollen". Danach könne Artikel 52 des Europäischen Patentübereinkommens, der bislang Schutzansprüche auf Programme "als solche" zumindest dem Wortlaut nach verbietet, von einer europäischen Regierungskonferenz gestrichen werden. Um dies zu verhindern, wäre es dem FFII am liebsten, wenn neben dem Europaparlament auch die Abgeordneten auf nationaler Ebene bereits jetzt über Entschließungsanträge stärker Einfluss auf den Brüsseler Gesetzgebungsprozess nehmen würden.

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(Stefan Krempl) / (jk)