CDA-Urteil: Eine wegweisende Entscheidung

Am 26.6.

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Von
  • Florian Rötzer

Am 26.6. 1997 hat das oberste Bundesgericht der USA in einer Mehrheitsentscheidung von 7:2 den von der Clinton-Regierung letztes Jahr verabschiedeten Communication Decencey Act, der Minderjährige vor „obszönen" und „offensichtlich anstößigen" Inhalten auf dem Netz durch hohe Strafen (bis zu zwei Jahre Gefängnis und 250000 Dollar Strafe) schützen wollte, als verfassungswidrig bezeichnet.

Der Zusatz zum Telekommunikationsgesetz führte zu einer einzigartigen Protestbewegung im Netz und vereinte die Citizen aller politischen Couleur. Die siegreichen Bürgerrechtler sind, wie Jonathan Wallace, Herausgeber des „Ethical Spectacle" (http://www.spectacle.org), vom Richterspruch begeistert: „Der Gerichtshof hat dem Internet den größtmöglichen Schutz eingeräumt." David Sobel vom Electronic Privacy Information Center begrüßte die Entscheidung, weil das Gericht ganz deutlich das Internet als ein neues Medium anerkannte, dem man nicht die Fesseln der Rundunkgesetze anlegen könne: „Es gibt jetzt wenig Möglichkeiten einer weiteren Regulierung des Internet."

Esther Dyson von EFF sagte, daß die Entscheidung des Gerichts die „Verantwortung für die Kontrolle und den Zugang zur Rede auf dem Netz aus den Händen der Regierung nimmt und sie dorthin zurückgibt, wohin sie gehört: in die Hände der Eltern und anderer Individuen."

Der Richter Stewart Dalzell schrieb in seiner Begründung, daß "jede inhaltsbezogene Regulierung des Internet, wie gut auch ihre Absicht sein mag, das globale Dorf niederbrennen könnte, nur um ein Schwein zu rösten."

Voraus ging dieser Entscheidung die Aufhebung des CDA durch ein Bundesgericht von Philadelphia, das bereits die Verfassungswidrigkeit einer solchen breit angelegten Zensurmaßnahme erklärte. Kläger war eine breite Koalition von Organisationen, Unternehmen und Bürgern, darunter Microsoft, EEF, Apple, ACLU etc (http://www.heise.de/tp/te/1044/fhome.htm). Aufgrund dieses Urteils wurde der CDA bis zur endgültigen Klärung von der Regierung nicht angewandt. Das oberste Bundesgericht folgte in seiner Entscheidung den drei Richtern von Philadelphia. Die verwendeten Begriffe der Obszönität und Anstößigkeit seien zu vage und blieben der subjektiven Willkür ausgeliefert. Vor allem die durch die hohen Strafen möglicherweise eintretende Selbstzensur wurde von den Richtern kritisch angemerkt, da dies zur Einschränkung des Grundrechts auf Redefreiheit führen könnte.

Das Gericht billigte die Intention der Regierung, hält es aber nicht für notwendig, deswegen das Internet zu zensieren. Obwohl obszöne und anstößige Inhalte zugänglich seien, würden die Benutzer nur selten zufällig darauf stoßen. Anders als bei Fernsehen oder Rundfunk erfordert das Erhalten von Informationen aus dem Internet eine Reihe von bewußten Entscheidungen und eine gewiße technische Kenntnis. Anstatt das Internet insgesamt zu zensieren, hält es das Gericht für ausreichend, durch entsprechende Programme bestimmte Sites für Minderjährige zu blockieren - und es fordert dazu auf, geeignete technische Möglichkeiten zu entwickeln.

Besonderen Anstoß nahm das Gericht am CDA, weil die Regierung angab, mit dieser Maßnahme gerade das Wachstum des Internet zu befördern, da obszöne Inhalte die Bürger abschrecken könnte: „Das Interesse an einer Stärkung der freien Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft überwiegt jeden theoretischen, aber unbewiesenen Vorzug der Zensur."

Die Entscheidung des obersten Bundesgerichtshofes enthält die wichtige Einsicht, daß das Internet ein neues Medium ist, das mit anderen Mitteln als die alten reguliert werden muß. Das Urteil wird sich auch auf die Diskussion über Zensur in anderen Ländern auswirken. Präsident Bill Clinton hat jedoch bereits in einer Presseerklärung angekündigt, daß das Urteil genau geprüft werde, weil die Regierung weiterhin daran festhalte, obszöne Inhalte auf dem Internet und in anderen Medien zu verbieten. Er wird eine Runde aus Unternehmensführern und Gruppen, die Lehrer, Eltern und Bibliothekare vertreten, einladen, um zu klären, mit welchen technischen Mitteln und Klassifizierungssystemen die Kinder in Übereinstimmung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt werden können. Die Auseinandersetzung wird also weiter gehen.

AusfĂĽhrlicher in Telepolis (http://www.heise.de/tp/te/1235/fhome.htm) (fr)