Roboter müssen weicher und flexibler werden

Bei den "Schunk Expert Days" diskutierten hundert Teilnehmer über die Zukunft der Robotik und sozial akzeptable Einsatzmöglichkeiten von Robotern. Der Gesundheitssektor ist einer der zentralen Bereiche, in dem die Robotikindustrie Wachstumsimpulse erwartet.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 21 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske

Ein Roboter zur Hilfe in der Pflege: Der Care-O-bot 3 vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung

(Bild: heise online / Hans-Arthur Marsiske)

Was sich mit den Händen so alles anfangen lässt: Man kann zum Beispiel Politiker ohrfeigen. Zu den schönsten Momenten der Expert Days bei der Firma Schunk gehörte sicherlich das Video mit dem Roboterarm, der mit einer ausladenden Bewegung Bundeskanzler Gerhard Schröder nur knapp verfehlt. Dankenswerterweise ließ Referent Sami Haddadin vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) die auf irgendeiner Messe aufgenommene Szene in einer Endlosschleife mehrmals abspielen. Wieviele Teilnehmer der Konferenz im Stillen gehofft haben mögen, dass der am DLR entwickelte Leichtbauarm den Ex-Kanzler doch noch abwatschen möge, ist nicht bekannt.

Neue Wege und Einsatzgebiete für die Robotik (6 Bilder)

Roboterarm mit Kinn-Joystick

Sorin Grigorescu steuert mit einem Kinn-Joystick den Roboterarm, um einen Teller mit einer Mahlzeit in die Mikrowelle zu stellen (Bild: heise online / Hans-Arthur Marsiske)

Die etwa hundert Wissenschaftler und Ingenieure, die in die Firmenzentrale des Herstellers von Spann- und Greiftechnik nach Brackenheim-Hausen bei Heilbronn gekommen waren, wollten ohnehin lieber über sozial akzeptablere Einsatzmöglichkeiten von Robotern sprechen. In Seniorenheimen könnten sie die Arbeit des menschlichen Pflegepersonals erleichtern, schlug etwa Diego Compagna von der Universität Duisburg-Essen vor. Erste Pilotanwendungen des seit November 2008 laufenden Forschungsprojekts sollen in diesem Jahr mit den Robotern Care-O-bot (Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung) und Casero (MLR System GmbH) getestet werden. Noch besser wäre es, räumte Compagna auf Nachfrage ein, die Roboter könnten alten Menschen helfen, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu bleiben.

Der Gesundheitssektor ist einer der zentralen Bereiche, in dem die Robotikindustrie Wachstumsimpulse erwartet. In den USA werden daneben Sicherheit und Produktion als weitere Wachstumssektoren gesehen, sagte Henrik I. Christensen vom Georgia Institute of Technology in Atlanta in seinem Auftaktvortrag. Roboter sollen helfen, die mehr und mehr ins Ausland verlagerte Produktion wieder nach Hause zu bringen.

Das heißt vor allem, neue Produktionsbereiche für den Einsatz von Robotern zu erschließen. Ein großes Thema ist es, die Abhängigkeit von der Automobilindustrie, bislang der Haupttreiber für die Robotikentwicklung, zu reduzieren. Nach recht erfolgreichen Jahren sei das Geschäft 2009 weltweit um 40 Prozent zurückgegangen, erklärte Bischoff. Er differenzierte diesen Rückgang nicht weiter, aber man darf wohl davon ausgehen, dass er überwiegend den Automobilbereich betrifft.

Um so entschlossener zeigte er sich, die Robotik durch eine bessere Vernetzung von Wissenschaft und Industrie voranzubringen. Dem akademischen Netzwerk Euron, vor elf Jahren von Christensen gegründet, hat er dafür das industrielle Netzwerk Europ an die Seite gestellt. Mitte März treffen sich die beiden Forschergemeinschaften zu ihrer ersten gemeinsamen Jahrestagung in San Sebastian. Das dreitägige Programm mit Plenarveranstaltungen und etlichen Workshops erweckt den Eindruck, als trage die Initiative, die auch zu einer größeren Präsenz der Robotik in der allgemeinen Öffentlichkeit beitragen will, erste Früchte.

Als ein Beispiel, wo Verbesserungsbedarf besteht, nannte Bischoff den DLR-Roboterarm. Dabei beklagte er allerdings nicht die fehlende Treffsicherheit beim Politikerabwatschen, sondern die zu lange Transferzeit. Nach zwölf Jahren Entwicklungszeit beim DLR dauerte es noch einmal sechs Jahre, bevor Kuka den Arm vermarkten konnte. 60 Exemplare sind mittlerweile an Universitäten und andere Forschungsinstitutionen geliefert worden, wo der Manipulator in den unterschiedlichsten Konfigurationen zum Einsatz kommt. Mit seinem geringen Gewicht von 14 Kilogramm ist der DLR/Kuka-Arm insbesondere für mobile Anwendungen interessant.

Daneben brachte Gastgeber Schunk im Jahr 2008 ebenfalls einen nur wenige Kilo schwereren Roboterarm auf den Markt sowie einen Greifer mit drei unterschiedlich konfigurierbaren Fingern. Von letzterem wurden bisher 30 Stück zum Preis von 40.000 Euro verkauft, ebenfalls an Forschungslabors, 20 weitere sind bestellt. Vom Schunk-Arm konnten sogar 300 Exemplare abgesetzt werden. Der Einzelpreis hängt ab von der jeweiligen Konfiguration, liegt aber ebenfalls im fünfstelligen Eurobereich – zu teuer für industrielle Anwendungen, aber interessant für Wissenschaftler. Sorin Mihai Grigorescu von der Universität Bremen etwa präsentierte einen Rollstuhl, der seinem Nutzer wenigstens eineinhalb Stunden täglich Unabhängigkeit von menschlicher Hilfe ermöglichen soll. Er verfügt über einen Schunk-Arm mit Greifer, der mithilfe eines Kinn-Joysticks gesteuert werden kann. Mit dem Kinn lenkt der Nutzer allerdings die Bewegungen des Arms nicht direkt, sondern bewegt den Cursor auf einem Monitor und kann darüber verschiedene Befehle aufrufen. In den Pausen zwischen den Vorträgen demonstrierte Grigorescu, wie sich auf diese Weise ein Teller in die Mikrowelle bugsieren lässt. Es geht langsam, manchmal sind auch mehrere Versuche nötig, aber es funktioniert. Der Nutzer dieses Systems muss nicht hungern.

Gleichwohl ist unübersehbar, dass noch einiges an Entwicklungsarbeit geleistet werden muss, bevor Roboter die wirtschaftlichen Wachstumserwartungen erfüllen können, die an sie gestellt werden. In mehreren Vorträgen ging es insbesondere darum, die Flexibilität der Arme wie auch die Greiffähigkeiten zu verbessern.Dazu gehört etwa, die Steuerung des Greifens durch Sensoren. Bruno Siciliano vom Prisma Lab an der Universität Neapel stellte hierzu einen "fast floating visual grasp algorithm" vor, der die notwendigen Schritte zur Modellierung des zu greifenden Objekts sowie zur Planung und Ausführung des Griffs parallel errechnet statt seriell.

Roboter, die sich in unstrukturierten Umgebungen behaupten und Menschen in ihrem Alltag begleiten sollen, sollten darüber hinaus auch ein Verständnis von den zu greifenden Gegenständen haben. Kognitive Aspekte des Greifens seien noch zu wenig erforscht, sagte Darius Burschka von der Technischen Universität München. Die Bildverarbeitung allein liefere zu wenig Informationen. Zum Beispiel sollte ein Roboter wissen, dass ein gefülltes Glas aufrecht transportiert werden muss. Gut wäre es auch, wenn Roboter selbstständig entscheiden könnten, ob sie ein Hindernis vermeiden oder besser aus dem Weg räumen sollten. Mike Stilman vom Georgia Institute of Technology zeigte in seinem unterhaltsamen Vortrag einen Roboter, der von einem Schreibtisch und einem Stuhl eingekeilt wurde. Ein Mensch sieht in so einer Situation überhaupt kein Problem, schließlich lässt sich der Schreibtischstuhl leicht zur Seite schieben. Aber woher soll der Roboter das wissen?

Stilman plädierte dafür, unter humanoiden Robotern nicht nur solche zu verstehen, die eine menschenähnliche Gestalt haben, sondern die alles tun können, was ein Mensch kann. Dazu gehört auch zu wissen, wie man Möbelstücke am geschicktesten anpackt, um sie mit möglichst wenig Kraftaufwand aus dem Weg zu räumen. Aber auch der pfiffigste Roboter fällt mal hin. In so einem Fall kann ein weiches, nachgiebiges Design die Schäden gering halten. Auch für Menschen wäre der Umgang mit solchen Robotern sicherer, sagte Antonio Bicchi von der Universität Pisa. Dabei denkt er nicht in erster Linie an weiche Materialien, aus denen die Roboter gebaut werden sollen. Vielmehr will er die Nachgiebigkeit durch Optimierung von Drehmoment, Geschwindigkeit und Steifheit der Gelenke je nach Bewegungsphase realisieren. Hilfreich dafür seien antagonistisch wirkende Antriebe, ähnlich den Beuger- und Streckermuskeln, die den menschlichen Arm bewegen.

Schöne Beispiele von flexiblen, federnden Roboterarmen zeigte auch Sami Haddadin. Mit einem entsprechend gesteuerten Arm ließ sich zum Beispiel ein Ball viel weiter werfen als mit einem steifen Arm. Konventionelle Roboterarme mögen große Kraft haben, sind aber relativ langsam. "Menschen erreichen mit ihren Gliedern deutlich höhere Spitzengeschwindigkeiten als Roboter", sagte Haddadin. Was insbesondere dann von Vorteil ist, wenn es darum geht, Ohrfeigen zu verteilen. Da sich seit der Kanzlerschaft Gerhard Schröders nicht nur die Geschmeidigkeit, sondern auch die Zielsicherheit von Robotern verbessert hat, dürfen wir dem nächsten Politikerbesuch am DLR-Stand also hoffnungsvoll entgegensehen. (jk)