"Anti-Social Behaviour": ASBOrometer sorgt in Großbritannien für Aufregung

Mit mehr als 100.000 Downloads in nur wenigen Tagen gehört die iPhone- und Android-Anwendung "ASBOrometer" zu den derzeit erfolgreichsten kostenlosen Mobilfunkanwendungen auf der Insel. Das Programm verspricht Nutzern Informationen darüber, ob sie sich gerade in guter oder in schlechter Nachbarschaft befinden.

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Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti

Den Londoner Stadtbezirk Hackney sehen viele Bewohner als Problemzone.

(Bild: Jeff Gilfelt)

In Großbritannien sorgt derzeit eine Anwendung für iPhones und Android-Handys für Furore, die Nutzern verspricht, Informationen über "unsoziale Strukturen" in ihrer Umgebung zu erhalten. Das Programm mit dem Namen ASBOrometer gehört mit über 100.000 Downloads in nur wenigen Tagen zu den derzeit erfolgreichsten kostenlosen Mobilfunkanwendungen auf der Insel. Das Kürzel ASBO steht für eine sogenannte "Anti-Social Behaviour Order". Mit diesem Begriff wird im britischen Rechtssystem ein zivilrechtlicher Bescheid bezeichnet, der gegen Personen ergeht, die wegen Belästigung der Gemeinschaft aufgefallen sind. Als unsoziales Verhalten gilt beispielsweise das Ärgern von Nachbarn, Betteln, Sprühen von Graffitis, Fluchen, Trunkenheit in der Öffentlichkeit oder auch das rücksichtslose Fahren von Mini-Bikes.

Der vom Software-Ingenieur Jeff Gilfelt entwickelte ASBOrometer, der mit der GPS-Software des Endgeräts zusammenarbeitet, zeigt für mehrere hundert britische Gemeinden zunächst in Prozent an, wie hoch oder niedrig der Grad des "Anti-Social Behaviour" dort angeblich ist – unter 10 Prozent gilt als "niedrig", zwischen 10 und 20 Prozent als "moderat", Werte über 30 Prozent weisen die Gegend als "hoch unsozial" aus. Die Zahlen hat Gilfelt aus einer Bürgerumfrage herausgefischt (Excel-Datei, Spalte E), die Ende 2008 durchgeführt (PDF-Datei) wurde und im Rahmen einer Kriminalitätsstatistik vom britischen Innenministerium verwertet wurde. Befragt wurden die Bürger etwa, ob sie denken, dass in ihrer Gemeinde "alkoholisiertes oder rüpelhaftes Verhalten in der Öffentlichkeit" ein Problem darstellt.

Gilfelt garniert diese Angaben, die rein persönliche Einschätzungen der Befragten wiedergeben, mit einigen Hard Facts: So wird etwa angegeben, wie viele ASBOs in den vergangenen Jahren in einer bestimmten Gegend tatsächlich ausgestellt wurden, wie viele Zwangsräumungen erfolgt sind, wie viele leer stehende Häuser es dort gibt, wie häufig das Jugendamt in Familien eingreifen musste. Auch diese Zahlen stammen zum größten Teil aus der Statistik des Innenministeriums (Excel-Datei) – Gilfelt greift letztlich also auf nur ganz wenige Datenquellen zu. Und die Aufregung ist groß: Während ein Nutzer sich auf der iPhone-Website begeistert zeigt, weil er sich nun schon vor einem Umzug einen Eindruck von der neuen Wohngegend verschaffen könne, wird die Anwendung von anderen als "schlimmster Albtraum für Immobilienmakler" bezeichnet.

Zwar dürfte der ASBOrometer nie in Deutschland erscheinen, hiesige Bürgerrechtler wie Rena Tangens vom Bielefelder Verein Foebud warnen aber vor "zweifelhaften Interpretationen" der ASBOrometer-Informationen, selbst wenn die Daten korrekt wären. Tangens sieht in der Anwendung nicht zuletzt einen "Strukturverstärker", der den Weg zu Gated Communities ebne. Der Hamburger Kriminologe Nils Zurawski stellt fest: "Als Hausbesitzer oder Makler würde ich mich bedanken, weil das geschäftsschädigend ist. Auch für Leute, die auf Arbeitsuche sind, kann das diskriminierend sein, wenn es dann heißt 'Ach, da kommen sie her!'." Zurawski glaubt, dass man mit solchen Anwendungen oder auch den sogenannten Crime Maps Gegenden "regelrecht brandmarken kann" – andererseits lasse sich damit aber auch auf politische Fehlsteuerungen hinweisen. (pmz)