Ein Jahr ChatGPT: Nicht mehr wegzudenken, aber auch nicht nur gut

Disruption, Dystopie, Desillusionierung? Eva-Maria Weiß blickt auf ein Jahr ChatGPT zurück.

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(Bild: Erstellt mit Shutterstock von emw.)

Lesezeit: 11 Min.
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Vor genau einem Jahr dürften bei OpenAI Drähte und Ohren geglüht haben – fast so sehr wie zuletzt bei den Querelen um den kurzfristigen Rauswurf des Gründers Sam Altman. Mit der Veröffentlichung von ChatGPT loderte ein Hype-Feuer auf, jeder wollte den Chatbot testen und so ziemlich jeder war fasziniert, wie gut ChatGPT Fragen beantworten konnte.

Ebenso rasend schnell sprühten überall die Funken der Veränderung. Boom! Das wird alles ändern. Allerorten war von der disruptiven Kraft Künstlicher Intelligenz zu lesen, bis das Wort so mancher (anwesenden) Redakteurin und auch einigen Lesern zu den Ohren heraushing. Ebenso ununterbrochen wurden Dystopien beschrieben und vorhergesagt. Schon bevor die Abkürzung AGI (Artificial General Intelligence) in aller Munde war, sprachen manche davon, wie die neue KI die Menschheit durch ihre Intelligenz bedrohen werde.

Erst hieß es, wir würden Arbeitsplätze verlieren, die eine KI besser besetzen könne als der Mensch. Da jubelten vor allem Arbeitgeber und Anbieter von KI-Diensten, die ihre Produkte verkaufen wollen, aber man solle sich keine Sorgen machen: KI werde Arbeitnehmer nicht abschaffen, sondern effektiver machen. Schließlich werde sie sogar neue Jobs schaffen, beispielsweise als Prompt-Engineer.

Und was davon hat sich nach einem Jahr ChatGPT bewahrheitet? Wahrscheinlich von allem ein bisschen. Aber schon jetzt zeigt sich, dass alles wieder einmal ein bisschen komplizierter ist, als Hype und Dystopie vorgeben. (Seitenhiebe auf die Blockchain können Sie hier nach Gusto einfügen.)

Zunächst einmal ist nur ChatGPT ein Jahr alt und nicht Künstliche Intelligenz. Und Künstliche Intelligenz ist ein gaaaaanz schön weites Feld. Sie steckt in der Google-Suche genauso wie in jedem Vorschlag, den wir in sozialen Netzwerken sehen, sowie in Auswertungssystemen und vielem mehr. ChatGPT ist eine generative KI, der Chatbot basiert auf einem großen Sprachmodell (Large Language Model, LLM). Von dieser Art Sprach-KI sagen manche Wissenschaftler, sie sei ein stochastischer Papagei, der nur nach Wahrscheinlichkeit auswählt, was er "antwortet", aber nichts versteht.

Schon einige Monate vor ChatGPT wurden Bildgeneratoren wie beispielsweise Midjourney frei verfügbar, sie sind sicherlich ein großer Teil des aktuellen KI-Hypes und dabei ganz unabhängig von ChatGPT. Dennoch lassen sich einzelne Fähigkeiten verschiedener Modelle vereinen. Auch in ChatGPT ist ein Bildgenerator integriert, Text kann dank der Verbindung zweier Modelle in Audio umgewandelt werden – und so ist es möglich, dass wir mit ChatGPT inzwischen auch wirklich sprechen können.

Eine solche Multimodalität ist aber noch lange keine AGI. Die Angst vor einer Superintelligenz wie HAL 9000 im Film "2001: Odysee im Weltraum" lassen wir deshalb hier beiseite. Es ist ohnehin fraglich, auf welchem Weg sich eine AGI überhaupt entwickeln ließe und was eine AGI eigentlich können muss, um eine Superintelligenz zu sein.

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Was also hat ChatGPT in seinem ersten Jahr der Existenz an Versprechungen eingelöst? Es war der am schnellsten gewachsene Dienst jemals. Nach fünf Tagen hatte ChatGPT bereits eine Million Nutzer. Instagram brauchte dafür 2,5 Monate, Netflix ganze 3,5 Jahre. Metas Threads allerdings brauchte wenige Monate später nur eine Stunde für die Million. Kurz schien es, als sei Googlen sowas von 2022, man fragt jetzt ChatGPT nach der Antwort.

Aber: In den ersten Monaten war ChatGPT auf einen Wissensstand bis September 2021 begrenzt. Eine Anbindung ans Internet hat der Chatbot erst kürzlich erhalten, nachdem eine erste Veröffentlichung als Plug-in nicht den Erwartungen von OpenAI entsprach – das Unternehmen gab an, ChatGPT könnte etwa hinter Bezahlschranken schauen, das sollte ausgemerzt werden.

Gibt man bei ChatGPT eine URL zu einem Artikel ein, der hinter einer Bezahlschranke steht, könnte man meinen, der Bot ist noch immer in der Lage dahinterzuschauen. Doch da taucht die große Schwierigkeit von LLMs auf: sie halluzinieren. URL, Überschrift, Vorspann reichen dem Chatbot aus, um irgendwas zu behaupten, das angeblich im Artikel steht – und das Irgendwas kommt oft der Wahrheit sehr nahe, es sind ja Wahrscheinlichkeiten, die wiedergegeben werden.

Die Halluzinationen sorgten anfangs für viel Gelächter, vor allem aber schränken sie den Nutzen von ChatGPT & Co ein. Das gilt auch für die Anbindung von ChatGPT (beziehungsweise GPT-4, so heißt das Sprachmodell, auf dem der Chatbot aufsetzt) an Microsofts Suchmaschine Bing. Die drehte in den Anfangstagen geradezu durch, wurde eifersüchtig und wirr, die Smileys am Ende jeden Absatzes wirkten mindestens passiv-aggressiv, sodass Microsoft Schranken einbauen musste.

Spaß machen ChatGPT und Bing Chat aber allemal. Bevor OpenAI eine Teilen-Funktion einführte, schickten sich Menschen reihenweise Screenshots von ChatGPT-Antworten. Oft ungefragt und oft zum Lachen. Die Nutzungszahlen stiegen und stiegen. Der Zugriff war immer wieder eingeschränkt, weil zu viele Menschen Fragen stellten. OpenAI führte schon kurz nach Veröffentlichung des Chatbots ein Abo-Modell ein, mit dem man an den anderen Menschen vorbeirauschen kann und neue Funktionen zuerst bekommt.

Mit der generellen Verfügbarkeit eines Chatbots und dem Hype setzen OpenAI und Microsoft den bisherigen Suchmaschinen und auch KI-Pionier Google unter Druck. Microsofts-CEO Satya Nadella sagte in einem Interview, Google sei ein 800-Pfund-Gorilla und solle nun herauskommen und zeigen, dass er tanzen kann. "Ich möchte, dass die Leute wissen, dass wir sie zum Tanzen gebracht haben."

Tatsächlich hat ChatGPT bei Google ganz offensichtlich Alarm ausgelöst. Es erschien etwas panisch, wie Google eine Veranstaltung in Paris auf die Beine stellte, bei der zahlreiche KI-Anwendungen vorgestellt wurden, die es schon lange gab, und einen Chatbot, der hierzulande zunächst nicht kam. Bard ist Googles Antwort auf ChatGPT. Nicht halb so erfolgreich und von Google auch direkt wieder stiefmütterlich behandelt. Statt die KI-Suche, die sich Search Generative Experience nennt, zu bewerben, hat es zuletzt zahlreiche neue Funktionen für Google Maps gegeben.

Man weiß nicht recht, ob Google einfach nicht tanzen will, weil sie meinen, es nicht nötig zu haben, sie nicht tanzen können oder ob sie einfach glauben, der Hype ziehe wieder vorüber. Das T in ChatGPT steht für Transformer, eine Architektur, die bei Google entwickelt wurde.