Denk, Maschine!

Vor 200 Jahren starb der KI-Prophet Wolfgang von Kempelen. Sein Schachautomat war ein Fake, doch er inspirierte Literaten, Programmierer und ein Computermuseum in Paderborn.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Ralf Bülow

Der Fortschritt geht manchmal seltsame Wege. Am 26. März 1804 starb in Wien Wolfgang von Kempelen -- der Vater des "Schachtürken", der ersten Vorrichtung, die eine künstliche Intelligenz zu besitzen vorgab. Geboren 1734 im damals ungarischen Preßburg, machte Kempelen Karriere im österreichischen Staatsdienst und brachte es bis zum Hofrat. Kempelen betreute Salzbergwerke, baute Dampf- und Schreibmaschinen und die Wasserspiele von Schloss Schönbrunn; nebenbei verfasste er zwei Theaterstücke.

1769 entstand Kempelens Hauptwerk, ein lebensgroßer hölzerner Orientale hinter einem Schachtisch, der mit links die Figuren führte -- meistens zum Sieg. Wer sich traute, durfte bei Schaukämpfen gegen die Maschine antreten oder besser gesagt, die vermeintliche Maschine. Kempelens Präsentation erweckte den Eindruck, als wäre der Tisch mit Räderwerk gefüllt; in Wahrheit saß darin ein schachgeübter Mensch, der das Spiel verfolgte und die Hand der Figur bewegte. Spätestens 1784 war das Geheimnis des Türken geknackt, was ihn nicht an weiteren Shows hinderte. Nach Kempelens Tod ging er an den Mechaniker Johann Nepomuk Mälzel und traf später in England auf Charles Babbage. Von 1826 bis 1838 tourte er durch die USA, wo er von Edgar Allan Poe gesehen und analysiert wurde. 1854 verbrannte der Schachtürke in Philadelphia.

Zu Kempelens Zeiten gab es schon hochkomplexe Automaten mit Ablaufsteuerung und eine radikale Schrift zur Gleichheit von Mensch und Maschine. Der Schachtürke war zwar ein Fake, doch eines mit Tiefgang und bedeutet den Beginn der Künstlichen Intelligenz, jener Unterdisziplin der Informatik, die sich problemlösender Hard- und Software widmet. Kempelens zweiter Beitrag zur KI war seine Sprechmaschine, die sich im Deutschen Museum befindet. Beide Konzepte schlugen sich in der Literatur nieder, so bei Jean Paul, E. T. A. Hoffmann und Ambrose Bierce; im 20. Jahrhundert entstand ein Spielfilm. Auch Schausteller ließen sich inspirieren und verfertigten Nachbauten wie den kartenspielenden Psycho aus den 1870er Jahren, der im Museum of London überlebte. An diese Tradition knüpft nun das Heinz Nixdorf MuseumsForum in Paderborn an und enthüllte eine originalgroße und funktionsfähige Kopie des Ur-Schachtürken. Nach einigen Wochen im Foyer soll sie dauerhaft bei den mechanischen Musikinstrumenten zu stehen kommen.

Unklar bleibt, ob unser Automat zur Redewendung "einen Türken bauen" führte -- es gibt auch alternative Erklärungen. Unstrittig ist, dass er das Schachspiel als Prüfstein des maschinellen Denkens etablierte. Doch erst 180 Jahre nach der Geburt von Kempelens Geschöpf fand Claude Shannon einen Weg zu effektiver Schachsoftware, und es dauerte bis 1967, ehe ein halbwegs anspruchsvolles Programm lief, MacHack von Richard Greenblatt. Inzwischen wurde Schach als KI-Paradigma durch Fußball abgelöst. Der Fortschritt geht manchmal seltsame Wege. (Ralf Bülow) / (jk)