"Die Ethik-Debatte ist unnötig"
iRobot-Gründer Colin Angle über den Vormarsch selbststeuernder Helfer und die Rolle von militärischen Robotern.
- Steffan Heuer
iRobot-Gründer Colin Angle über den Vormarsch selbststeuernder Helfer und die Rolle von militärischen Robotern.
Technology Review: Mister Angle, Ihr Staubsauger-Roboter Roomba hat sich millionenfach verkauft. Bedeutet das, die Roboterindustrie hat endlich den kommerziellen Durchbruch geschafft?
Colin Angle: Nicht nur das. Die Industrie hat auch glänzende Aussichten. Nehmen wir nur die Altenpflege. In den nächsten 15 Jahren wird sich die Zahl der Menschen über 65 verdoppeln. Aber die Infrastruktur zur Altenpflege wächst nicht mit. Das wird uns Lösungen mit Robotern aufdrängen. Die steigenden Kosten für menschliche Dienstleistungen werden auch andere Märkte beeinflussen, von der Reinigung bis zur Wartung. Deswegen steht Robotern eine tolle Zukunft bevor.
TR: Das prophezeien Zukunftsforscher seit Jahren, bisher allerdings mit wenig Erfolg.
Angle: Das stimmt. Es ist sehr schwer, Maschinen zu bauen und zu programmieren, die solche Aufgaben zuverlässig erledigen. Mich überrascht daher nicht, dass die Branche so langsam an Fahrt gewinnt. Aber wir machen Fortschritte. Meiner Firma iRobot geht es gut, und wir wachsen seit unserem Börsengang kontinuierlich. Heute sind mehr als dreieinhalb Millionen Roombas im Einsatz, und mehr als 3500 Roboter arbeiten in Krisengebieten wie Irak und Afghanistan.
TR: Haben Sie da nicht die Reihenfolge verwechselt? Die großen Fortschritte verdankt die Branche den Geldern aus dem Pentagon und von anderen Militäreinrichtungen.
Angle: Unser Umsatz speist sich nur zur Hälfte aus Regierungsaufträgen. Es ist richtig: Viele Innovationen haben wir der Darpa zu verdanken, einem Ableger des Pentagon. Aber die Summen sind relativ bescheiden, ein paar Millionen Preisgelder für Wettbewerbe wie die Grand Challenge oder die Urban Challenge. Das muss man ins Verhältnis setzen zu dem Aufwand an Zeit und Geld, den Hunderte von Forschern, Unternehmern und Rüstungsfirmen in diese Technologien investieren.
TR: Woran arbeiten Sie derzeit?
Angle: Im Heimbereich haben wir ein ganzes Portfolio, vom Staubsauger über Boden- und Schwimmbad-Roboter bis zu Geräten wie dem Looj, der Dachrinnen reinigt. Wir reden nicht über spezifische neue Geräte in der Pipeline, aber wir vergrößern unser Repertoire. Im Militärbereich haben wir, um nur ein Beispiel zu nennen, einen taktischen Roboter zum Erkunden entwickelt, der sich in Gebäuden bewegen und sogar Treppen steigen kann.
TR: Arbeiten Sie auch an Mini-Robotern? Bekanntlich ist das Militär brennend an sogenanntem "Smart Dust" interessiert, an mit Sensoren ausgestatteten Mikrocomputern in Käfergröße.
Angle: Wir haben ein Programm namens LANdroid, um einen Roboter mit rund zwei Kilo Gewicht zu bauen. Den kann man in einer Tasche herumtragen und einfach in ein Gebäude werfen. Alle diese Roboter laufen auf derselben Software namens Aware 2. Sie besitzt Standard-Schnittstellen, sodass Dritte beliebige Erweiterungen und Nutzlasten entwickeln können wie eine iPhone App. Und wir arbeiten intensiv an Unterwasser-Robotern.
TR: Auch fürs Militär?
Angle: Für jeden nützlichen Zweck. Den SeaGlider etwa verkaufen wir bereits. Er kann sich bis zu einem halben Jahr in der Tiefe aufhalten und um die halbe Welt schwimmen. Er besitzt statt eines Propellers interne Druckkammern, um seinen Auftrieb zu regulieren, und bewegt sich wie ein Segelflieger durchs Wasser. Unsere Strategie ist, robuste und ausbaufähige Plattformen für den Einsatz zu Wasser und zu Lande zu entwickeln, auf die Dritte aufbauen können.
TR: Ihre Roboter sind reine Arbeitstiere. Wie sehen Sie humanoide Roboter – sind sie notwendig oder ein unnötiger Luxus?
Angle: Roboter brauchen keine menschlichen Züge. Wir haben fast vier Millionen Roboter verkauft, die nicht einmal ein Gesicht haben. Trotzdem geben die meisten unserer Kunden ihren Roombas Namen und behandeln sie manchmal wie ein Haustier. Einen Roboter zu vermenschlichen, erhöht Kosten und Gewicht und senkt die Zuverlässigkeit. Es ist mir ein Rätsel, wie wirtschaftliche Gründe dafür sprechen können – mal abgesehen von Entertainment. Viel Geld und Energie wurde für solche Roboter verschwendet, aber Erfolg haben sie der Industrie nicht gebracht.
TR: Ronald Arkin, Professor am Georgia Tech, fordert einen ethischen Controller fĂĽr Roboter-Software. Und eine Gruppe fĂĽhrender US-Forscher lotete kĂĽrzlich die sozialen Folgen kĂĽnstlicher Intelligenz aus. Droht uns Gefahr von Robotern?
Angle: Es wird Jahrzehnte dauern, bis Roboter intelligent genug sind, um die Welt um sie herum zu verstehen. Erst dann wäre Maschinenethik sinnvoll. Deswegen ist die ganze Debatte rein akademischer Natur. Roboter tun auf absehbare Zukunft nur das, was wir programmieren. Man kann schlechten Code schreiben, sodass ein Roboter Menschen überfährt. Aber das heißt nicht, dass sie eine Art menschliches Bewusstsein entwickeln und sich bösartig verhalten. Es ist eine Frage der Sicherheitsvorkehrungen.
TR: Bei vielen Robotern geht es nicht um Geschwindigkeit oder Betriebsfehler, sondern darum, dass sie mit eingebauten Waffen erhebliches Zerstörungspotenzial besitzen.
Angle: Wir haben einen Roboter mit einer Waffe namens Disruptor gebaut. Sie schießt ein Wasserprojektil auf Gegenstände, etwa um Bomben unschädlich zu machen. Wenn man damit auf eine Person zielt, kann man großen Schaden anrichten. Deswegen haben wir einen Auslöser mit enorm hohem Sicherheitslevel entwickelt. Man muss einen Feuer-Code eingeben und die richtigen Tasten drücken.
TR: Wie fĂĽr den Einsatz einer Atomwaffe?
Angle: So ungefähr. Das Ganze ist ein unglaublich paranoider, wohldurchdachter Mechanismus, der nur dann ausgelöst werden kann, wenn ein autorisierter Nutzer es will. Die US-Regierung hat öffentlich erklärt, dass sie Selbstschuss-Waffen ablehnt. Es ist unhaltbar, einen Roboter über Leben und Tod entscheiden zu lassen. Wenn wir uns nur die Gefahr ansehen, die von einfachen Minen ausgeht, wird schnell klar, dass die Debatte um Roboterethik am Thema vorbeiführt.
TR: Es schadet doch nicht, sich rechtzeitig Gedanken ĂĽber die ungewollten Konsequenzen einer Technologie zu machen.
Angle: Bis Roboter Ethik verstehen können, müssen wir uns zunächst mit weitaus schwierigeren Fragen auseinandersetzen: Etwa wie wir Roboter in unsere Körper integrieren. Wir besitzen bereits künstliche Ohren in Form von Cochlea-Implantaten, es gibt gedankengesteuerte Prothesen und Prototypen für künstliche Augen. Das sind wundervolle Hilfsmittel für Behinderte. Aber schon bald kann sich ein gesunder Mensch in Hörakustikläden ein Kunstohr mit eingebautem MP3-Player, Richtmikrofon und Rekorder einsetzen lassen. Darüber würde ich mir Sorgen machen.
TR: Die Frage nach der Ethik stellt sich auch für die Programmierer. Gerade beim Militär sitzen die Techniker fernab der Kampfzone und spielen mit Joysticks Herr über Leben und Tod. Wie verändern Roboter den Menschen?
Angle: Militärroboter haben viele positive Folgen. Sie erlauben den Soldaten, nicht als Erste zu schießen. Ein junger Soldat, dem das Adrenalin durch die Blutbahn rast und der ein unbekanntes Gebäude erkunden soll, hatte bisher zwei Optionen: eine Granate reinzuwerfen und möglicherweise Unschuldige zu töten oder selber beschossen zu werden. Jetzt kann er erst einmal den Roboter die Lage erkunden lassen. Das hilft jedem Beteiligten. Wir gewinnen Zeit, um bessere Entscheidungen zu treffen. Man kann den Roboter auch mit nicht tödlichen Waffen ausrüsten, etwa zum Verschießen von Klebstoff. Damit würden wir ein neues Zeitalter weniger verheerender Waffen schaffen.
(bsc)