Melodyne-Erfinder Peter Neubäcker: Was der Mensch kann ...

Er sorgte für eine der inzwischen selten gewordenen Sensationen der Musikelektronik: Eine Audio-Aufnahme in Noten zu verwandeln. Am Rande der Musikmesse Frankfurt erzählte Peter Neubäcker, Initiator und Mitentwickler von Melodyne DNA, über seine Ideen, Fähigkeiten und Pläne.

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März 2008: Es war eine der inzwischen selten gewordenen Sensationen der Musikelektronik: Eine Audio-Aufnahme in Noten zu verwandeln, die elektroakustische Wellenform also in ihre zugrunde liegenden „Steuer“-Daten zurückzuführen – das galt lange als unmöglich, erst recht, wenn es darum gehen sollte, mehrstimmiges, also mit mehreren Tönen gleichzeitig gespieltes Klangmaterial zu bearbeiten.

Peter Neubäcker

(Bild: Celemony)

Vor zwei Jahren überraschte der aus dem Osnabrücker Umland stammende Gitarrenbauer und Musiker Peter Neubäcker die Fachwelt mit seinem DNA (Direct Note Access) genannten Projekt, das genau diese Unmöglichkeit mit verblüffender Bravour erledigte: Selbst komplexe Gitarren-Aufnahmen, der Sound einer Bläser-Gruppe oder die Klänge eines Holzblas-Ensembles wurden von der DNA-Software erstaunlich exakt entschlüsselt. Und die sonst eher lakonisch reagierende Musiker-Szene geriet völlig aus dem Häuschen: Standing Ovation auf der Celemony-Pressekonferenz, begeisterte Zuschauer bei den Präsentationen.

Es dauerte bis zum Herbst 2009, bis aus der vorführreifen Idee ein verkaufsfähiges Produkt wurde. In dieser Zeit forderte es viel Mühe, das schon vorher vorhandene, für einstimmige Audio-Spuren geeignete Programm Melodyne auf die mehrstimmige Analyse umzubauen. Das sei eigentlich auf eine komplette Neuprogrammierung hinausgelaufen, erzählte Neubäcker in einem Gespräch mit heise online.

Seine ursprüngliche Idee sei dem Gedanken gefolgt, dass das, was der Mensch kann (mehrstimmige Audio-Aufnahmen durchzuhören), auch dem PC möglich sein müsste – vorausgesetzt, man schafft es, das zur Analyse per Ohr notwendige Wissen in einen Algorithmus zu gießen. Ungeachtet aller Vorbehalte der Fachwelt setzte sich der unkonventionelle Self-made-Informatiker an seinen Rechner und bastelte ein erstes C-Programm, das schließlich seine Erwartungen bestätigte. Anstelle einer auf statistischen Daten basierende Universal-Analyse sei er daran gegangen, den Regeln und inneren Gesetzen der Musik und Akustik folgend, Frequenzen und Schwingungen ihrem vermutlichen Zusammenhang entsprechend zu suchen – und zu finden. Das habe so gut funktioniert, dass sich auch sehr schwierige Audio-Signale entschlüsseln ließen.

Ein großer Programmier-Profi sei er aber nicht. Das Denken in objekt-orientierten Strukturen habe er sich erst aneignen müssen. Und die Optimierung von Routinen, die Anpassung an verschiedene Betriebssysteme ... das überläßt der in vielen Belangen autodidaktische Neubäcker eher Leuten, die so etwas besser können.

Mit blitzenden Augen hinter der Brille berichtet er lieber von seiner Entdeckung, von den Möglichkeiten, per Software den Meistern der Musik über die Schulter zu schauen und – mit diebischem Spaß an der Unmöglichkeit dieses Tuns – einen neugierigen Blick hinter die Kulissen von Komposition und Arrangement zu werfen. Doch je mehr er sich damit befasst habe, die Ergebnisse seiner DNA-Software zu überprüfen, desto mehr sei ihm klar geworden, wie wenig er im Grunde über die inneren, musikalischen Zusammenhänge wüsste. In der letzten Zeit habe er sich daher wieder intensiver mit den musiktheoretischen Grundlagen befasst, um mehr darüber zu erfahren, nach welchen Regeln und Vorgaben etwa ein alter Meister wie Johann Sebastian Bach gearbeitet, wie so ein Genie komponiert habe.

Also weg vom C-Compiler, hin zur musiktheoretischen Fachliteratur? Das sei nun mal seine Vorgehensweise, antwortet er. Denn mit Statistik und Künstlicher Intelligenz habe seine Arbeit nichts zu tun, sondern mit dem Wissen um die Regeln, nach denen musikalische Klänge entstehen.

So ergibt sich die nächste Frage ganz von selbst: Bislang gibt Melodyne DNA die erkannten Töne gleichberechtigt aus, dargestellt auf einer Art grafischen Klaviatur, nach Tonhöhe geordnet. Doch eine Partitur erstellen, also die erkannten Töne nach Instrument aufteilen – das kann DNA bislang nicht. Noch nicht? Natürlich sei diese Frage sehr oft gestellt worden. Man habe ihm sogar programmtechnische Hilfen angeboten, gewaltige Libraries mit Instrumental-Kennlinien und Frequenzverläufen. Aber ob er so etwas wirklich braucht, steht gar nicht fest. Überhaupt stellt sich ihm die Frage, bis zu welcher Leistungsfähigkeit sein Programm fortentwickelt werden sollte.

Es ist für Neubäcker wohl ein innerer Zwist, ob Melodyne DNA ein leistungsstarkes Werkzeug in der Hand des Experten im Tonstudio bleibt oder ob es nahezu beliebig komplexe Audiodaten in MIDI-Informationen umkodiert – und sich so seine Software zum musikalischen Spielzeug für Jedermann entwickelt. Vielleicht hat es auch etwas damit zu tun, ob man eine Komposition – mit viel Mühe, Sachverstand und eigener Kreativität erarbeitet – per Programm auch dem Unkundigen fast uneingeschränkt manipulierbar macht ... oder nicht.

Technisch, meint Neubäcker optimistisch, müsse auch die Stimm-Zuordnung möglich sein, die Erkennung also, nicht nur welcher Ton da gerade erklingt, sondern auch, welches Instrument ihn erzeugt hat, selbst wenn man dafür die komplexen Einschwingvorgänge und Verläufe der Frequenzverteilung berücksichtigen und analysieren müsste. Unmöglich sei das nicht, das könne der Mensch ja schließlich auch ... Aber erst einmal sei die mehrstimmige Studio-Version von Melodyne an der Reihe. (uh)