Gesucht: Innovation für den OP

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Technik bei Chirurgie-Robotern kaum weiterentwickelt. Schuld daran ist nach Ansicht vieler Ärzte das De-Facto-Monopol des US-Herstellers Intuitive Surgical.

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Von
  • Emily Singer

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Technik bei Chirurgie-Robotern kaum weiterentwickelt. Schuld daran ist nach Ansicht vieler Ärzte das De-Facto-Monopol des US-Herstellers Intuitive Surgical. Doch diese Situation könnte sich bald ändern.

Montag morgen in Boston: Ein achtjähriges Mädchen wartet im städtischen Kinderkrankenhaus auf ihre Operation. Kurz zuvor war sie eingeliefert worden, weil sie über ständige Schmerzen in der Seite geklagt hatte. Diagnose: Der Harnleiter an der linken Niere ist verstopft. In den meisten Krankenhäusern würden die Chirurgen ihr in wenigen Minuten die Bauchdecke aufschneiden, um an die Niere heranzukommen. Danach müsste das Mädchen vier bis fünf Tage im Krankenhaus bleiben, bis die Wundheilung weit genug fortgeschritten ist. Nicht so im Kinderkrankenhaus Boston. Statt eines Chirurgen schickt sich ein Roboter an, ihre Niere von der Verstopfung zu befreien. Wenn alles vorüber ist, wird sie den Operationssaal mit einer zwei bis drei Zentimeter langen Narbe verlassen und schon am folgenden Tag nach Hause gehen können.

Zu verdanken hat sie dies dann den Fähigkeiten des Chirurgie-Roboters „da Vinci“. Der Einsatz dieser Maschine bedeute einen echten Fortschritt für die minimal-invasive Chirurgie, weil er auch komplexere Operationen durchführen könne, sagt Hiep Nguyen, Kinderurologe und Spezialist für robotische Chirurgie am Kinderkrankenhaus Boston. Dank eines 3D-Abbildungssystems und beweglicher Spitzen an den OP-Werkzeugen ermöglicht das Gerät präzise Eingriffe im Bauchbereich. Mit dem da Vinci hat Nguyen etwa ein Stück Harnröhre aus Blinddarm-Gewebe ersetzt – ohne am offenen Bauch operieren zu müssen wie noch vor wenigen Jahren in solchen Fällen üblich.

Als Nguyen dieses Beispiel kürzlich auf einer Konferenz schilderte, löste er jedoch alles andere als Begeisterung aus. Die anwesenden Chirurgen und Wissenschaftler bombardierten ihn vielmehr mit kritischen Fragen: Wird ein OP-Roboter wirklich jemals die traditionelle Laparoskopie – Kamera-unterstützte Operationen an der Bauchhöhle – übernehmen können? Ist die Lernkurve, um das Gerät bedienen zu können, nicht zu steil? Oder könnte es am Ende auch unerfahrenen Chirurgen eine Operation ermöglichen?

Der Disput zeigt, dass OP-Roboter auch nach über zwei Jahrzehnten noch immer umstritten sind. Und dafür gibt es zwei Gründe, über die sich die Fachwelt immerhin einig ist: Die Technologie stagniert weitestgehend, und sie ist immer noch zu teuer. „Das liegt daran, dass es derzeit nur einen großen Hersteller gibt“, erklärt Nguyen. „Wir brauchen hier mehr Wettbewerb, damit der Preis endlich runtergeht.“

Der da Vinci wird von Intuitive Surgical gebaut, dem einzigen Schwergewicht unter den US-Herstellern von Chirurgie-Robotern. Als die kalifornische Firma 1995 gegründet wurde, entwickelte sie die Technologie aus der früheren Tele-Operationstechnik weiter, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits als Flop erwiesen hatte, weil sie die ursprünglichen Erwartungen nicht hatte erfüllen können. Schnell schuf Intuitive Surgery ein breites Patent-Portfolio und kaufte Konkurrenten auf, darunter Computer Motion mit dem Konkurrenzsystem ZEUS. Im Jahre 2000 genehmigte dann die US-Zulassungsbehörde FDA den Einsatz des neuen da-Vinci-Systems. Seitdem hat sich auf diesem Gebiet nicht mehr viel getan.

„Viele sind enttäuscht, wie langsam der Roboter weiterentwickelt wird“, sagt Jon Einarsson, Gynäkologe und Chirurg am Brigham’s and Women’s Hospital in Boston. „Besonders bei den Gelenken an den Werkzeugspitzen sind die Ingenieure kaum vorangekommen.“ Für Einarsson müssen die endlich eine Art Haptik bekommen, so dass ein Chirurg ein Feedback bekommt, wenn der OP-Roboter etwas berührt. Auch sollten Tomographie-Daten in das Gerät integrierbar sein.

Andere Chirurgen bemängeln die Ausmaße des Roboters. Ein kleineres Gerät könne – bei geringeren Kosten – dasselbe leisten. „Der da Vinci sieht aus wie ein Industrieroboter für die Autoproduktion“, mokiert sich Kirby Vosburgh, Ingenieur am Enter for Integration of Medicine and Innovative Technology (CIMIT) in Boston.

Zwar ist der da Vinci inzwischen bei operierenden Urologen und Gynäkologen recht populär geworden, weil komplizierte Eingriffe wie der von Nguyen geschilderte damit leichter machbar sind. Immerhin gut 1000 Systeme sind im vergangenen Jahrzehnt weltweit verkauft worden. Andere Fachleute bezweifeln aber, ob er auch bei verbreiteten Operationen wie etwa dem Entfernen der Gebärmutter – Hysterektomie genannt – helfen kann.

Und die potenziellen Vorteile lassen sich bislang nur schwer einschätzen - etwa ob der Roboter eine Operation für den Chirurgen wirklich weniger anstrengend macht, oder ob weniger erfahrene Ärzte mit seiner Hilfe auch anspruchsvolle Eingriffe bewältigen können. Nach Nguyens Ansicht seien auch heute nur wenige hochspezialisierte Chirurgen in der Lage, herkömmliche laparoskopische Operationen durchzuführen.

Das Bostoner Kinderkrankenhaus konnte Nguyen jedenfalls im vergangenen Jahr davon überzeugen, das neueste da-Vinci-Modell anzuschaffen – für satte 2,5 Millionen Dollar. Eine Analyse von ihm hatte ergeben, dass der kürzere Aufenthalt von Patienten nach Roboter-Operationen die Kosten wieder wettmacht. Nguyen bekommt übrigens keine Forschungsgelder aus der Industrie, wie man in diesem Zusammenhang vermuten könnte.

Aber auch er findet, dass das De-Facto-Monopol von Intuitive Surgical Innovationen bei OP-Robotern hemmt. „Bisher hat sich keiner getraut, gegen das Unternehmen aufzumucken. Das ändert sich jetzt ganz langsam“, sagt Nguyen, „weil inzwischen alle Krankenhäuser zusehen müssen, wie sie ihre Kosten herunterfahren.“ Dadurch könnte es für Newcomer leichter werden, in den Markt reinzukommen.

Das ist aber nicht so leicht, wie das Beispiel des Chirurgen Dennis Fowler zeigt. Er hat mit seinem Team für die Laparoskopie ein neues, schlangenartiges Werkzeug mit zwei Kameras entwickelt. Die ermöglichen den Ärzten während der Operation ein räumliches Sehen – im Unterschied zum stereoskopischen Bild des da Vinci ist aber keine große Konsole nötig. „Als wir das Gerät fertig hatten, stellten wir fest, dass Intuitive Surgery 286 Patente hält, die mit der bildlichen Darstellung zu tun haben“, erzählt Fowler. „Das ist das große Problem. Im Moment bleibt unser Gerät eine rein akademische Angelegenheit.“

Mit Forschungsgeldern der National Institutes of Health erweitert Fowlers Gruppe das Gerät nun um Greifer und Skalpelle. Die sind wie die Kameras in dem schlangenförmigen Körper untergebracht. Das Ganze erinnert an wenig an ein Schweizer Messer: Die Werkzeuge werden erst im Innern des Körpers ausgeklappt. Dank dieser Anordnung wären deutlich weniger Schnitte während einer Operation nötig. Bislang gibt es aber nur einen Prototyp, den Fowler nun in Tierversuchen testen will.

Ob das Gerät so gut funktioniert wie der da Vinci, vermag auch Fowler noch nicht abzusehen. „Doch schon der Prototyp hat einige Vorteile: Er ist noch weniger invasiv, setzt nur einen Schnitt, wo der andere drei bis vier braucht, und er ist viel kleiner“, sagt Fowler. „Und vor allem: Er wird viel billiger als ein da Vinci sein.“

Mehr zum Thema Robotik finden Sie auch im Fokus der aktuellen Ausgabe von Technology Review. (nbo)