Polizeiliche Kriminalstatistik: Nur auf den ersten Blick weniger Cybercrime​

​Die Zahl der Cybercrime-Fälle ist 2023 laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) gesunken. Doch über das wirkliche Geschehen sagt die Statistik wenig aus.

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Zwei deutsche Polizeiautos

(Bild: C. Nass/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Falk Steiner
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Laut den heute in Berlin vorgestellten Zahlen für eingeleitete Ermittlungsverfahren bei den Polizeien von Bund und Ländern sank die Zahl von 136.865 im Jahr 2022 um 2.458 auf 134.407 Fälle. Von diesen gelten 43.242 als aufgeklärt, und damit 8,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Aufklärungsquote bei Taten wie Fälschung beweiserheblicher Daten, Computersabotage, Datenausspähung, Computerbetrug, Warenkreditbetrug und Leistungskreditbetrug liegt allerdings weiterhin insgesamt bei etwa einem Drittel und damit sehr niedrig.

Die geringere Gesamtzahl bedeute keineswegs eine Entwarnung, erklärte BKA-Präsident Holger Münch am Vormittag in Berlin: "Es steigen die aus dem Ausland begangenen Fälle." Diese seien im vergangenen Jahr um 28 Prozent gestiegen. Doch die Polizeiliche Kriminalstatistik erfasst nur solche Fälle, bei denen sich auch mindestens ein Tatverdächtiger in Deutschland befindet – alle anderen Fälle gelten polizeilich als "Auslandsfälle" und gehen nicht in die bisherige Statistik ein. Das sei ein "blinder Fleck", sagt Münch. Derzeit befinde sich eine "Auslands-PKS" in der Pilotphase, ab dem Berichtsjahr 2024 könnten hier bessere Zahlen vorliegen, kündigte Münch an.

Deutlich angestiegen sind die Zahlen auch im Bereich der Verbreitung rechtswidriger, pornografischer Inhalte. Bei Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs stieg die Zahl der polizeilichen Verdachtsfälle um 7,4 Prozent auf 45.191, die Aufklärungsquote betrug 87,2 Prozent. Ein starker Anstieg ist insbesondere im Bereich von und sogenannter jugendpornografischer Inhalte, also Darstellungen von Personen zwischen 14 und 18 Jahren um 31,2 Prozent auf 8.851 Fälle. Auch hier gelten mit 91% etwa 9 von 10 Fällen als durch die Ermittlungsbehörden aufgeklärt.

Die Gründe, die das Bundeskriminalamt für den Anstieg anführt, liegen nicht zuletzt im fehlenden strafrechtlichen Bewusstsein: Bei 40,6 Prozent seien unter 18-jährige die Tatverdächtigen gewesen, was anteilig etwas niedriger als im Vorjahr (41,1 Prozent) lag – in absoluten Zahlen aber stabil ist. Hier könnten sich die Zahlen in Zukunft auf zwei Wegen verändern: Es gehe darum, ein Bewusstsein auch in jungen Altersgruppen zu schaffen, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser, "damit man klarmacht, was es bedeutet, Nacktbilder von sich und anderen zu versenden." Diese verblieben oft dauerhaft im Netz, was den minderjährigen Tätern oft nicht bewusst sei. Derzeit ist eine Novelle des Paragrafen 184 Strafgesetzbuch in Arbeit, durch den derartige Fälle unter Minderjährigen nicht mehr wie andere Taten behandelt werden sollen. Auf diese hofft auch der Innenministerkonferenz-Vorsitzende Michael Stübgen (CDU): Es müsse ein pragmatischer Ansatz gefunden werden. Aus Polizeisicht sei Inhalten aber im ersten Schritt nicht anzusehen, unter welchen Umständen diese entstanden seien, erläuterte BKA-Präsident Holger Münch.

Die Zunahme der Cybercrimezahlen insgesamt liege aber auch an mehr Meldungen durch Plattformbetreiber an die Polizeibehörden, diese hätten deutlich mehr Ermittlungsverfahren bearbeiten können – was unter anderem an mehr Personal liege, heißt es in dem Bericht.

Erneut forderte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Vorstellung der Statistik eine Vorratsdatenspeicherung für IP-Adressen: Diese "brauchen wir endlich", so Faeser, im Rahmen des vom Europäischen Gerichtshofs Zulässigen. Auch Stübgen forderte erneut die Einführung in Bundesrecht. Das führe etwa dazu, dass Ermittlungen ins Leere liefen, so der Innenminister Brandenburgs. Auch wenn eine Vorratsdatenspeicherung nicht jegliche Taten verhindern könne, müsse jede Anstrengung unternommen werden.

Deutlich gestiegen sind zudem die Zahlen bei Straftaten im Zusammenhang mit Urheberrechtsbestimmungen, hier wurden 10.835 Straftaten polizeilich gezählt. Bei Beleidigungen mit "Tatmittel Internet" ist ebenfalls ein starker Anstieg zu verzeichnen: 20.808 Mal ging das in die PKS ein – das BKA weist ausdrücklich auf ein "sehr großes Dunkelfeld" hin, so würden etwa nur 1 Prozent der persönlichen Beleidigungen im Internet überhaupt zur Anzeige gebracht.

Die Verrohung der Gesellschaft finde auch online statt, sagte Stübgen. "Die Opfer sehen sich in der Anonymität und Reichweite des Netzes einer Vielzahl von Angreifern ausgeliefert. Das führt zu schwerwiegenden Folgen in allen Lebensbereichen. Ich setze mich dafür ein, Cybermobbing zu einem gesonderten Straftatbestand zu machen."

Die Polizeiliche Kriminalstatistik erfasst insgesamt nur solche Delikte, die entweder von Bürgerinnen und Bürgern zur Anzeige gebracht werden oder von Amts wegen verfolgt werden. Eine Aussage dazu, ob die Taten schlussendlich auch geahndet wurden, trifft diese behördliche Statistik nicht.

(mki)