Nacktfotos: Schulhof-Fälle sollen nicht mehr als Verbrechen verfolgt werden
Die Ampel-Koalition deutet an, eine Gesetzesverschärfung bei Darstellungen sexualisierten Kindesmissbrauchs zu korrigieren und Ermittler zu entlasten.
In der Ampel-Koalition häufen sich die Stimmen, die sich für eine Korrektur des 2021 verschärften Gesetzes rund um "Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte" stark machen. Die Sozialdemokraten wollten "rasch eine Gesetzesänderung", erklärte Johannes Fechner, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag, gegenüber dem ARD-Magazin "Panorama". Es wäre gut, wenn Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zeitnah einen Vorschlag vorlegen würde, "den wir dann zügig beraten werden".
Mit dem umstrittenen Gesetz, das als ein Prestigeprojekt der Großen Koalition gilt, änderte der Bundestag während des Wahlkampfs Paragraf 184b Strafgesetzbuch (StGB). Anliegen der Reform war es, auch die mittelbare Förderung des sexuellen Missbrauchs von Kindern durch die Verbreitung entsprechender Darstellungen schärfer zu sanktionieren. Der Gesetzgeber stufte dazu nahezu alle in der Vorschrift enthaltenen Varianten zu einem Verbrechen mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr hoch. Ermittler haben damit im Unterschied zu minderschweren Vergehen keine Wahl mehr: Sie müssen auch jeden noch so kleinen Fall vor Gericht bringen.
Fehlende Differenzierung sorgt fĂĽr Probleme
Wissenschaftler und Strafverfolger kritisierten das Vorhaben von CDU/CSU und SPD bereits im Gesetzgebungsverfahren. Trotzdem drückte Schwarz-Rot die Strafrechtsverschärfung durch. Auch im Bundesrat fanden Änderungsanträge aus Brandenburg im Rechtsausschuss keine Mehrheit.
Mittlerweile zeigten sich die negativen Auswirkungen der Gesetzesregelung auch in der Praxis, monierte die brandenburgische Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU) jüngst. So unterlägen etwa auch ein nicht rechtzeitiges Löschen eines ungewollt empfangenen Bildes mit einem Missbrauchsinhalt etwa in einer WhatsApp-Gruppe oder das Speichern einer solchen Aufnahme durch Aufsichtspersonen wie Eltern, Lehrern oder Betreuer als Verbrechen. Selbst Fotos des eigenen nackten Kindes am Strand oder in der Badewanne könnten unter den Wortlaut der Klausel fallen.
Kaum noch Zeit für tatsächliche Fälle
Auch Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU) verwies gegenüber den "Stuttgarter Nachrichten "darauf, dass es sich bei über 40 Prozent der Ermittlungen um sogenannte Schulhof-Fälle handle. Da machten etwa junge Mädchen Nacktfotos und schickten sie ihrem Freund ("Sexting"). Oder Jugendliche teilten solche Fotos untereinander, ohne sich überhaupt darüber bewusst zu sein, dass sie damit in den Bereich der Strafbarkeit kommen. Selbst ein Minderjähriger, der sich selbst beim Masturbieren filmt und das Ergebnis auf dem Handyspeicher belässt, verwirklicht dem Bericht nach mit Erreichen der Strafmündigkeit einen Verbrechenstatbestand.
"Vor allem die Tatsache, dass der minder schwere Fall bei der Gesetzgebung keine Berücksichtigung gefunden hat, führt in der Praxis dazu, dass die Länderpolizeien zahlreiche Ermittlungsverfahren ohne tatsächlichen pädokriminellen Hintergrund zu führen haben", beklagt Jan Reinecke vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) gegenüber "Panorama". Für die tatsächlichen Fälle blieben dadurch kaum noch Ressourcen übrig. Die Zahl der Fälle ohne pädokriminellen Hintergrund soll in einigen Behörden bereits bei rund 50 Prozent liegen, was diese überlaste. Auch bei Internet-Beschwerdestellen sorgt Paragraf 184b StGB für erhöhten Arbeitsaufwand.
Was das Bundesjustizministerium sagt
Durch die Pläne der EU-Kommission zur Chatkontrolle dürfte sich diese Misere noch deutlich verschärfen. Die Fehlerraten bei falschen Treffern seien bei den vorgesehenen Scannern für Online-Kommunikation etwa über Messenger wie WhatsApp und Signal so hoch, dass unzulässig viele Betroffene in den Fokus der Behörden gerieten, warnte Markus Hartmann, Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW), vorige Woche bei einer Anhörung im Bundestag.
Die Justizministerkonferenz hat sich daher im November auf Antrag Brandenburgs einstimmig dafür ausgesprochen, Paragraf 184b StGB zu korrigieren. Mittlerweile signalisieren laut "Panorama" sogar Vertreter von CDU und CSU auf Bundesebene aus der Opposition Bereitschaft, einen "praktikablen und angemessenen Vorschlag" zur erneuten Novelle zu unterstützen. Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums erklärte, man nehme die Bedenken gegen den Missbrauchsparagrafen "sehr ernst" und prüfe "gesetzgeberischen Handlungsbedarf". Nach ARD-Informationen sieht das Ressort von Buschmann aber die SPD-Fraktion in der Pflicht, die Klausel durch eine Gesetzesinitiative direkt aus dem Bundestag zu entschärfen. Schließlich habe die damalige sozialdemokratische Bundesjustizministerin Christine Lambrecht den Entwurf vorgelegt.
(mki)