Vorratsdatenspeicherung: Koalitionsdrama geht trotz Quick-Freeze-Einigung weiter

Prinzipiell hat sich die Bundesregierung darauf verständigt, TK-Daten nur anlassbezogen einzufrieren. Doch Innenministerin Faeser drängt noch auf eine Ausnahme.

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Ethernet-Anschlüsse

(Bild: asharkyu/Shutterstock.com)

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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will trotz der zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ausgehandelten Einigung auf einen Quick-Freeze-Ansatz zum Einfrieren von Verbindungs- und Standortdaten zur Strafverfolgung im Verdachtsfall nicht kleinbeigeben. Sie fordert weiter, zumindest IP-Adressen auf Vorrat zu speichern. Das sei eine notwendige Voraussetzung dafür, dass dieses neue, prinzipiell sinnvolle Verfahren "überhaupt funktionieren kann und überhaupt Daten vorhanden sind", erklärte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums (BMI) am Mittwoch. Nur so könnten Ermittlungen dazu führen, "dass die Täter identifiziert werden". Anders mache Quick Freeze gar keinen Sinn: "Wo nichts ist, kann man nichts einfrieren."

Faeser übernimmt damit die Kritik etwa des rechtspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Günter Krings. Dieser hatte an dem schon etwas angegrauten, im Herbst 2022 vorgelegten Gesetzentwurf Buschmanns für Quick Freeze bemängelt, diesem fehle "das notwendige Herzstück, die anlassunabhängige IP-Adressspeicherung". Der Justizminister ignoriere mit seiner Initiative "sowohl den Spielraum, den der Europäische Gerichtshof eröffnet hat, als auch die Bedürfnisse der Ermittler". Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) monierte ebenfalls, dass die neue, von ganz oben in der Regierungszentrale abgesegnete Übereinkunft nicht ausreichend sei.

Die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, kündigte gemeinsam mit anderen führenden Sozialdemokraten an, dass die Absprache der Bundesregierung im parlamentarischen Verfahren noch überarbeitet werde. Ein Unding, findet Jörn Pohl, Büroleiter des Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz, der die Einigung am Mittwochvormittag vehement begrüßt hatte: Da sorge der Kanzler einmal dafür, dass es einen guten Kompromiss gebe und die Strafverfolgungsbehörden mit Quick Freeze nach Jahren Rechtssicherheit überhaupt ein einschlägiges Instrument bekämen – und sofort griffen das BMI und Teile der SPD-Fraktion den Kompromiss an und forderten wieder das anlasslose Protokollieren von Nutzerspuren.

"Die allgemeine Vorratsdatenspeicherung ist immer wieder vor Gerichten gescheitert", betonte Buschmann. "Dass wir Quick Freeze jetzt umsetzen", sei eine gute Nachricht für Freiheit und Sicherheit in Deutschland. Das Einfrieren von Telekommunikationsdaten verbessere die rechtliche Situation und wird bei der Bekämpfung von Kriminalität helfen. Den Dialog mit der zunächst übergangenen Faeser will der Liberale fortsetzen. Unterstützung bekam er etwa vom Deutschen Anwaltverein (DAV), demzufolge eine etwa mit der anlasslosen IP-Speicherung einhergehende Massenüberwachung keinen Platz im freiheitlichen Rechtsstaat habe: "Das weniger invasive Quick-Freeze-Verfahren ist hier eindeutig der bessere Weg. Voraussetzung für die Datenerfassung sind die behördliche Anordnung, die gerichtliche Kontrolle und die zeitliche Begrenzung der Maßnahme. Die Verhältnismäßigkeit darf bei der Kriminalitätsbekämpfung nie aus dem Blick geraten."

Der EU-Abgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei), der seit Langem gegen die Vorratsdatenspeicherung kämpft, wertete die Koalitionsentscheidung als "Erfolg für die Bürgerrechtsbewegung, die seit Jahrzehnten auf der Straße und vor Gericht gegen die Idee einer flächendeckenden Totalerfassung unserer Kontakte, Bewegungen und Internetverbindungen" vorgehe. In Buschmanns Entwurf fehle aber die Vorgabe, "dass die betroffenen Personen und Anschlüsse in der Freeze-Anordnung genau bezeichnet werden müssen". So könnten Staatsanwälte und Amtsgerichte trotzdem "flächendeckend die Kommunikationsdaten sämtlicher Bürger auf Vorrat speichern lassen". Der eco-Verband der Internetwirtschaft verlangte, die wiederholt höchstgerichtlich als rechtswidrig eingestuften Paragrafen zur Vorratsdatenspeicherung aus dem Telekommunikationsgesetz zu streichen und nicht als Torso fortbestehen zu lassen. Es sei an der Zeit, dass die Regierung "Bürgerrechte im digitalen Raum ernsthaft schützt".

(mho)