Bundesverwaltungsgericht kippt Vorratsdatenspeicherung und Bestandsdatenauskunft

Das anlasslose Protokollieren von TK-Daten ist nicht mit EU-Recht vereinbar, sagt das Bundesverwaltungsgericht. Justizminister Buschmann will nun rasch handeln.

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(Bild: asharkyu/Shutterstock.com)

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Erneute juristische Klatsche für die einstige große Koalition: Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat jetzt entschieden, dass die von Schwarz-Rot ins Telekommunikationsgesetz (TKG) eingefügte Pflicht für Diensteanbieter zum verdachtsunabhängigen monatelangen Speichern von Verbindungs- und Standortdaten "in vollem Umfang unvereinbar" ist mit der europäischen Datenschutzrichtlinie für die elektronische Kommunikation. Die bereits ausgesetzte Bestimmung kann daher weiterhin nicht angewendet werden. Geklagt hatten die Deutsche Telekom sowie der Münchner Provider Spacenet und in niederen Instanzen bereits vor fünf Jahren Recht bekommen.

Die Bundesregierung wollte die Vorgabe trotz bereits vorliegender mehrfacher Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung beibehalten und ging – vertreten durch die Bundesnetzagentur – in Revision vor das Bundesverwaltungsgericht. Die Leipziger Richter setzten das Verfahren zunächst aus und befragten den EuGH konkret zu den einschlägigen deutschen Paragrafen im TKG. Dieser erklärte die Vorschriften für unvereinbar mit den in der EU verbrieften Grundrechten. Unter Berücksichtigung der Entscheidung der Luxemburger Richter ist der BVerwG nun zu dem Ergebnis gekommen, dass die TKG-Klauseln "eine anlasslose, flächendeckende und personell, zeitlich und geografisch undifferenzierte Vorratsspeicherung eines Großteils der Verkehrs- und Standortdaten vorschreibt".

In den am Donnerstag veröffentlichten Urteilen vom 14. August (Az.: BVerwG 6 C 6.22 und 6 C 7.22) betont das höchste deutsche Verwaltungsgericht, dass bei den Bestimmungen bereits objektive Kriterien fehlten, "die einen Zusammenhang zwischen den zu speichernden Daten und dem verfolgten Ziel herstellen". Da die Vorratsspeicherung und der Zugang zu den gesammelten Informationen unterschiedliche Eingriffe in die betroffenen Grundrechte darstellten, die eine gesonderte Rechtfertigung erfordern, seien die gesetzlich vorgegebenen Grenzen der Verwendungszwecke "von vornherein nicht geeignet", die Anforderung klarer und präziser Regeln schon für das Protokollieren der Daten zu erfüllen.

Soweit die Informationen genutzt werden wollten, um die Quelle und den Adressaten einer Kommunikation zu identifizieren, fehlt es den TKG-Vorschriften laut den Beschlüssen zudem an der vom EuGH geforderten strikten Begrenzung der Vorratsdatenspeicherung "auf den Zweck des Schutzes der nationalen Sicherheit". Das allgemeine und unterschiedslose Aufbewahren von IP-Adressen könne den Luxemburger Richtern zufolge zwar für "die Bekämpfung schwerer Kriminalität und die Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit" zulässig sein. Eine solche Beschränkung finde sich im TKG aber nicht. Der EuGH urteilte am Donnerstag passend dazu auf Klage eines litauischen Staatsanwalts, dass Vorratsdaten, die zur Bekämpfung schwerer Kriminalität gesammelt wurden, nicht für Untersuchungen wegen Korruption im öffentlichen Sektor genutzt werden dürfen (Az.: C-162/22).

Auch die für die Ermittlung der Speicherzwecke maßgeblichen Vorgaben im Rahmen einer Bestandsdatenauskunft gingen deutlich über den EU-Rechtsrahmen hinaus, arbeitet das BVerwG heraus. Dies gelte nicht nur für die frühere Rechtslage, sondern auch für den neuen Kompromiss, auf den sich Bundestag und Bundesrat 2021 nach langem Tauziehen einigten und der angeblich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigen soll. Mit der Übereinkunft können Bundeskriminalamt (BKA) Bundespolizei etwa neben Namen und Anschriften auch Passwörter bei Telemedienanbietern wie WhatsApp, eBay, Facebook, Google mit Gmail und YouTube sowie Tinder abfragen. Auch hier muss der Gesetzgeber nun erneut nachbessern.

"Die Bundesregierung sollte jetzt endlich die Chance für eine politische Weichenstellung ergreifen und die Aufhebung der Vorratsdatenspeicherung in die Wege leiten", kommentierte Oliver Süme, Vorstandsvorsitzender des eco-Verbands der Internetwirtschaft, die Urteile. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) erklärte in diesem Sinne: "Die jetzigen Entscheidungen sind für uns ein klarer Auftrag, die Vorratsdatenspeicherung nun zügig aus dem Gesetz zu streichen – und die digitalen Bürgerrechte in unserem Land weiter zu stärken." Im Rechtsstaat dürften nicht alle Bürger unter Generalverdacht gestellt werden. Der Liberale hat bereits einen Alternativvorschlag für das Einfrieren von Verkehrsdaten im Verdachtsfall (Quick Freeze) vorgelegt. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) kämpft dagegen für eine anlasslose Speicherung von IP-Adressen und Portnummern.

(mho)