"Stasi-Paragraph": US-Parlament vor Ausweitung des Spionage-Zwangs

Nicht nur Putzfrauen sollen gezwungen werden, Kunden für US-Dienste auszuspionieren, etwa durch Hardware-Manipulation. Nicht zufällig drängt im Senat die Zeit.

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Eine Faust hält einen Strang bunter Fäden, der sich links der Faust in sechs Fäden unterschiedlicher Farben aufteilt

(Bild: Lightspring/Shutterstock.com)

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Schnell, schnell muss es gehen im US-Senat. Denn am Freitag läuft der berüchtigte Abschnitt 702 des Überwachungsgesetzes FISA (Foreign Intelligence Surveillance Act) aus. Das darf nicht passieren, meinen beide US-Parteien – obwohl Donald Trump, Präsidentschaftskandidat der Republikaner, gegenwärtig für die Abschaffung dieses Überwachungsgesetzes ist. Das Unterhaus hat eine Verlängerung um zwei Jahre beschlossen, einen "Stasi-Paragraphen" hinzugefügt und gleichzeitig den Spionageauftrag erweitert. Der US-Senat muss noch zustimmen, mit Betonung auf "muss".

Die in Washington als Stasi-Paragraph bekannte Norm folgt eigentlich dem Beispiel der Volksrepublik China: Immer mehr Dritte sollen legal dazu gezwungen werden, heimlich für US-Geheimdienste zu spionieren. Bereits seit Jahren betroffen sind Netzbetreiber (electronic communication service provider). Doch das reicht den Spionen nicht mehr. Fortan sollen (mit wenigen Ausnahmen) alle und jeder dazu gezwungen werden können, die irgendwie Zugang zu Kabeln oder Geräten haben, über die Kommunikation laufen oder auf der Kommunikation gespeichert werden könnte. Das reicht vom Händler, der ein Netzwerkkabel verkauft, über den Bürovermieter bis zur Reinigungskraft, die einen Router abstauben kommt.

Sie alle können fortan legal dazu gezwungen werden, Daten abzusaugen, Spyware zu installieren oder Hardware zu manipulieren – so sieht es die vom US-Unterhaus verabschiedete Reform des FISA vor. Ausgenommen sind lediglich Vermieter bestimmten Wohnraums, Restaurants, und bestimmte öffentliche Einrichtungen wie Wasser- und Abwasserwerke, Müllentsorger, Polizei und Feuerwehr, Spitäler und Bibliotheken. Schon die Ausnahmeregeln zeigen, wie weitreichend der Spionagezwang ist.

Und es gibt eine große Ausnahme von der Ausnahme: Hat jemand von den Ausgenommenen ein Gerät oder Kabel zur Aufbewahrung oder Verwaltung inne, kann auch er zur Spionage gezwungen werden. Man denke an ein Krankenhaus, das eigentlich ausgenommen ist, das aber auf das Handy eines Patienten aufpasst, während er behandelt oder operiert wird.

Eine weitere Änderung weitet die Definition der zu sammelnden Daten aus. Es geht schon lange nicht mehr nur um Terrorismus und die Spionageabwehr. Nun kommen auch Drogen expliziert hinzu, und sogar deren Vorläufersubstanzen, die nicht selten alltägliche und harmlose Anwendungen haben. Informationen über Produktion, Verteilung und Finanzierung (!) solcher Substanzen sollen fortan offizielles Ziel der US-Auslandsspionage sein.

Ausgedehnt wird auch die Verwendung der gewonnenen Daten: Sie sollen fortan in vollem Umfang zur Überwachung jeder ausländischen Person genutzt werden dürfen, die vorhat, in die USA einzureisen.

Der Begriff Auslandsspionage ist mit Anführungszeichen zu verstehen. Offiziell sind Ausländer völliges Freiwild, US-Personen dürfen aber im Inland nicht ausspioniert werden. Offiziell. Tatsächlich ist diese Einschränkung so dicht wie ein Maschendrahtzaun. Kommunikation von US-Personen im Inland mit Ausländern wird ebenso überwacht, wie inländische Kommunikation zwischen US-Personen, in der ausländische Ziele bloß erwähnt werden. Letzteres ist als "abouts-communication" bekannt und soll fortan nicht mehr zulässig sein – das wäre die einzige Einschränkung dieser FISA-"Reform". Die Einschränkung gilt allerdings nur für vorsätzliche Überwachung, die auf "abouts-communication" abzielt.

Ist sie Beifang anderer Überwachung, darf sie auch weiterhin ausgewertet werden. Das gilt überhaupt für alle Informationen von oder über US-Personen, die von den Geheimdiensten gesammelt wurde. Sie darf auch Jahre später noch für völlig andere Zwecke genutzt werden. Zwar gab es im Unterhaus einen Abänderungsantrag, der dem FBI auferlegt hätte, solche Datenbankabfragen nur mit richterlicher Genehmigung durchzuführen. Doch ist dieser Antrag mit 212 zu 212 Stimmen gescheitert.

Bei der Erneuerung des FISA-Abschnitts 702 hat man sich so viel Zeit gelassen, dass der US-Senat nun unter Zugzwang steht. Er muss bis Freitag ebenfalls zustimmen, sonst fällt die Rechtsgrundlage für ganz viel Spionage, und das will in Washington niemand. Zeit, mit dem Unterhaus über Änderungen der Novelle zu beraten, bleibt kaum. Die abschließende Unterschrift durch US-Präsident Biden ist reine Formsache, ist doch das Weiße Haus eine der treibenden Kräfte hinter der Reform.

(ds)