Virtuelle Hauptversammlung noch Zukunftsmusik

Seit kurzem können Aktionäre bei der Hauptversammlung ihres Unternehmens auch elektronisch per Internet abstimmen. Bislang nutzt aber kaum eine Firma die neue gesetzliche Möglichkeit.

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Von
  • Sebastian Knoppik
  • dpa

Seit kurzem können Aktionäre bei der Hauptversammlung ihres Unternehmens auch elektronisch per Internet abstimmen. Bislang allerdings nur theoretisch, denn es machen kaum Unternehmen von der neuen gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch. Zum Beispiel an Aktionärsschützer übertragen können Aktionäre ihr Stimmrecht dagegen schon länger, wenn sie nicht selbst reisen wollen oder können. Einen umfassenden Eindruck bietet aber nur die persönliche Teilnahme vor Ort: So lässt sich in der aktuell anstehenden Hauptversammlungs-Saison aktiv über den Kurs des Unternehmens mitentscheiden.

Mit dem "Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie" ist der Weg frei für die elektronische Hauptversammlung. Unter anderem sieht sie vor, dass Aktionäre ihre Stimme nun auf elektronischem Weg auch noch während der laufenden Versammlung abgeben können – etwa per E-Mail. Doch bislang gibt es noch keine großen Unternehmen, die ihren Aktionären in der laufenden Hauptversammlungs-Saison diese Möglichkeit einräumen, wie Marco Cabras, Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) in Düsseldorf, erklärt: "In der Praxis gibt es noch sehr große Probleme."

So sei etwa völlig unklar, wie verhindert werden kann, dass Aktionäre aus der Anonymität des Internets heraus den Vorstand online mit Anfragen bombardieren und so die Hauptversammlung lahmlegen. Daher werden die meisten Aktiengesellschaften wohl eher von einer anderen neue Möglichkeit Gebrauch machen, wie Cabras vermutet: "In Zukunft können Aktionäre vorab per Brief ihre Stimme abgeben." Allerdings verlieren diese Stimmen ihre Gültigkeit, wenn die Vorschläge während der Hauptversammlung geändert werden.

Gerade bei größeren Konzernen können Aktionäre aber schon heute oft aus der Ferne beobachten: Zumindest die Reden der Vorstände werden von vielen live im Internet übertragen. "Meist brechen die Übertragungen dann ab, wenn die Aktionäre zu sprechen beginnen", lautet die Erfahrung von Cordula Heldt, Juristin beim Deutschen Aktieninstitut in Frankfurt. Ob in Zukunft die kompletten Versammlungen, einschließlich der Aussprache und der Abstimmungen, übertragen werden, bleibe abzuwarten.

Auch ohne elektronische Teilnahme-Möglichkeit können Privatanleger schon jetzt ihre Stimme abgeben, ohne persönlich bei der Aktionärsversammlung anwesend zu sein – indem sie ihre Stimme vorab auf einen Vertreter übertragen. Dabei können die Aktienbesitzer wählen, ob sie einen Vertreter der jeweiligen Depot-Bank, des Unternehmens oder einer Aktionärsvereinigung beauftragen.

Dazu gehören etwa die DSW und die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) in München. Beide vertreten die Stimmen von Privatanlegern kostenlos und bieten diesen Service auch für Nichtmitglieder. "Je mehr Stimmen wir vertreten, desto höher ist unser Einfluss", sagt Cabras. Die DSW besucht seinen Angaben zufolge pro Jahr bis zu 800 Hauptversammlungen, analysiert Geschäftsberichte und stellt Fragen an die Vorstände.

Bei der SdK hat der Anleger auch die Möglichkeit, dem jeweiligen Vertreter Fragen an den Vorstand mitzugeben. "Diese werden gestellt, wenn sie plausibel sind", sagt Verbandssprecher Lars Labryga. Gerade bei Nebenwerten könne der Aktionär durch solche Fragen interessante Informationen über das Unternehmen erhalten.

Jeder Anleger hat grundsätzlich auch die Möglichkeit, persönlich die Aktionärsversammlung seines Unternehmens zu besuchen. "Bei einer ganz normalen Hauptversammlung kriegen die Aktionäre zwar ein schönes warmes Essen. Aber der Aufwand ist enorm", sagt Cordula Heldt. Das gelte umso mehr, als Aktionäre seit Einführung der Abgeltungsteuer Kosten für die Fahrt zur Hauptversammlung nur noch in sehr geringem Umfang von der Steuer absetzen können.

Cabras empfiehlt Aktionären dennoch, auch einmal selbst zur Hauptversammlung zu reisen: "Die Anleger haben die Möglichkeit, dem Vorstand oder Aufsichtsrat persönlich ihre Meinung zu sagen." Es sei zwar richtig, dass die Stimme des einzelnen Kleinanlegers wenig Gewicht hat. Dennoch komme es auf jede Stimme an, etwa bei der Entlastung des Vorstands: "Da gucken sich die Unternehmen schon sehr genau an, mit wie viel Prozent entschieden wurde." (anw)