Grünes Licht für Internetsperren im Britischen Unterhaus

Abgeordnete übten während der 2. Lesung des Entwurfs für ein "Digital Economy Bill" zwar viel Kritik am abgekürzten Verfahren, letztlich kündigten aber auch die oppositionellen Konservativen ihre Unterstützung für das Vorhaben an.

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Der Entwurf für ein "Digital Economy Bill" hat nach seiner Behandlung im Britischen Oberhaus eine weitere parlamentarische Hürde genommen. Im nur spärlich besetzten Unterhaus bei der 2. Lesung des Vorhabens am gestrigen Dienstagabend übten Abgeordnete zwar viel Kritik am abgekürzten Gesetzgebungsverfahren vor den am 6. Mai anstehenden Neuwahlen. Letztlich kündigten aber auch die oppositionellen Konservativen ihre Unterstützung für das Hauptziel der Initiative an, den Urheberrechtsschutz im Internet zu verbessern. Sie forderten nur noch die Streichung von Paragrafen, die eine neue Aufgabenbeschreibung für die Regulierungsbehörde Ofcom sowie einfachere Lizenzierungsmöglichkeiten für "verwaiste" Werke vorsehen.

Kaum diskutiert wurde in der mehrstündigen Debatte die geplante Klausel, die eine "abgestufte Erwiderung" auf Copyright-Verletzungen vorsieht. Nach mehreren Warnhinweisen sollen bei wiederholten Rechtsverstößen nach einer einjährigen Übergangsfrist "technische" Sanktionen greifen, die von der Drosselung der Zugangsgeschwindigkeit bis zu einem zeitweiligen Kappen der Netzverbindung reichen. Allein Tom Watson, schärfster Kritiker des Entwurfs in der regierenden Labour-Fraktion, sorgte sich um eine mögliche "Kriminalisierung von Schulkindern" und verwies auf zehntausende E-Mails besorgter Bürger sowie eine Anzeigenkampagne von Bürgerrechtsorganisationen gegen den Vorstoß. Das formelle Vorgehen bezeichnete Watson als "schmutziges Geschäft".

Kulturminister Ben Bradshaw verteidigte den Entwurf: "Hunderte Millionen Pfund verlieren unsere kreativen Industrien pro Jahr wegen rechtswidrigen Filesharings." Es gebe zwar starke Proteste gegen die Pläne, räumte der Labour-Politiker ein. Gleichzeitig hätten aber auch "Hunderttausende" in der Unterhaltungs- und Medienwirtschaft das Gefühl, "dass sie das Gesetz jetzt brauchen". Unterhaus-Mehrheitsführerin Harriet Harman kündigte als Zugeständnis an die Kritiker an, dass der besonders umstrittene Artikel 18 unter Vorbehalt gesetzt und noch einmal gesondert vom Parlament bestätigt werden müsste. Laut der von den oppositionellen Liberalen im Oberhaus eingeführten Klausel sollen Provider gerichtlich per einstweiliger Verfügung dazu angehalten werden können, Webseiten oder Dienste zu blockieren, deren Inhalte zu "substanziellen Teilen" gegen das Copyright verstoßen.

Unter den Liberalen selbst findet dieser Ansatz kaum noch Befürworter. Der Kulturexperte der freiheitlichen Demokraten, Don Foster, forderte nun nur noch Nachbesserungen am Artikel 18 zu Websperren. Zudem bestand er auf eine Überarbeitung einer Passage, wonach auch Bibliotheken, Universitäten und Internet-Cafés vor allem beim Anbieten öffentlich zugänglicher WLAN-Hotspots Verpflichtungen zu Internetsperren nachkommen müssten.

Die Regierung hat vorgeschlagen, dass Rechteinhaber zur Begründung einer Aufforderung zur Blockade "schwere schädliche Auswirkungen auf die Wirtschaft oder Verbraucher" nachweisen müssten. Auch an § 17, der eigentlich durch die Bestimmung für Websperren ersetzt werden sollte, hält Labour mit ein paar Abmilderungen fest. Regierungsmitglieder sollen so das Copyright nicht mehr allein auf dem Verordnungsweg ändern können, um auf neue technische Entwicklungen bei rechtswidrigen Download-Aktivitäten reagieren zu können. Vielmehr müssten erst die Öffentlichkeit und das Parlament konsultiert werden.

Die Schlussabstimmung im Unterhaus soll nun schon heute Abend in 3. Lesung nach kurzen Beratungen des Entwurfs in Fachausschüssen erfolgen. Normalerweise sind für derartige parlamentarische Prüfungen mehrere Wochen und Monate vorgesehen. Das Digital Economy Bill ist aber Teil des so genannten Wash-up-Verfahrens, in dem Gesetze innerhalb einer Legislaturperiode, die diesmal am 12. April endet, im Schnelldurchgang gebündelt auf den Weg gebracht werden können. Das halten zwar auch konservative Politiker für "skandalös". Sie empfinden viele Bestandteile des Entwurfs aber für zu wichtig, um sie noch einmal auf die lange Bank zu schieben.

Aus der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft hagelt es derweil weiter Proteste. Die Open Rights Group sieht das Gesetz als Ausgeburt "eines der schlimmsten Lobbying-Skandale in diesem Parlament". Die Volksvertreter dürften sich daher nicht ihrer Aufgabe entziehen, dem Vorhaben die Giftzähne zu ziehen. Ein offener Brief von IT-Entwicklern bringt ihren "Horror und Ärger" über den dargestellten "Affront für den demokratischen Prozess" zum Ausdruck.

Richard Stallman, der Gründer der Free Software Foundation (FSF), mokiert sich derweil darüber, dass die Regierung in London den Briten einerseits mehr schnelle Internetzugänge verschaffen, ihnen andererseits durch eine "Aushebelung der Demokratie" das Breitband aber gleich wieder wegnehmen wolle. Als Ausweg aus dem Dilemma verweist er auf seinen alten Vorschlag, Urheber und Künstler besser über eine spezielle Abgabe mitzufinanzieren. Von der geplanten Breitbandsteuer in Höhe von 6 Pfund pro Jahr und Telefonanschluss ist die Regierung mittlerweile aber bereit, abzurücken, um der Opposition das Digital Economy Bill noch stärker schmackhaft zu machen. (anw)