Verbände beklagen schleichende Abkehr von offenen Standards

Linux-Verband, LiSoG und FSFE warnen im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des IT-Staatsvertrages vor einer weiteren Schwächung offener Standards.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Robert Seetzen
  • Dr. Oliver Diedrich

Kurz nach Inkrafttreten des IT-Staatsvertrages am 1. April (PDF-Datei) warnen der Linux-Verband LIVE, die Linux Solutions Group LiSoG und die Free Software Foundation Europe FSFE vor einer weiteren Schwächung offener Standards. Vor allem § 3, Abschnitt 1 des von Bund und Ländern formulierten Gesetzes weckt die Sorgen beider Verbände.

Im Hinblick auf "Datenformate und Standards für Verfahren, die zur Datenübertragung erforderlich sind", verlangt der Vertragstext: "Hierbei ist vorrangig auf bestehende Marktstandards abzustellen". Elmar Geese, Vorsitzender des Linux-Verbands, und Matthias Kirschner von der FSFE erwarten von dieser Formulierung vor allem die Festigung bereits bestehender Marktmonopole.

Geese sieht dabei auch die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen in Gefahr. "Es ist den Bürgern nicht zuzumuten, wenn sie propietäre Software kaufen müssen, um mit Ämtern elektronischen Datenaustausch zu betreiben". Geese weiter: "Unter solchen Vorzeichen würde eGovernment ad absurdum geführt. Große Teile der Gesellschaft könnten daran nicht teilhaben". Thomas Uhl, stellvertretender Vorsitzender der LiSoG, ergänzt: "Offene Standards sind die Grundlage für Interoperabilität und einen fairen Wettbewerb". Für die uneingeschränkte Nutzung offener Software sei das Thema von entscheidender Bedeutung. Kirschner zitiert in seinem Blog aus dem Koalitionsvertrag: "Wir prüfen, wie die IT des Bundes sich zukünftig an offenen Standards orientieren und dabei auch Open-Source-Lösungen berücksichtigen kann."

Dass nicht nur Open-Source-Aktivisten alarmiert sind, zeigt ein fraktionenübergreifend formulierter Antrag des Berliner Abgeordnetenhauses vom 17. März. Hier fordern Grüne, Linke, SPD, CDU und FDP in seltener Einmütigkeit unter anderem "Die im Staatsvertrag vorgesehene vorrangige Verwendung bestehender Markstandards darf nicht zu marktbeherrschenden Positionen von Anbietern dieser technischen Standards führen". Einen Absatz später verlangen die Fraktionen sogar ausdrücklich, vorrangig offene IT-Standards einzusetzen.

Derart unmissverständliche Töne würden LIVE und LiSoG derzeit auch gerne aus Brüssel hören. Die aktuelle Überarbeitung des European Interoperatibilty Frameworks EIF bringe "keine auch nur ansatzweise akzeptable Definition, was offene Standards ausmacht". LIVE und LiSoG stellen den schwachen Formulierungen eine Reihe eigener Definitionen entgegen. Zu einem offenen Standard zähle etwa, dass er "ohne rechtliche oder technische Hindernisse implementierbar, offengelegt und unabhängig von einem einzelnen Unternehmen sei". Ob solche Festellungen bald wieder verstärkt Einzug in die Gesetzgebung finden, ist derzeit allerdings kaum auszumachen. Immerhin: Die Diskussion nimmt an Fahrt auf und rückt ein vormals eher im Administrativen verstecktes Thema zunehmend ins Blickfeld der Öffentlichkeit.

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(odi)