CFP: Big Brother Awards USA an übereifrige Terrorbekämpfer

Amerikanische Bürgerrechtler zeichnen die US-Transportbehörde für ihre "No fly"-Liste, die Firma Seisint für ihre Matrix-Überwachungsdatenbank sowie Northwest Airlines als größte Datenschutzverächter aus.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 112 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Mit viel schwarzem Humor zeichneten US-Bürgerrechtler am gestrigen Mittwochabend während der CFP-Konferenz in Berkeley (Computers, Freedom & Privacy) die größten Datenschutzverächter in den Vereinigten Staaten aus. Die Verleihung stand ganz im Zeichen des Kampfs gegen den Terrorismus, der nach Ansicht der Datenschützer längst weit über sein Ziel hinaus schießt und vor allem die Bürgerrechte trifft. Zu sehen war denn auch eine fiktive Videobotschaft Osama bin Ladens, der die Einschränkung der Freiheitsrechte durch den Patriot Act oder CAPPS II (Computer Assisted Passenger Pre-screening System) als den größten Sieg von Al Qaida feierte.

Wenig schwer fiel die Wahl beim "Bürokraten-Horror-Preis", der an die Transportation Security Administration (TSA) ging. Die Behörde unterhält die umstrittene "No fly"-Liste, die Terrorverdächtige vom Flugreiseverkehr ausschließen soll. Den Preis musste eine als Sicherheitskraft verkleidete Darstellerin aus den Reihen der Bürgerrechtler entgegennehmen, da kein Vertreter der zum US-Innenministerium gehörenden Verwaltung abkömmlich war. Das mache aber nichts, erklärte die symbolhaft Ausgezeichnete und angeblich in "116 Stunden" mit dem Bus von der Ostküste Angereiste unter dem Gelächter des Publikums: die Behördenvertreter "sehen wir eh bald vor Gericht". Der Award selbst bestand dieses Jahr passend zu diesem ersten Preisträger aus einem roten Absperrband. Damit erwiesen sich die Verleiher als Meister der Doppeldeutigkeit, da der englische Begriff ("red tape") auch für den wiehernden Amtsschimmel steht.

Mit dem Award für die "schlimmste Firma" wurde Northwest Airlines bedacht. Die Fluglinie hatte Anfang des Jahres zugegeben, nach dem 11. September die vertraulichen persönlichen Daten von Millionen von Kunden an die Regierung für Experimente bei der Terrorismusbekämpfung weitergeleitet zu haben. Damit habe das Unternehmen die Grenze zwischen staatlicher und privater Datenhaltung deutlich überschritten, kritisierte Chris Hoofnagle vom Electronic Privacy Information Center (EPIC), der stellvertretend für den Award-Begründer Simon Davies von Privacy International durch die Zeremonie führte.

Mit der zweifelhaften Auszeichnung, den am meisten in die Bürgerrechten einschneidenden Vorschlag ausgearbeitet zu haben, darf sich schließlich künftig das Unternehmen Seisint schmücken. Die in Florida sitzende Firma hat die Grundlagen für ein nach Protesten offiziell weitgehend wieder gestopptes System zur Musteranalyse umfassender persönlicher Informationen über die US-Bürger entwickelt. Die "Matrix"-Datenbank wollten zahlreiche US-Bundesstaaten gemeinsam betreiben.

In seiner "Laudatio" gab Hoofnagle zu bedenken, dass neben "Big Brother" auch viele andere von George Orwell bekannt gemachte Metaphern inzwischen "einen direkten Bezug für unser Leben bekommen haben". Die Überwachung der Bevölkerung habe gefährliche Ausmaße angenommen, sodass sich viele Bürger in der Öffentlichkeit "nackt" und "zensiert" fühlen würden. An die Privatsphäre könne man wohl nur noch im Sinne Kafkas denken, da selbst die Nachbarn inzwischen von der Regierung zu Spitzeltätigkeiten veranlasst würden. Die britische Autorin Wendy Grossman widmete ganz in diesem Sinne US-Justizminister John Ashcroft ein Ständchen auf dem Banjo mit dem Titel: "Ich möchte ein Spion sein", in dem sie sich als "Soldatin" in der Armee des Terrorbekämpfers in Szene setzte.

Gemäß der US-Philosophie des positiven Denkens überreichte Hoofnagle weiterhin den Brandeis-Award an die kalifornische Senatorin Liz Figueroa von den Demokraten. Der Name des Preises geht auf den ehemaligen US-Verfassungsrichter Louis Brandeis zurück, der schon 1890 das "Recht allein gelassen zu werden" proklamiert hatte. Figueroa, die die Auszeichnung persönlich entgegennahm, leistete in den vergangenen Jahren beispielsweise Vorarbeit für Bundesgesetze zum Schutz der Verbraucher vor unerwünschtem Telefonmarketing. Sie versprach, weiterhin eifrig im Kampf gegen die Erosion der Privatsphäre an der Seite der Bürgerrechtler aktiv zu sein.

Zur Konferenz Computers, Freedom & Privacy 2004 siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)