re:publica: Netzneutralität als Schutzwall gegen Zensur

Der US-Rechtsprofessor Tim Wu hat das Prinzip des offenen Internets als fundamental für die Meinungsfreiheit und die Selbstverwirklichung von Individuen bezeichnet. Die Geschichte zeige, dass "neue Medien" ohne solche Regeln rasch privater oder staatlicher Zensur unterworfen würden.

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Der US-Rechtsprofessor Tim Wu hat das Prinzip des offenen Internet als fundamental für den Erhalt demokratischer Grundwerte in der Informationsgesellschaft bezeichnet. "Die Netzneutralität ist so wichtig für die Meinungsfreiheit wie der erste Verfassungszusatz der US-Verfassung", sagte der Jurist am heutigen Donnerstag auf der Konferenz re:publica in Berlin. Das Prinzip des offenen Netzes sei verknüpft mit fundamentalen Fragen wie der Selbstverwirklichung von Individuen. Erstmals könne der Nutzer auf dieser Basis selbst entscheiden, welchen Informationen er sich aussetzen wolle. Das Internet sei zusammen mit dem Computer und dem Mobiltelefon eines der entscheidenden Werkzeuge, "die uns zu dem machen, was wir sind".

Die Netzneutralität basiert laut Wu auf der "alten Idee, nicht zwischen Inhalten zu unterscheiden". Diese finde sich etwa auch im übertragenen Sinne im Verkehrswesen, wo es in vielen Ländern allgemeine Transportverpflichtungen gebe. So dürften Taxi-Unternehmen etwa keine Kunden aufgrund ihrer Rasse oder Herkunft abweisen. Auch die allgemeinen Teile des Rechts- oder Wirtschaftssystems müssten für alle in gleichem Maße funktionieren. Entsprechende Regeln seien enorm wichtig, da sonst die Versuchung zur Zensur durch Private oder den Staat "sehr groß wird". Ganz in diesem Sinne werde in den kommenden Jahren der Druck anwachsen, das Internet zu filtern und zu kontrollieren.

Zur Untermauerung seiner These verwies der Rechtsexperte auf die Geschichte. Diese zeige, dass es nach der Entwicklung neuer Medien immer eine kurze Periode des Idealismus und der uneingeschränkten Kreativität gegeben habe. So sei es etwa mit dem Radio am Anfang des vergangenen Jahrhunderts oder beim Kino in den 1920ern und 1930ern der Fall gewesen. Die "freiwillige" Filmzensur etwa sei mit einem Handbuch des katholischen US-Priesters Daniel Lord entstanden, das dieser 1929 erarbeitet habe. Darin habe Lord festgeschrieben, dass über die Lichtbilder moralische Standards nicht abgesenkt und keine Verbrechen oder Sünden gezeigt werden dürften. Auch das Schlafen von Liebhabern in getrennten Betten habe der Code empfohlen. Da es damals in Hollywood nur fünf mehr oder weniger miteinander vernetzte große Filmstudios gegeben habe, sei es einfach gewesen, diese Regeln über eine Aufsichtsinstitution durchzusetzen. Bis heute würden die damals aufgestellten Werte und Erwartungen etwa an ein Happy End teils offen, teils subtil von Hollywood fortgeführt.

Bezogen auf die Debatte über die Netzneutralität meinte Wu, dass Regeln und Gesetze zwar eine gewisse Bedeutung hätten, die darunterliegenden gesellschaftlichen Werte aber viel wichtiger seien. Die Provider würden vor allem auf öffentlichen Druck reagieren, wollten im Prinzip vor allem Geld verdienen. Wichtiger sei es daher, große Lobby-Organisationen und Werte setzende Vereinigungen wie Kirchen oder Denkfabriken im Blick zu halten. Konkret stellte der Jurist, der die Diskussion über die Netzneutralität 2002 mit gestartet hat, drei Regeln zur Bewahrung des offenen Internets auf. Diese decken sich weitgehend mit den Netzneutralitätsprinzipien der US-Regulierungsbehörde Federal Communications Commission (FCC). So dürften Zugangsanbieter Inhalte nicht blockieren und Datenpakete nicht "unfair" diskriminieren. Nutzer müssten zudem die Werkzeuge ihrer Wahl einsetzen dürfen. (pmz)