re:publica: Die Karawane lacht, die Hunde bellen weiter

Inhaltlich wie politisch hat die re:publica als größte deutsche Konferenz der Blogger und Mikro-Blogger unter anderem ein Zeichen mit dem Schwerpunktthema Netzneutralität gesetzt. Durch den Kontinent Digitalien verlaufen aber auch Bruchlinien, die noch genauerer Untersuchung harren.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Detlef Borchers
  • Jürgen Kuri

Mit einem Massen-Karaoke der Bohemian Rhapsody endete die re:publica 2010 Ende vergangener Woche etwas außerplanmäßig. Die bunte Karawane der Internet-Aktivisten zieht aufgemuntert weiter, auf zum Radiocamp, zum Bibcamp, :Gendercamp, zur Deep Search, SigINT und vielen anderen speziellen Treffen. Der verdienstvolle und offenbar profitable Versuch der Organisatoren, all diese verschiedenen Lager zusammenzuführen, dürfte 2011 eine Fortsetzung finden.

Bohemian Rhapsody also. Der Opernsong der Pop-Geschichte vom "easy come, easy go", vom "nothing really matters" musste herhalten, eine Konferenz im "Nowhere" zu beenden. Ein geplantes Skype-Interview mit Twitter-Gründer Biz Stone fiel aus, weil dieser genug mit seinem Chirpcamp zu tun hatte. Das kann man durchaus symbolisch sehen: Die Subkonferenzen der Business Partner wie IBM/Lotus hatten einen schweren Stand, weil die Crowd wegschwappte. Die typischen Vorträge mit Dollarzeichen auf den Pupillen gehören eher zu einer Konferenz wie der next 10, die von Hamburg ins szenetypischere Berlin wechselt.

Summa summarum war die vierte re:publica jedoch ein Erfolg. Rund 2500 Teilnehmer kamen rund um den Friedrichstadtpalast zusammen. Zeitweilig waren mehr als 5000 Notebooks und Mobiltelefon im drahtlosen Netzwerk angemeldet, das entsprechend lahmte. Das hemmungslose Multitasking ging glimpflich aus, verletzt wurde niemand. Nach Angaben der Süddeutschen Zeitung soll sich die re:publica auch ökonomisch gerechnet haben, was die Veranstalter selbst allerdings noch nicht bestätigen können. Inhaltlich wie politisch hat die re:publica als größte deutsche Konferenz der Blogger und Mikro-Blogger (Twitterer) ein Zeichen mit dem Schwerpunktthema der Netzneutralität gesetzt: Wer in Zukunft das Internet regulieren darf oder ob alle Bits im Netz gleich sind, ist eine brandaktuelle Frage, bei der ein "unpolitischer" Verweis auf den freien Markt die falsche Antwort ist.

Erstmals beschäftigte sich die re:publica mit dem Nachwuchs. re:learn nannte sich die Vortrags-Schiene mit Themen wie Bloggen im Unterricht und den Lehr-Erfahrungen mit einer Laptop- oder iPhone-Klasse. Wie wichtig das Thema ist, zeigen Untersuchungen zur "Net-Generation" (PDF-Datei), die das deutsche Jugendinstitut und der Pädagogik-Professor Rolf Schulmeister 2004 und 2008 durchgeführt haben. Sie belegen, dass Deutschland den Anschluss an internationale Unterrichtsstandards verpasst hat, die den Anforderungen des Computerzeitalters gerecht werden. Bei der kritischen Bestandsaufnahme entpuppte sich das Gerede von den "digital Natives" als Märchen, als kommerzielle Zwecklüge von Anbietern, die möglichst früh unkritische Datenjunkies auf ihren Webportalen einfangen wollen.

Den Gedanken, dass für die "digital Natives" ein anderer Unterricht notwendig ist, formulierte Mark Prensky (PDF-Datei), der Theoretiker des "digital Game Based Learning" im Jahre 2001. Das Gegenstück zu den Eingeborenen nannte er "digital Immigrants". Diesen Gegensatz nahm der Unternehmensberater und Organisationspsychologe Peter Kruse auf, der in seinem Vortrag auf der re:publica 2010 von "digital Residents" und "digital Visitors" sprach. Er schilderte den Dauerkonflikt zwischen Bewohnern, die überall im Netz leben und Besuchern, die das Netz nur als Werkzeug sehen. Für viele Besucher der Konferenz war dieser hastig abgelieferte Vortrag der Höhepunkt, ein "intellektueller Kick", der ihr Leben auf dem achten Kontinent namens Digitalien in das richtige Licht setzte.

Wie der Kontinent Digitalien jedoch vom Aufeinanderprallen zweier nahezu ungebremst aufeinanderstoßender Kohorten erschüttert wird, zeigten deutlich die Vorträge um Datenschutz und Post-Privacy. So löste vor allem der Szene-Star Jeff Jarvis mit seinem mittlerweile wie ein Mantra vorgebetetem angeblichen deutschen Paradoxon Sauna vs. Privatsphäre und der Forderung nach einem Recht auf Öffentlichkeit Begeisterung und Kopfschütteln aus. Begeisterung bei den Verfechtern der Post-Privacy, die Datenschutz als Ideologie kritisieren. Kopfschütteln bei den Protagonisten eines Datenschutzes, die Erosion des Privaten im sozialen Echtzeit-Internet nicht allein als Chance begreifen. Der von Jarvis aufgebaute Widerspruch zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit wird in dieser Auseinandersetzung zu einem ideologischen Popanz, auf den sich beide Fraktionen schützend oder attackierend werfen.

Aber nicht nur die etwa von Christian Stöcker diagnostizierte "Zersplitterung" in Digitalien, die man wohl eher als Fraktionierung entlang ideologischer Bruchstellen einer Szene bezeichnen muss, die zur Selbstreferentialiät neigt und doch die Deutungshoheit über die Netzpolitik für sich beansprucht, machten der Veranstaltung zu schaffen.. Wie viele andere Veranstaltungen wurde auch de re:publica von dem über Europa verhängten Flugverbot getroffen. Darunter litt besonders der journalistische Teil. So musste das Referat von Journalisten des Guardian ausfallen, der zusammen mit seinen Lesern ein bislang einzigartiges Experiment im Corwdsourcing von Daten gemacht hatte, um Durchblick in die finanziellen Transaktionen der britischen Parlamentarier zu bekommen. So blieb der Vortrag von Wikileaks über Wikileaks, der "standing ovations" erhielt, gewissermaßen ohne sein empirisches Gegenstück. Die Plattform der Whistleblower konnte sich ganz im Lichte der aufsehenerregenden Veröffentlichung eines Hubschrauber-Videos aus dem Irakkrieg präsentieren.

Mit der nunmehr erreichten Größe der netzpolitischen Konferenz muss die nächste re:publica vor allem organisatorische Konsequenzen ziehen. Manche Vorträge, vor allem die zu Themen in der "Dritten Welt", ließen den riesigen Friedrichstadtpalast gähnend leer erscheinen, andere waren in den kleinen Räumen der benachbarten Kalkscheune hoffnungslos überlaufen. Eine Art Crowdrooming, ein flexibles Wahlverfahren mit all den aktivierten Smartphones muss her, damit die Veranstalter auf diese Art des Ganzkörper-DoS reagieren können. (jk)