INET 2004: Lieber anbauen als ersetzen

Die Erweiterung des Domain Name System um nicht-englische Domains ist für die Nutzer keine Lösung von Internationalisierungsproblemen.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert

Die Erweiterung des Domain Name System um nicht-englische Domains löst die Mehrzahl der Internationalisierungsprobleme aus Sicht der Nutzer bislang nicht. Beim Mailversand können sie keine Adressen in ihren eigenen Sprachen verwenden. Auf Protokollebene läuft auch nichts ohne ASCII und um die Eingabe von http:// kommt kein Nutzer herum. Müssen also nicht neue Suchsysteme oberhalb des auf ASCII-festgelegten DNS installiert werden, um den Sprachanforderungen der Nutzer in aller Welt besser gerecht zu werden, fragten daher Experten bei der INET , der Konferenz der Internet Society, die gestern Abend zusammen mit dem Internet Global Congress in Barcelona eröffnet wurde.

Mehr und mehr Domainregistries sind nach der Verabschiedung des Standards über Internationalisierte Domainnamen in Applikationen (IDNA) durch die Internet Engineering Task Force (IETF) mit lokalisierten Domainadressen gestartet, auch die Denic. Doch ein Haufen Probleme macht den Einsatz ganz schön holprig. Abgesehen davon, dass der Mailversand nicht möglich ist, hängt schon die Eingabe der Domains davon ab, ob das entsprechende Keyboard zur Hand ist.

"Der Nutzer, der sich wahnsinnig darüber freut, dass er statt einer klanglichen Entsprechung in ASCII, die er und andere sich merken konnten, einen Kauderwelsch mit der Vorsilbe xn registrieren und im Web suchen kann, ist mir noch nicht begegnet", sagte DNS-Experte John Klensin. Als reine Client-Lösung funktionieren die lokalen Domains immer nur so weit, wie die Client-Systeme die IDNA-Kodiersprache Punycode implementiert haben. Da hapert es schon bei Standardbrowsern wie dem Internet Explorer.

Klensin warnt im übrigen davor, dass die neue Sprachvielfalt von Betrügern ausgenutzt werden kann. Ein lateinische e (in Unicode als Nummer 0065 verzeichnet) und ein kyrillisches ie (Unicode Nummer 0435) sind im DNS unterscheidbar, für den Nutzer sehen sie aber gleich aus. Lässt eine Registry die Mischung von verschiedenen Zeichensätzen zu, kann beispielsweise heise.pl in vier verschiedenen Varianten registriert werden. Bei den generischen Top Level Domains verbietet die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers das Mischen, doch die nationalen Top Level Domains entscheiden darüber in Eigenregie.

Andererseits kann die Verpflichtung einer Registry, die vier heise.pl-Domains nur im Set anzubieten und zu berechnen, die Flexibilität bei der Registrierung einschränken, so Klensin. Dafür haben sich die asiatischen Registries entschieden, weil sie erhebliche Überschneidungen innerhalb ihrer Zeichensätze und auch zwischen Sprachen wie chinesisch und japanisch haben. So wird etwa die klassische chinesische Variante eines chinesischen Zeichens nur zusammen mit der modernen Variante vergeben. Am Ende könnte man bei einem System landen, in dem selbst ungrammatische Ausdrücke verboten werden, so Klensin.

Angesichts der Schwierigkeiten empfahlen Klensin und IDNA-Koautor Patrik Fältström, sich mehr Gedanken über Adressierungssysteme zu machen, die über dem DNS liegen. "Dass das DNS nur ASCII nutzen kann, muss nicht bedeuten, dass der Nutzer nur ASCII nutzen kann", sagte Patrik Fältström. Klensin hat in einem Request for Comment ein dreistufiges suchbasiertes System vorgeschlagen, in dem das DNS mit globalen whitepages und lokalisierten gelben Seiten ergänzt werden soll. Ein solcher "Suchmaschinen-Zugang" zum DNS, das selbst zur Suche ähnlicher Namen nicht geeignet ist, komme den veränderten Nutzergewohnheiten entgegen. Immerhin sei erwiesen, dass der gemeine Nutzer inzwischen sogar ibm.com unter google und nicht über DNS-Anfrage sucht. Ein Umkrempeln auf eine echte Internationalisierung von DNS samt Mailprotokollen sei dagegen völlig unrealistisch.

Fältström und Klensin wandten sich aber auch klar gegen den Einwurf von Leslie Daigle, Entwicklerin bei VeriSign, dass VeriSign mit dem Sitefinder-Service genau eine solche Strategie verfolgt habe. VeriSign hatte per Wildcard alle Anfragen auf nicht registrierte Domains auf eine eigenen Suchseite umgeleitet. Die Verschiebung von Intelligenz zu den Registries würde Innovation im Bereich der Applikationen verhindern, warnte Klensin und mache auch wegen diverser Datenschutzfragen Bauchschmerzen. (Monika Ermert) / (wst)