Milliarden-Projekt "Herkules" erneut umstritten

Das IT-Modernisierungsprojekt "Herkules" der Bundeswehr steht unter Beschuss: Viele Nutzer zeigen sich laut einer internen Umfrage des Bundesverteidigungsministeriums wenig zufrieden mit dem bisher Erreichten; von den Dienststellenleitern glaubt nicht einmal mehr die Hälfte an einen erfolgreichen Abschluss des Projekts, das schon mehrere hundert Millionen Euro Mehrkosten verursacht hat.

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Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti

Das IT-Modernisierungsprojekt der Bundeswehr "Herkules" steht unter Beschuss. Wie das Handelsblatt am Dienstag berichtet, zeigen sich viele Nutzer in einer internen Umfrage des Bundesverteidigungsministeriums wenig zufrieden mit dem bisher Erreichten.

Das Blatt zitiert aus einem "vertraulichen" Zwischenstandsbericht namens "Evaluierung der Zielerreichung und der Wirtschaftlichkeit des Kooperationsprojektes Herkules", der dem Haushalts- und den Verteidigungsausschuss des Bundestags vorgelegt werden soll. Der Bericht wird halbjährlich für den Bundestag vom Bundesverteidigungsministerium erstellt und ist erst der zweite seiner Art. Weite Teile des Berichts basieren auf Umfragen. Das Ministerium hatte im Herbst 2009 rund 128.000 Endnutzer und deren Vorgesetzte angeschrieben. Über 30.000 Nutzer nahmen an der Umfrage teil, darunter 7000 Nutzer, die bereits mit modernisierten Systemen arbeiten.

Während 60 Prozent der Nutzer des alten Systems angaben, ihre Aufgaben erfüllen zu können, waren dazu lediglich 70 Prozent der Nutzer des teil-modernisierten Systems im Stande – erwartet worden war offenbar deutlich mehr. Ein Viertel der Nutzer gab an, dass sich ihrer Situation verschlechtert habe. Zu ähnlich schlechten Ergebnissen kam der Rücklauf der Umfrage unter den Vorgesetzten: So monierte jede vierte Dienststelle "häufige" oder "sehr häufige" Störungen sowie "sehr häufige" Ausfälle des gesamten IT-Netzes, wobei der Bericht an dieser Stelle nicht zwischen dem alten und dem modernisierten Netz unterscheidet. Jede dritte Dienststelle zeigte sich mit der Verbindungsgeschwindigkeit des Netzes unzufrieden. Modernisierte Dienststellen beurteilten dies jedoch als "deutlich besser".

Je höher die Befragten in der Hierarchiestufe stehen, desto kritischer zeigen sie sich. So sind neun der insgesamt elf befragten IT-Verantwortlichen der Teilstreitkräfte der Meinung: "Niemand hält die BWI-IT für einen guten industriellen Partner, der der Aufgabe gewachsen ist und flexibel genug ist, um auf die Besonderheiten seines Organisationsbereichs einzugehen." An der Kooperationsgesellschaft sind der Elektrokonzern Siemens mit 50,05 Prozent, der IT-Konzern IBM mit 0,05 Prozent sowie die Bundeswehr zu 49,9 Prozent beteiligt. Laut Jochen Reinhardt, dem Sprecher der BWI-IT, liegt der Gesellschaft der Bericht offiziell noch immer nicht vor.

Jochen Reinhardt sagte gegenüber heise online, dass "Herkules" bisher lediglich in zwei Teilprojekten hinter Plan liege. Dabei handele es sich zum einen um den Ausbau des Bundeswehrnetzes, zum anderen um die Ausstattung der Streitkräfte mit 300.000 neuen Telefonen und 140.000 neuen Computern, die mit standardisierter Software ausgestattet per Fernwartung an das interne Netz angeschlossen werden sollten.

Als Grund für den Rückstand gab Reinhardt an, dass die Bundeswehr während der Vertragsverhandlungen nicht in der Lage gewesen sei, den Status Quo der Liegenschaftsverkabelung zu benennen. Man habe daher zunächst jede einzelne Liegenschaft untersuchen müssen, um festzustellen, ob die vorhandene Infrastruktur ausreiche, ob eine Verkabelung oder ein Netzanschluss per Richtfunk sinnvoll sei. Die Alternative hätte darin bestanden, alle Kasernen mit einem hochwertigen Standard namens AU 170 auszustatten, der aber für die Erfüllung der Leistungskategorie nicht unbedingt notwendig gewesen sei. Die differenzierte Herangehensweise hätte zwar mehr Zeit in Anspruch genommen, aber man hätte auf diese Weise 500 Millionen Euro einsparen können. Dies sei auch der Grund, warum es zu zeitlichen Verzögerungen bei der PC-Ausstattung gekommen sei, weil nur dort neue PCs aufgestellt wurden, wo das Netz bereits ausgebaut war.

Laut dem Bericht des Verteidigungsministeriums glaubt inzwischen "weniger als die Hälfte" der Dienststellenleiter noch an einen erfolgreichen Abschluss von "Herkules", das bereits in der Ausschreibungsphase zahlreiche Schwierigkeiten überwinden musste. Während im Handelsblatt davon die Rede ist, dass die Erstausstattung der Bundeswehr frühestens Ende 2012 abgeschlossen sein soll, weiß BWI-IT-Sprecher Reinhardt lediglich von einer Verzögerung bis Ende 2011, "höchstens" Frühjahr 2012. Die anderen Herkules-Teilprojekte wie etwa die Modernisierung der Rechenzentren befänden sich im Plan.

Zwei der drei neuen Rechenzentren der Bundeswehr sind laut Reinhardt bereits fertig aufgebaut, das dritte werde Ende des Jahres fertig. Ein anderes Teilprojekt namens "Auskunft und Vermittlung" soll die herkömmlichen, aber oftmals nicht rund um die Uhr besetzten Telefonzentralen ersetzen. Dafür wurden zehn untereinander verbundene Vermittlungszentralen aufgebaut, die 24 Stunden am Tag erreichbar sind. Dieses Teilprojekt sei, so Reinhardt, sechs Monate früher als vereinbart abgeschlossen worden. Ein weiteres Teilprojekt namens User-Helpdesk, das eine zentrale Hotline für Bestellungen und IT-Probleme für die Bundeswehr darstellt, ist nahezu abgeschlossen.

Ende 2006 wurde das Herkules-Projekt mit einem Volumen von 7,1 Milliarden. Euro kalkuliert. Laut Handelsblatt gilt das Projekt inzwischen als nicht mehr seriös kalkulierbar. BWI-IT-Sprecher Reinhardt sagt hingegen, dass es verschiedene Berechnungen gebe, die zurzeit geklärt würden. Reinhardt weiß lediglich von 635 Million Euro Mehrleistungen, die im Moment mit dem IT-Amt des Ministeriums verhandelt werden. Diese beziehen sich nur auf die Mehrkosten, die sich beim Ausbau des LANs sowie vom Vertrag nicht abgedeckten Zusatzleistungen ergeben. Diese seien entstanden, weil der Stand der IT 2006 anders war als 2010. (pmz)