Smalleys Vision

Forscher der Rice University haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Kohlenstoffnanoröhren endlich geordnet zu Hunderte Metern langen Fasern zusammenlagern. Ihr Ziel: daraus irgendwann nahezu verlustfreie Stromleitungen zu machen.

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Von
  • Katherine Bourzac

Forscher der Rice University haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Kohlenstoff-Nanoröhren endlich geordnet zu Hunderte Metern langen Fasern zusammenlagern. Ihr Ziel: daraus irgendwann nahezu verlustfreie Stromleitungen zu machen.

Eine feine schwarze Faser spult sich in den Glasbecher hinein. Was wie ein zu dünn geratener steifer Zwirnfaden aussieht, ist in Wirklichkeit eine kunstvolle Aneinanderreihung von Kohlenstoff-Nanoröhren – aufgerollten, ein Atom dicken Graphitschichten. Seit zehn Jahren arbeiten Forscher an dem Garn der Zukunft, das dank der Zugfestigkeit der Röhrenmoleküle ungeheuer reißfest werden soll. Nun hat die Gruppe um den Chemieingenieur Matteo Pasquali von Rice University in Texas ein Verfahren gefunden, um mehrere hundert Meter lange Nanotube-Fasern zu spinnen.

Seit die Röhrenmoleküle 1991 erstmals zweifelsfrei nachgewiesen wurden, haben ihre Eigenschaften die Fachwelt verblüfft: Sie sind leicht, aber belastbarer als Stahl, sie leiten Strom besser als Kupfer, können aber auch je nach Geometrie der Kohlenstoffatome Halbleiter sein. In der Praxis haben sie sich jedoch häufig als widerspenstig erwiesen – so auch bei den Versuchen, sie zu langen Fasern zu verarbeiten.

2001 hatte der Chemie-Nobelpreisträger Richard Smalley, einer der Entdecker der Fullerene, der kugelförmigen Verwandten der Nanotubes, damit begonnen, die Röhren aus einer Lösung heraus zu verarbeiten. Smalley dachte an kilometerlange Fasern, die eines Tages gar die Grundlage für die Kabel von Weltraumaufzügen sein könnten. „Dann hätten Sie das verdammt stärkste Ding im Universum“, sagte Smalley damals in Technology Review. Kabel aus den Fasern könnten auch Elektrizität von Wind- und Sonnenenergie in Ballungsräume leiten, ohne Energie durch Wärmedissipation zu verlieren.

Pasquali, von Anfang an in Smalleys Gruppe dabei, übernahm das Projekt nach dessen Tod 2005. Zunächst sei er skeptisch gewesen, räumt er ein. „Ich dachte, das ist komplett verrückt, weil Nanotubes sich nicht in Flüssigkeiten lösen – und die sind meine Spezialität.“

Aus diesem Grund haben andere Forscher darauf gesetzt, Fasern aus trockenen Röhrenmolekülen zu spinnen, sobald sie aus dem Reaktor kamen. Das Problem: So verarbeitet, richten die Nanotubes sich nicht exakt parallel aus. Aus ungerichteten Bündeln entstehen zwar Fasern, aber Leitfähigkeit und Zugfestigkeit sinken bei mangelnder Ordnung.

In einer Lösung könnten sie sich hingegen aufreihen wie Baumstämme auf einem Fluss. Den ersten Durchbruch schaffte die Smalley-Pasquali-Gruppe 2004, als sie die Herstellung von Kevlar kopierten. Die langen Fasern, aus denen schusssichere Westen gemacht werden, sind ebenfalls lang, dünn und schwer löslich. Mischt man das Polymer aber mit Schwefelsäure und lässt diese Lösung durch feine Düsen schießen, bilden sich die Kevlar-Fasern.

Die Rice-Forscher probierten es ebenfalls mit Schwefelsäure. Aber nur ein Teil der Nanoröhren löste sich. Dann nahmen sie Chlorsulfonsäure – und erreichten hohe Konzentrationen von gelösten Röhrenmolekülen. Die bilden darin einen Flüssigkristall, in dem sie bereits parallel ausgerichtet sind. Eine hervorragende Ausgangssituation.

Um Fäden zu spinnen, verwendet die Pasquali-Gruppe einwandige Nanotubes, die in einem noch von Smalley entwickelten Verfahren aus Kohlenmonoxid (CO) hergestellt werden. CO-Moleküle kommen in einem 1000 Grad heißen Reaktor mit Eisentröpfchen, die als Katalysator dienen, in Berührung und brechen auf. Die Kohlenstoffatome verbinden sich dann zu Zylindern mit einem Durchmesser von einem Nanometer, die zu einigen hundert Nanometern Länge heranwachsen. Die fliegen dann als schwarze Flocken in Behälter an der Decke des Reaktors. An die 200 Gramm sammeln sich in ihnen.

Bevor sie weiterverarbeitet werden können, müssen die Wissenschaftler noch Eisenverunreinigungen in den Röhren entfernen. Denn die würden als Defekte in dem Sechseck-Gitter, zu dem sich die Atome angeordnet haben, Leitfähigkeit und Stabilität beeinträchtigen. Dazu werden die Röhren zuerst in einem Ofen mit Sauerstoff behandelt, der das Eisen oxidiert und löslich macht. Die gereinigten Röhren werden nun in einen Glasbehälter gegeben und in eine Kammer mit einer Abzugshaube gestellt. Von der tropft kochende Salzsäure auf die Nanotubes und löst das oxidierte Eisen heraus. Die Röhren selbst bleiben unversehrt.

Nach dieser Säuredusche füllen die Forscher Nanotubes und Chlorsulfonsäure in eine Röhre aus rostfreiem Stahl. Bewegliche Kolben an beiden Enden der Röhre drücken immer wieder in das Gemisch, bis sich eine zähe Lösung mit Nanotube-Flüssigkeitkristallen gebildet hat (deren Gewichtsanteil liegt bei acht Prozent).

Als nächstes wird der eine der beiden Kolben gegen eine feine Düse ausgetauscht. Durch die drückt der untere Kolben die Flüssigkeit in ein Bad aus Diethylether. Während sich die Säure augenblicklich darin löst, fällen die Nanotube-Flüssigkristalle aus – und verbinden sich mit den nachfolgenden zu einer immer längeren Faser von 50 bis 100 Mikrometern Durchmesser.

Um deren Zugfestigkeit zu messen, befestigen Pasqualis Studenten die Faser mit Klebstoff an einem kleinen Papprahmen. Den spannen sie in die Zwingen eines Testgeräts, schneiden zwei Seiten durch – die Faser in der Mitte natürlich nicht – und ziehen die Zwingen dann allmählich auseinander, bis die Faser reißt. Derzeit kann sie einer Zugkraft von 350 Megapascal (350 Newton pro Quadratmillimeter) standhalten. Das ist zwar etwas schwächer als ein menschliches Haar, auf den winzigen Querschnitt bezogen jedoch ziemlich fest.

Die Zugfestigkeit der Nanotube-Faser hängt von der Reibung ab, die die Oberflächen der einzelnen Röhrenmoleküle aufeinander ausüben. Je länger die sind, desto mehr Reibung, desto stärker werden die Fasern. Die von Pasqualis Team verwendeten Nanotubes sind noch nicht sehr lang. Mit Faser- sowie Nanoröhren-Herstellern will er nun aber gemeinsam das Verfahren verfeinern und auf längere Nanotubes anwenden. Pasqualis Ziel ist eine Verzehnfachung der jetzigen Zugfestigkeit.

Für Smalleys Traum von Elektrokabeln aus Nanotubes müssen die Rice-Forscher aber noch ein anderes Problem lösen. Bislang haben die Fasern nämlich noch einen Widerstand von 120 Mikroohm pro Zentimeter – achtmal größer als der von Kupferdrähten. Das liegt daran, dass bei der Herstellung sowohl halbleitende als auch elektrisch leitende Röhrenmoleküle entstehen. Die Halbleiter-Röhren müssten vor dem Spinnverfahren vollständig entfernt werden, damit die Fasern es mit Kupfer aufnehmen können.

Zwar kann man die beiden Röhrenarten schon voneinander trennen, nur macht sie das bislang zu teuer für Elektrokabel. Matteo Pasquali hält aber auch dieses Problem für lösbar. Dann könnte das neue Material eines Tages die stahlverstärkten Aluminiumkabel im heutigen Stromnetz ersetzen – und einen Beitrag zu einem wirklich effizienten Smart Grid leisten. (nbo)