WebcamGate: Überwachungsmaßnahmen der Schulbehörde "fragwürdig"

Der Einsatz einer Überwachungssoftware auf Schüler-Laptops durch eine US-Schulbehörde war laut dem jetzt vorliegenden Untersuchungsbericht "übereifrig und fragwürdig", doch habe es keine Hinweise auf ein Ausspionieren der Schüler gegeben.

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Von
  • Detlef Borchers

Das für den Bezirk Lower Merion in Philadelphia (US-Bundesstaat Pennsylvania) zuständige Schulamt hat einen Untersuchungsbericht (PDF-Datei) zur Überwachung der Computer von Schülern durch Mitarbeiter der Behörde vorgelegt. Der Bericht bemängelt im Zusammenhang mit der Affäre zahlreiche Missstände in der Schulbehörde: Unklare Zuständigkeiten, Richtlinien fehlten oder wurden nicht richtig befolgt, Maßnahmen nicht angemessen protokolliert. Insgesamt attestieren die Prüfer der Schulbehörde einen "übereifrigen und fragwürdigen Einsatz von Technik ohne eine sichtbare Beachtung von Erwägungen zum Schutz der Privatsphäre". Doch heißt es im Bericht auch, es seien keine Hinweise gefunden worden, dass Schüler "ausspioniert" wurden.

Die zum Lower Merion School District gehörende Harriton High School ist eine der Schulen, die Laptops an Kinder benachteiligter Familien verleiht, damit diese am webgestützten Unterricht teilnehmen können. Für den Fall, dass verliehene PCs gestohlen oder anderweitig abhanden kommen könnten, installierten die IT-Verantwortlichen der Schulbehörde eine Überwachungssoftware namens LANrev TheftTrack. Das von der kanadischen Firma Absolute Software vertriebene (und inzwischen umbenannte) Programm hat eine "Computrace" genannte Funktion, die in festen Intervallen die Webcam des Laptops aktiviert, Fotos macht (das grüne Statuslämpchen geht dabei kurz an) sowie Screenshots anfertigt. Die Bilddateien werden dann via Internet an eine vorab definierte Adresse geschickt, sobald der Rechner online ist.

Der Untersuchungsbericht der von der Schulbehörde beauftragten Rechtsanwaltskanzlei Ballard Spahr kommt zu dem Schluss, die Überwachung sei in zwei Schuljahren bis zur Abschaltung des Systems im Februar 2010 insgesamt 177 Mal aktiviert worden, davon seien in 101 Fällen nur IP-Adressen protokolliert und keine Fotos oder Screenshots gemacht worden. In den anderen Fällen seien 30.564 Webcam-Fotos und 27.428 Screenshots angefertigt worden. Die meisten der Überwachungsmaßnahmen seien auf Meldungen über gestohlene oder verlorene Laptops initiiert worden. Doch könne in Fällen von zehn Schüler-Macbooks und sechs an Lehrer ausgegebenen Rechnern nicht geklärt werden, warum die Überwachung begonnen wurde. Außerdem hält der Untersuchungsbericht fest, dass es die Schulbehörde unterlassen habe, Schüler und Eltern über das installierte Programm und die Maßnahmen zu informieren. Vermutungen der Presse, dass die Screenshots der voyeuristischen Unterhaltung der Administratoren dienten, werden im Untersuchungsbericht ausdrücklich dementiert.

In einem Fall wurde die Überwachungssoftware eingesetzt, obwohl der Laptop weder verloren ging noch gestohlen wurde. Bei einem inzwischen 16-jährigen Schüler wurde die Software laut Bericht aktiviert, weil er trotz ausstehender Versicherungsgebühren ein Leihgerät als Ersatz für einen defekten Computer erhalten hatte. Daraufhin habe man beschlossen, das Gerät zurückzuholen und die Software sei aktiviert worden – dabei widersprechen sich die Aussagen, auf wessen Anweisung dies geschah. Die Software schickte innerhalb von 15 Tagen 210 Fotos und 218 Screenshots – Fotos, auf denen der Jugendliche schläft, auf denen er halb angezogen zu sehen ist, auch Fotos der Angehörigen sowie Screenshots von Chat-Sessions wurden gespeichert. Die führten zudem zu dem Verdacht seitens der Schulleitung, der Schüler habe mit Drogen zu tun, was dieser zurückweist. Der Anwalt der Familie erklärte gegenüber US-Medien, die auf einem Foto wohl zu sehenden "Pillen" seien Fruchtbonbons der vom Schüler bevorzugten Marke Mike and Ike.

Mit finanzieller Unterstützung der Bürgerrechtsbewegung ACLU haben die Eltern des Schülers eine Sammelklage gegen die Verantwortlichen angestrengt, unter anderem wegen Verletzung der Privatsphäre. In diesem Rechtsstreit wird nach Angaben des Philadelphia Inquirer die Schulbehörde von der Kanzlei vertreten, die die auch den Untersuchungsbericht angefertigt hat. Unabhängig von diesem Zivilverfahren und der Vorstellung des Berichtes ermittelt auch das FBI. Die US-Bundespolizei interessiert sich unter anderem für die Frage, ob die Schulbehörde im Rahmen der Überwachung auch Nacktfotos von Minderjährigen gemacht haben könnte. US-Berichten zufolge verlangen die Bundesbehörden Einsicht in die angefertigten Bilder, die bisher noch unter Verschluss seien. (vbr)