Viren töten Krebszellen

Deutsche Krebsforscher haben Ratten mit Hilfe von Parvoviren von bösartigen Hirntumoren befreit. Die Viren verursachten keine Nebenwirkungen. Die erste klinische Studie mit menschlichen Krebspatienten könnte zum Jahresende starten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 12 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery

Deutsche Krebsforscher haben Ratten mit Hilfe von Parvoviren von bösartigen Hirntumoren befreit. Die Viren verursachten keine Nebenwirkungen. Die erste klinische Studie mit menschlichen Krebspatienten könnte zum Jahresende starten.

Das Glioblastom ist die häufigste und gefährlichste Gehirntumor-Art. Die Standard-Behandlungsmethoden wie das operative Entfernen des Tumors, Bestrahlung und Chemotherapie verschaffen den Patienten wenig Aufschub: Nur etwa die Hälfte der Erkrankten überlebt das erste Jahr nach der Diagnose.

Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und der Neurochirurgischen Universitätsklinik in Heidelberg haben jetzt in Versuchen mit Ratten gezeigt, dass Glioblastome durch eine Behandlung mit bestimmten Parvoviren (Typ H-1) vollständig beseitigt werden können – ohne dass unerwünschte Nebenwirkungen auftreten. Da diese Virussorte beim Menschen keine Erkrankungen verursachen, hoffen die Forscher um Karsten Geletneky, Jean Rommelaere und Jörg Schlehofer, dass sich die Behandlung auch bei menschlichen Patienten bewähren wird. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachjournal "Neuro-Oncology".

In der Krebstherapie wurden bereits zahlreiche Virus-Arten erprobt, vor allem bei solchen Krebsarten, gegen die keine wirkungsvollen Behandlungen zur Verfügung stehen. Die meisten dieser Verfahren haben sich zwar in klinischen Studien als sicher erwiesen, konnten die Tumore aber nicht vollständig beseitigen. Das Parvovirus H-1 hingegen tötet Tumorzellen hochwirksam ab, ohne dabei gesundes Gewebe zu schädigen.

Die Wissenschaftler verabreichten die Viren entweder direkt in den Gehirntumor oder in die Blutbahn der erkrankten Versuchstiere. Bei den Ratten, denen die Viren direkt in den Tumor injiziert worden waren, bildete sich der Krebs bereits nach drei Tagen sichtbar zurück und verschwand bei acht der zwölf behandelten Tiere sogar vollständig. Bei der intravenös behandelten Gruppe bildeten sich die Tumoren bei sechs von neun Ratten vollständig zurück. Die Tiere überleben inzwischen seit mehr als einem Jahr symptomfrei und ohne Spätfolgen der Therapie. Ihre unbehandelten Artgenossen in der Kontrollgruppe hingegen litten unter schweren Krankheitszeichen und verstarben alle.

Die Versuche bestätigten, dass die H1-Parvoviren nur Tumorzellen zugrunde richten. Im gesunden Nervengewebe um die Geschwulst herum fanden die Forscher keinerlei infektionsbedingte Schäden. Die Viren griffen auch nicht auf den übrigen Körper über. Zwar ließ sich einige Tage nach der Virusübertragung Viren-DNA in mehreren Organen nachweisen – die Erreger dringen also auch in gesunde Zellen ein –, dies bleibt aber ohne schwer wiegende Folgen. Die Viren scheinen nur entartete Zellen im großen Maßstab dafür umzuprogrammieren, neue Viruspartikel zu produzieren.

Die Forscher vermuten, dass im Tumor bestimme Substanzen produziert werden, die der Erreger für seine Vermehrung gut gebrauchen kann. Gleichzeitig scheinen die Krebszellen – anders als gesunde Zellen – nicht genügend virusshemmende Stoffe wie Interferone herzustellen, um die Vermehrung der Viren zu unterbinden. Schließlich wird in den Tumorzellen offenbar ein Prozess ausgelöst, bei dem sich die Krebszellen gleichsam selbst zerlegen.

Die DKFZ-Forscher sind nach dem positiven Ausgang der Tier-Experimente überzeugt, dass sich Parvoviren für eine Krebstherapie eignen. Neben seiner Vorliebe für Tumorzellen hat Parvovirus H-1 noch eine weitere Eigenschaften, die für die Therapie von Glioblastomen entscheidend sein kann, sagt Professor Jörg Schlehofer: „Die Viren durchdringen die Blut-Hirnschranke, so dass wir sie einfach über die Blutbahn verabreichen können. Dass sie sich außerdem in den Krebszellen vermehren, ist gerade beim verzweigten Wachstum der Glioblastome für den Behandlungserfolg wichtig ist: So erreichen und vernichten die Viren der zweiten Generation auch solche Krebszellen, die sich bereits in einiger Entfernung vom Primärtumor abgesiedelt haben.“

Die DKFZ-Forscher planen derzeit gemeinsam mit der Neurochirurgischen Universitätsklinik Heidelberg eine erste klinische Studie mit 20 menschlichen Patienten, deren Gehirntumor sich allen anderen Behandlungen widersetzt hat. Wenn die für den klinischen Test vorgeschriebenen toxikologischen Tests planmäßig abgeschlossen werden und positiv verlaufen, könnten am Jahresende die ersten Patienten rekrutiert werden, sagt Jean Rommelaere. Als nächstes planen die DKFZ-Forscher, auch gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs eine Parvovirus-Therapie zu entwickeln. (vsz)