Gefahr aus der Tiefe

Das Öl-Desaster im Golf von Mexiko legt eklatante Schwächen aktueller Sicherheitssysteme offen.

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Von
  • Peter Fairley

Das Öl-Desaster im Golf von Mexiko legt eklatante Schwächen aktueller Sicherheitssysteme offen.

Thad Allen, Admiral der US-Küstenwache, brachte es auf den Punkt: Es sei "die Tyrannei der Entfernung und die Tyrannei der Tiefe", die verhindere, dass der scheinbar unaufhaltsame Fluss von Rohöl aus dem Bohrloch vor der Küste Louisianas gestoppt werden könne. Allen hat von US-Präsident Obama die undankbare Aufgabe erhalten, den Rettungseinsatz zu leiten und die Aktion in Zusammenarbeit mit dem britischen Ölkonzern BP zu managen, dem das Desaster auf der Ölbohrplattform "Deepwater Horizon" zuzuschreiben ist. 1,6 Kilometer tief liegt das Bohrloch.

Der Admiral verstärkte zunächst die Bemühungen, das aus der Tiefe schießende Öl zu verdünnen, es abzuschöpfen und daran zu hindern, die Küste zu erreichen. Seine Hauptpriorität liegt aber darauf, das Einströmen frischen Öls ins Meer zu stoppen. Das ist eine komplexe und höchst riskante Aufgabe, die noch nie zuvor gelöst werden musste.

Klar ist schon jetzt, dass sich die Ölbranche offensichtlich viel zu sehr auf ein bestimmtes Stück Technik verlassen hat, das eigentlich dazu dienen sollte, genau solche Unfälle zu vermeiden. Der sogenannte Blowout Preventer (BOP) ist ein Bohrlochschieber, der im Falle eines unkontrollierten Austretens von Gas oder Öl aus Tiefbohrstellen die Quelle abdichten soll. Er hat im Golf massiv versagt. Dabei gab es schon seit längerem Stimmen aus Forschung und Industrie, die sagten, dass man sich zu lange auf BOPs als wichtigste Verteidigungslinie gegen eine Ölpest verlassen habe.

Präsident Obama hat die Überprüfung der vor der US-Küste verwendeten Bohrtechnologie angeordnet. Erst wenn dieses Papier in einigen Wochen vorliegt, sollen neue Ölprojekte zugelassen werden. Bei dem Gutachten dürften die BOPs eine zentrale Rolle spielen. "Eine intensive Überprüfung mit einem anschließenden Technikwechsel steht höchstwahrscheinlich kurz bevor", meint Paul Bommer, Dozent für Ölfördertechnik an der University of Texas in Austin.

Der Deepwater Horizon-BOP besteht aus mehreren zusammen 400 Tonnen schweren hydraulischen Rammen, die das Bohrloch überspannen. Sie befinden sich kurz über dem Meeresboden. Als es Ende April zum Blowout kam und Öl und Gas nach oben schossen, hätte ein Signal der Bohrmannschaft oder auch nur der Verlust der Verbindung zur Oberfläche eigentlich dafür sorgen müssen, dass der pneumatische Druck in den Tanks des BOP freigeben wird. Doch die Versiegelung der Quelle fand nie statt.

Seither versucht BP mit Unterwasserrobotern (Remote Operated Vehicles, ROVs), die Ventile im Kontrollsystem des BOPs doch noch zu aktivieren. Doch das funktionierte bislang nicht. Einige Experten meinen, dem System fehle eine akustische Signalisierung, die in manch anderen BOPs eine Fernsteuerung ermöglicht. Bommer sieht das nicht unbedingt so – nun übernähmen die ROVs eben diesen Job, wenn auch einige Tage später.

Nun konzentrieren sich die Techniker auf die einzige bewiesene Methode, die Quelle auch ohne BOP zu versiegeln: Er wird umgangen, in dem man eine zweite Ölbohrstation eine neue Quelle (oder gleich mehrere) bohrt. So soll der Ölfluss abgeschnitten werden. Das Problem: Dieser Einsatz kann locker zwei oder drei Monate dauern. Aus diesem Grund wird parallel versucht, der Quelle eine tonnenschwere Glocke aufzusetzen, um das Öl dann in Tanker absaugen zu können. Doch das hat noch niemand in solchen Tiefen erfolgreich geschafft.

Das Bohren der Entlastungsquelle dauert indes nicht deshalb so lange, weil es höchste Präzision bräuchte. Die Telemetrie funktioniert auch in mehreren Kilometern Entfernung. Das Problem ist ein anderes: die enorme Tiefe der Quelle. 5,5 Kilometer muss BP ins Gestein hinein, unter den Meeresboden.

Andy Radford, Ölingenieur und Offshore-Experte bei der Washingtoner Lobbygruppe American Petroleum Institute, meint, dass die Bohrtiefe notwendig ist, um eine ausreichend große Entlastungsquelle zu erzeugen. Nur dann lässt sich der Druck von der Blowout-Stelle ableiten. Dieser sei vonseiten der ölführenden Gesteinsformation enorm. "Je tiefer man die Quelle abschneidet, desto weniger Pumpleistung benötigt man, um diesem Druck zu widerstehen."

Doch noch ist unklar, ob das auch klappt. Im schlimmsten Fall reicht die neue Quelle nicht aus und eine zweite muss gebohrt werden, was den Prozess weiter verlängert und noch mehr Öl im Golf bedeutet. BP und seine Industriepartner arbeiten deshalb parallel an anderen, teilweise noch niemals getesteten Ideen. Neben der erwähnten Glocke wären beispielsweise auch chemische Stoffe denkbar, die an die Stelle des Blowouts gepumpt werden, um das Öl noch vor Erreichen der Oberfläche zu zersetzen. Und dann ist da noch das gebrochene Steigrohr von der Quelle, das sich eventuell klammern ließe.

Einsatzleiter Allen sieht in all diesen Ideen ein gewisses Potenzial, hält einige, wie den Einsatz am Steigrohr, aber für gefährlich, weil sich der Ölausstoß sogar noch verstärken könnte, sollte das Manöver schief gehen. Geprüft wurden solche alternativen Methoden zum traditionellen BOP vor diesem Unfall noch kaum. Warum? "Diese Frage wird man sich sicher jetzt anschauen", meint Experte Radford von der Öllobby.

Die Tiefe des Lecks der Bohrinsel Deepwater Horizon ist zwar neu. Warnungen vor solchen Situationen gab es jedoch schon vor Jahren. Die Ingenieursfirma URS Corporation kam 2002 in einer Studie zu dem Schluss, dass "Technologien, wie man sie aus flachen Gewässern kennt, bei Wassertiefen über 1000 Meter nicht mehr ausreichen". Aus diesem Grund besitze man auch kaum Erkenntnisse über die Umweltauswirkungen der neuen Tiefwasserbohrtechnik. Nun hat man sie.

Und es geht weiter: 2005 schrieben Ölbohrtechnik-Forscher der Texas A&M University, dass die Tiefsee ein "gefährliches und unbekanntes Umfeld" darstelle, für das man neue Blowout-Kontrollmechanismen entwickeln müsse. "Zwar kann die Bohrtechnik insgesamt wohl mit diesem neuen Einsatzgebiet mithalten. Doch es gibt parallel eine technische Stagnation in anderen Bereichen. Eine davon, in der wir Veränderung brauchen, ist die Blowout-Kontrolle."

Eine weitere Analyse von Texas A&M-Forschern zu Vorkommnissen im Golf von Mexiko kam außerdem zu dem Schluss, dass es seit den 60er Jahren im Offshore-Bereich trotz BOPs "mit ziemlicher Regelmäßigkeit" zu Blowouts kam. Ergo: Der Einbau der Technik half nicht fiel. Laut Gesetz müssen BOPs alle 14 Tage überprüft werden. Im Fall der Deepwater Horizon lag der letzte Check nur zehn Tage zurück.

Forscher Bommer glaubt deshalb, dass es aufgrund der von Präsident Obama angeordneten Überprüfung zur Nutzung neuer Technologien kommen wird. Ein zweiter, unabhängiger BOP auf dem Meeresgrund sei eine interessante Möglichkeit.

Kritiker wird das kaum besänftigen. Sie wollen, dass die Obama-Administration ihre Pläne revidiert, vor der Golfküste verstärkt nach Öl und Gas bohren zu lassen. Jacqueline Savitz, leitende Forscherin bei der Meeresschutzorganisation Oceana, bringt die Forderung auf den Punkt: "Es gibt keine sichere Ölforderung, denn die Sicherheits- und Ölpest-Eindämmungstechnologien haben mit der Bohrtechnik nicht schrittgehalten." Aus diesem Grund sei ein Moratorium notwendig. "Es muss sowohl Probebohrungen als auch die Inbetriebnahme neuer Quellen umfassen." (bsc)