Die Woche: Die Mär von der Kostenlos-Mentalität

Nur wenige Hersteller kommerzieller Software bieten auch Linux-Versionen ihrer Anwendungen an: Der Markt sei zu klein und außerdem würden Linux-Nutzer nicht für Software zahlen. Die Erfahrungen von Wolfire widerlegen zumindest letzteres.

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Von
  • Andrea Müller

Kommerzielle Software-Hersteller – ob Shareware-Autoren oder große Firmen – bieten nur selten Linux-Versionen ihrer (Desktop-) Anwendungen an. Viel zu klein sei der Markt, als dass sich die Entwicklung lohnen würde, heißt es, und die Zielgruppe sei auch schwer zu bedienen. Bohrt man nach, kristallisiert sich nur allzu oft heraus, dass "schwierige Zielgruppe" die verbrämte Umschreibung dafür ist, dass Linux-Nutzer Software kostenlos haben wollen, schon weil sie es ja nicht anders gewohnt sind.

Dieses Bild vom knickrigen Linuxer widerlegen die Erfahrungen, die der Spieleanbieter Wolfire bei seiner Pay-what-you-want-Aktion gesammelt hat. Wolfire hat zusammen mit anderen Entwicklern fünf DRM-freie Spiele, darunter das unterhaltsame Puzzle "World of Goo", zu einem Bundle geschnürt, das jeder für einen Preis seiner Wahl erwerben kann. Alle fünf Spiele laufen unter Windows, Linux und Mac OS X und den Verkaufserlös des "Humble Indie Bundle" spendet Wolfire je nach Kundenwunsch an die Organisation "Child's Play charity" oder an die "Electronic Frontier Foundation".

Nach 53.500 Downloads zog Wolfire eine erste Bilanz. Wenig überraschend entfielen 65 Prozent der Downloads auf die Windows-Version. Der Anteil der Mac-OS-Downloads lag bei 21 Prozent, die restlichen 14 Prozent stellte Linux. Ein ganz anderes Bild zeigte sich jedoch bei der Verteilung des Geldes: Während die zahlenmäßig dominierenden Windows-Nutzer durchschnittlich gerade mal 6,78 US-Dollar für die Spiele ausgegeben hatten, griffen die Linux-Nutzer tiefer in die Tasche und zahlten mit durchschnittlich 13,65 US-Dollar doppelt so viel dafür. Die Mac-OS-Anwender lagen mit durchschnittlich 9,61 US-Dollar im Mittelfeld. Nach dieser ersten Auswertung hat Wolfire eine Live-Statistik in die Bestellseite eingebunden, die zeigt, dass sich auch nach nun über 100.000 Downloads das Bild nicht wesentlich geändert hat.

Also keine Geiz-ist-Geil-Haltung bei den Linuxern, die es vielmehr besonders zu honorieren scheinen, dass Entwickler ihr Betriebssystem ebenfalls berücksichtigen. Man könnte natürlich spekulieren, inwieweit es das Ergebnis verändert hätte, wenn das Geld nicht gespendet, sondern auf dem Konto von Wolfire landen würde. Ich denke, gar nicht!

Damit Linux-Nutzer etwas für Software zahlen, muss der Hersteller ihnen jedoch auch etwas bieten. So wird jemand, der den 150. Texteditor für Linux entwickelt, damit wohl keine müde Mark verdienen, solange jede Distribution 20 ebenso leistungsfähige Alternativen mitliefert. Ein Anbieter einer einfach zu bedienenden und funktionsreichen Bildbearbeitung ähnlich Paint Shop Pro dürfte dagegen durchaus auf gute Geschäfte hoffen, da viele Linux-Anwender eine Bildbearbeitung zwischen dem sperrigen Funktions-Monster Gimp und diversen Programmen auf Microsoft-Paint-Niveau vermissen. Das aber nur dann, wenn er nicht wie damals Corel lediglich eine Wine-Version seiner Software zusammenstrickt, die dem Vergleich mit der Windows-Version nicht standhalten kann.

Natürlich muss jeder Software-Anbieter genau kalkulieren, ob sich die oft aufwendige Linux-Portierung lohnt; doch das Vorurteil "Linux-Nutzer zahlen nichts für Software" sollte dabei keine Rolle spielen. Vielmehr sollten die Hersteller den Software-Markt für Linux analysieren, feststellen, in welchen Bereichen Nachfrage besteht, und aufgrund dieser Kriterien entscheiden, ob man nicht auch mit Linux-Kunden Geld verdienen kann. Bei Wolfire ist die Rechnung offenbar aufgegangen: Fast ein Viertel der Umsätze stammt von Linux-Usern. (amu) (amu)