Zahlen, bitte! Mit 350 Fragen zum idealen Brieffreund: Anfänge des Onlinedatings
Kernfusion sowie Partnersuche per Computer waren 1964 Highlights der Weltausstellung: Während die Kernfusion Zukunftsmusik blieb, ist Onlinedating heute normal.
Was heute für viele eine Selbstverständlichkeit ist, war vor 60 Jahren Neuland: Die computerunterstützte Partnersuche. Ließen findige Ingenieure anfangs noch Brieffreundschaften suchen, kam ein Besucher auf die Idee, dass mit der Computersuche mehr möglich war.
Zur Halbzeit der Weltausstellung 1964 in New York hatten 33 Millionen Besucher die Expo besucht und viele Highlights bewundert: Das Tastentelefon, der Ford Mustang und belgische Waffeln werden in den Chroniken genannt, dazu die Kernfusion mit ihrem Versprechen auf unerschöpfliche Energie. Der bestbesuchte Pavillon war der des Vatikans mit der Pietà von Michelangelo und dem ersten Besuch eines Papstes in den USA (er kam schließlich Ende der zweiten Halbzeit im Oktober 1965).
(Bild:Â CC0, Gary Lee Todd)
Im Pavillon der Parker Pen Company konnten die sogenannten Penettes zur Halbzeit erst einmal aufatmen: Sie verteilten fleißig Fragebögen zum Ankreuzen, die von einem Computer ausgewertet wurden. Ziel der Aktion des Schreibwarenherstellers war, eine Million Brieffreundschaften zu generieren, um der Welt Frieden und Entspannung zu bringen.
Videos by heise
"Peace Through Understanding – Through Writing" hieß das Friedensprogramm, das unter der Schirmherrschaft des ehemaligen US-Präsidenten Dwight "Ike" Eisenhower stand. Es war einer von mehreren Ansätzen, die frostigen Verhältnisse nach der Kubakrise 1962 aufzubrechen, zwischen Ost und West, aber auch zwischen Nord- und Südamerika. Eisenhowers philanthropische Initiative wurde von Parker Pen aufgegriffen, der Firma, die traditionell die Unterschrift-Utensilien für die US-Präsidenten lieferte, jedenfalls bis zum Aufkauf durch britische Investoren.
Friedensfragebögen für Brieffreundschaften
Die Firma stellte 25 Frauen als "Penettes" ein, die im Parker Pavillon der Weltausstellung 1964-65 Fragenbögen verteilten. Neben der Adresse, Alter, Geschlecht und der Angabe der wichtigsten Interessen konnten die Besucher des Pavillons an 65 Schreibtischen unter weiteren 350 Angaben auswählen, die von der Religion über Kunst und Kochen bis Sport reichten. Mit diesen Ziffern wurde ein Computer gefüttert, der nach einem Rundgang über die Ausstellung idealerweise eine Briefpartnerin oder einen Briefpartner gefunden hatte, dem man ein paar Zeilen schicken konnte.
Am 11. August 1965 erreichte man in der zweiten Halbzeit der Weltausstellung schließlich die Millionenmarke. Der 25-jährigen Basketball-Begeisterten Evelyn Groves wurde ein weiblicher Basketball-Fan aus dem brasilianischen São Paulo vermittelt.
Auch der 25-jährige Buchhalter Lewis Altfest aus New York besuchte den Parker Pavillon. Inspiriert von der Briefpartner-Vermittlung kontaktierte er seinen Freund Robert Ross, der bei IBM als Programmierer arbeitete. Beide entwickelten 1965 das Programm "Technical Automated Compatibility Testing" (TACT) für die IBM 1400, ein nerdiger Name für ein Programm, das für fünf Dollar Dates unter den Bewohnerinnen und Bewohnern der Upper East Side von New York vermitteln sollte. Damit das Matching einigermaßen unkompliziert war, wurde der Fragenkatalog stark reduziert. Aus heutiger Sicht klingt es brutal, wie man seine Abneigungen angeben musste: "1. Affected people. 2. Birth Control. 3. Foreigners. 4. Free Love. 5. Homosexuals. 6. Interracial marriage".
(Bild:Â Gobierno de los Estados Unidos)
Bei den WĂĽnschen die Qual der Wahl
Männer mussten ankreuzen, wie ihr Date frisiert sein sollte und die gewünschte Haarfarbe angeben. Frauen hatten andere Bilder zum Ankreuzen, nämlich einen Mann im Camp beim Holzhackern, einen Maler vor seiner Staffel und einen Typ, der in der Garage unter seinem Auto liegt und bastelt. Für die eingesetzten fünf Dollar bekam die Kundschaft von TACT fünf Karten. Sie waren blau, wenn man eine Frau war, und pink, wenn ein Mann seine Matches bekam. Letztere enthielten zusätzlich, wenn eingetragen, die Telefonnummer, unter der das Date erreichbar war. Sie fehlte bei den Frauen, da es nicht als schicklich galt, wenn Frauen die Initiative zu einem Date ergreifen. Rund 5000 New Yorker ließen sich auf das Angebot ein, das von Altfest und Ross "erweitert" wurde, indem sie sich an Türstehern vorbeimogelten und die Adressen von Briefkästen abschrieben (PDF).
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
TACT war nicht die erste computerisierte Partnervermittlung. Das Technical Automated Compatibility Testing war nur das Erste, das rein kommerziell ausgelegt war, im Unterschied zu universitätsinternen Dating-Versuchen von Studenten und zu einer Show-Einlage: Computerliebe wurde vorher ja von dem Universal Automatic Computer I (UNIVAC) von Remington Rand angebahnt, der unter jeweils 4000 Einsendungen jeweils ein Pärchen aussuchte, das dann ab September 1956 in der NBC-Show "People are Funny" vorgestellt wurde.
Als dieses Pairing 1957 ohne Ergebnis eingestellt wurde, galt es als Misserfolg, doch als 1958 eines der Pärchen mit dem Showmaster als Trauzeuge in Hollywood heiratete, waren die Zeitungen voll des Lobes. Die Geschichte der Partnervermittlung hatte da bereits viele Wendungen hinter sich.
Zurück zu TACT, dem Dating-System mit dem Slogan "Pick'em cuter by Computer", dem die BBC eine Reportage widmete. Das lag daran, dass die Staatsanwaltschaft von Brooklyn Verdacht schöpfte und eine Jury sich mit der Frage beschäftigte, ob diese Form des Dating unzüchtig ist und Straftäter anzieht. Altfest hatte begonnen, neben dem Computerservice Partys für die in der jeweiligen Nachbarschaft lebenden Singles auszurichten, über die wiederum Cosmopolitan unter dem Titel "Modern Lifestyle of Singles" berichtete. Schließlich verloren Altfest und Ross das Interesse, TACT weiter auszubauen.
Das TACT-Dating war sogar fĂĽr Altfest ganz nĂĽtzlich. Er heiratete eine Journalistin, die ihn interviewte, als sie mit investigativer Recherche den ganzen Dating-Schwindel aufdecken wollte.
(mawi)