FTX-Pleite: Volle Entschädigung für alle? Ja, aber nicht wirklich​

Eines Tages soll die FTX-Masse alle Kundenguthaben voll auszahlen. Diese Ankündigung hat Trillionen Fußnoten. U.a. Steuerzahler zahlen drauf.​

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Schmelzende, güldene Münze mit Bitcoin-Logo, dahinter eine steil fallende Kurskurve

(Bild: Shutterstock)

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Mehr als zwei Millionen Forderungen sind gegen die Masse der zusammengebrochenen Kryptowährungsbörse FTX erhoben. Die Gesamtsumme dieser Forderungen beläuft sich auf 23,8 Trillionen US-Dollar ($23800000000000000000). So viele Fußballfelder lassen sich gar nicht bauen. Dennoch verkündete ein FTX-Anwalt am Mittwoch, dass eines Tages alle Kunden und die meisten unbesicherten sonstigen Gläubiger voll entschädigt werden sollen.

Das geht nur auf eine Kuhhaut, wenn man genau hinhorcht. Denn selbstredend kann die Masse nicht alle Forderungen erfüllen – bei 23,8 Trillionen Dollar würde das verfügbare Geld nur für ein Millionstel eines Prozents reichen, schilderte der Jurist am Mittwoch bei einer Anhörung vor dem US-Konkursgericht für Delaware. Der Konkursverwalter möchte natürlich nur jene anerkannten Forderungen von Kunden begleichen, die er selbst anerkannt hat – und das zu errechneten Preisen, die viele Kunden als schmerzhaft empfinden werden.

Denn FTX-Kundeneinlagen in Kryptowährungen werden grundsätzlich nur zum Wechselkurs gegenüber dem US-Dollar zum Stichtag des Konkursantrags (11. November 2022) gemessen, nicht gegenüber dem aktuellen Kurs, der deutlich abweichen kann. Beispielsweise hat sich der Bitcoin-Kurs seither mehr als verdoppelt. Davon haben die FTX-Kunden nur indirekt etwas: Der Insolvenzverwalter hat die Kryptowährungen nicht auf einen Schlag in Dollar getauscht, sondern schrittweise, weshalb die Konkursmasse von steigenden Kursen profitiert. Damit ist etwas mehr Geld vorhanden. Gleichzeitig haben sich manche Kryptoassets als unverkäuflich erwiesen, und für die hauseigenen FTX-Token FTT soll es gar keine Entschädigung geben.

Dazwischen liegen Kryptowährungen, die zwar gehandelt werden, aber zu niedrigeren Kursen als zum Stichtag. Auch in diesen Fällen wird der Wert zum 11. November 2022 erhoben, was für die betroffenen Kunden ein Vorteil ist. Diese Kundengruppe ist allerdings eine Minderheit.

Insbesondere Kunden des US-Ablegers FTX.us behaupten einen Rechtsanspruch auf die von ihnen eingelegten Kryptomünzen; die Entschädigung in Form von Dollar sei unzulässig. Sie verweisen auf FTX.us' Nutzungsbedingungen, die Kunden das unmittelbare Recht an ihren eingelegten Kryptomünzen zusprechen; allerdings ist ein Unternehmen im Konkursverfahren nicht mehr an seine Verträge gebunden.

Außerdem hat der Insolvenzverwalter den Großteil der vorhandenen Kryptobestände längst verkauft, die Münzen sind also nicht mehr verfügbar. Die Erfolgsaussichten dieser US-Kunden sind nicht hoch, aber vor Gericht ausgestritten ist das noch nicht. Sollte der Masseverwalter Kryptowährungen zurückkaufen müssen, um sie diesen US-Kunden aushändigen zu können, ginge sich das mit der vollständigen Entschädigung aller Kunden natürlich nicht mehr aus. Lediglich bei FTX hinterlegte NFTs (non-fungible tokens) könnten in Natura zurückgegeben werden.

Gleichzeitig ist die Umrechnung der Krypto-Forderungen in echtes Geld eine Herausforderung. Für liquide Kryptowährungen wie Bitcoin geht das ohne Weiteres, aber für viele andere "digitale Assets" ist die Preisfindung schwierig bis unmöglich. Bei den mehr als zwei Millionen Forderungen geht es um sage und schreibe 1.321 unterschiedliche digitale Assets. Bei 79 Prozent der Forderungen handelt es sich zumindest teilweise um illiquide Assets. Dazu gehören neben Altcoins und Utility Tokens auch Derivate. Speziell für unbefristet laufende Terminkontrakte (perpetual futures), die eigentlich ein Finanzierungsinstrument sind, ist kaum ein fairer Wert zu finden.

Munition für juristische Scharmützel gibt es also ohne Ende. Doch die Justiz stößt bei so einem Mammutverfahren an ihre Grenzen. Schon alleine, weil es so viele unterschiedliche Forderungen gibt, ist es untunlich, jeden individuellen Fall unter Anhörung von Experten einer gerechten Lösung zuzuführen. Daher genehmigte das Konkursgericht am Mittwoch eine vorläufige Tabelle mit Schätzwerten für zahlreiche Kryptoassets; diese Entscheidung wird wahrscheinlich jemand anfechten.

Die Ankündigung der vollen Auszahlung aller Kundeneinlagen kommt allerdings noch mit viel größeren Sternchen. Eine Reihe von Bedingungen muss erfüllt werden. Erstens müssen Gericht und Gläubiger den vorgelegten FTX-Verteilungsplan genehmigen und einige Opfer noch Geld einzahlen. Zweitens müssen Behörden (und damit Steuerzahler) auf bevorrangte Forderungen in Höhe von neun Milliarden Dollar entweder zur Gänze verzichten, oder zumindest auf ihren Vorrang verzichten und sich am Ende etwaig verbleibende Brotkrumen aufteilen. Entsprechende Verhandlungen laufen bereits, und das mit guten Aussichten für die FTX-Gläubiger, wie der Anwalt am Mittwoch mitgeteilt hat.

Drittens muss es dem Insolvenzverwalter gelingen, alle Forderungen gerichtsfest abzuwehren, die er für unberechtigt hält, und alle Forderungen in benachrangte Kategorien umzuschichten, die er nicht für bevorrangt erachtet. Der FTX-Anwalt sprach von Milliarden von Dollar betrügerisch erhobener Forderungen, sowie weiteren Zahlungswünschen, die anderweitig unberechtigt seien. Hier dürften noch zahlreiche Gerichtsverhandlungen anstehen.

Viertes und größtes Hindernis ist die US-Steuerbehörde IRS. Sie verlangt rund acht Milliarden US-Dollar Steuernachzahlung durch FTX. Diese Schuld würde den Verteilungsplan zur Makulatur machen, weil Steuern vorrangig gezahlt werden müssen.

Allerdings hat der Insolvenzrichter am Mittwoch der Steuerbehörde einen Rückschlag verpasst. Das IRS pochte auf eine Richtigkeitsvermutung zugunsten seiner Rechnung. Das akzeptiert das Gericht nicht. Vielmehr soll die Behörde erst einmal darlegen, wie sie auf die Summe von acht Milliarden Dollar kommt. Danach darf der Insolvenzverwalter versuchen, die Berechnung anzufechten. Auch vom Ausgang dieses Verfahrenszweigs hängt ab, wer wie viel Geld erhält.

Fest steht, dass das alles nicht flott gehen wird. Der Insolvenzverwalter hofft, noch 2024 erste Auszahlungen machen zu können. Bis dahin muss er um die zehn Milliarden Dollar sicher verwahren.

Das zentrale Insolvenzverfahren in den USA heißt In re: FTX Trading Ltd und ist am US-Bundesinsolvenzgericht für Delaware unter dem Az. 22-11068 anhängig.

(ds)