Kryptowährungsbörse FTX: Ruf ruiniert, Vermögen eingefroren und jetzt insolvent

Nach einem geplatzten Übernahme-Versuch stand die Kryptobörse FTX am Abgrund. Und nun ist sie einen Schritt weiter: In den USA wurde Insolvenz angemeldet

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(Bild: Shutterstock)

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Am Freitagnachmittag hat die FTX Group erklärt, in den USA Insolvenz angemeldet zu haben. Das betrifft FTX.com, den US-Ableger FTX.us, die Investment-Firma Alameda Research als auch rund 130 weitere Firmen. Sam Bankman-Fried werde der Mitteilung nach vom Chefposten zurücktreten und für eine geordnete Übergabe an den neuen Chef mitwirken. Bei dem handelt es sich um den US-Anwalt John J. Ray III. Er hatte unter anderem schon die Insolvenz des Energie-Konzerns Enron betreut, der vor rund 20 Jahren nach Bilanzfälschungen untergegangen war und damals für einen der größten Unternehmensskandale der USA sorgte. Es gehe nun darum, die Situation zu bewerten und einen Prozess zu gestalten, der allen Anspruchshaltern eine maximale Erstattung garantiere, sagte Ray der Mitteilung nach. In den nächsten Tagen sollen weitere Informationen folgen, wie es weitergeht.

Anmerkung der Redaktion: Überschrift und Anrisstext der Meldung wurden auf die neue Entwicklung angepasst; den folgenden Meldungstext haben wir im Original belassen.

Die Hiobsbotschaften um die angeschlagene Kryptobörse FTX reißen nicht ab. Die Wertpapieraufsicht der Bahamas gab am Donnerstag (Ortszeit) bekannt, Vermögenswerte von FTX Digital Markets eingefroren zu haben. Als Nächstes könnte ein Insolvenzverwalter die Abwicklung übernehmen. Einen entsprechenden Gerichtsantrag hat die Aufsichtsbehörde bereits gestellt.

Berichten zufolge sollen inzwischen auch die US-Finanzaufsichtsbehörden SEC und CTFC sowie das US-Justizministerium Untersuchungen in der Sache aufgenommen haben. Die Schieflage der großen Handelsplattform für Digitalwährungen wie Bitcoin hält den Kryptomarkt seit Tagen in Atem. Viele Kunden fürchten um ihr Geld.

FTX Digital Markets ist ein auf den Bahamas ansässiges Unternehmen aus dem Krypto-Imperium von US-Unternehmer Sam Bankman-Fried und betreibt die strauchelnde Kryptobörse FTX.com. Der bahamaischen Wertpapieraufsicht zufolge steht die Firma unter anderem unter Verdacht, Kundengelder veruntreut zu haben. FTX.com war nach enormen Mittelabzügen in Liquiditätsnot geraten. Am Mittwoch sah es zunächst so aus, als ob der Konkurrent Binance das Unternehmen übernimmt. Doch dieser Plan scheiterte, Binance zog sich aus dem Deal zurück. Ohne eine riesige Geldspritze droht FTX.com nun die Insolvenz.

Die Kryptoplattform ist diese Woche in Zahlungsschwierigkeiten geraten, nachdem Zweifel an den Kapitalreserven zu einer Kundenflucht und Mittelabzügen im Milliardenvolumen geführt hatten. Mittlerweile werden auch FTX-Nutzer in den USA immer nervöser. Eigentlich sind das internationale und das US-Geschäft von FTX getrennt. Bankman-Fried bemühte sich am Donnerstag bei Twitter, zu beruhigen, und behauptete, FTX.US sei zu "100 Prozent liquide". Doch zugleich kündigte die Plattform an, den Handel womöglich für ein paar Tage auszusetzen. US-Medien berichteten zudem, dass Mitarbeiter in den USA in einer Art Notverkauf versuchten, Firmenteile zu Geld zu machen.

Für Kunden und Investoren wird die Lage immer kritischer. Sollte Bankman-Fried nicht überraschend irgendwo einige Milliarden Dollar auftreiben, dürfte zumindest FTX.com nicht mehr zu retten sein. Dabei hatte der 30-jährige Krypto-Unternehmer am Montag noch versichert, dass alle Einlagen geschützt seien und voll ausgezahlt würden. Gerüchte über eine Geldnot wies er als falsch zurück. Inzwischen sind diese Tweets aber auch gelöscht.

Bankman-Fried gründete FTX 2018. Die Börse konzentrierte sich insbesondere auf den Handel mit Kryptowährungsderivaten. Zu den frühen Investoren zählte auch die Börse Binance, die zugleich auch eine Rolle im Absturz von FTX spielte. Der Kryptohype der Jahre 2020/21 brachte FTX sowie dem Firmengeflecht drumherum gewaltigen Auftrieb und machte Bankman-Fried zum Multimilliardär. FTX hatte zeitweise eine Million Kunden, zog namhafte Investoren wie Softbank und Seqioa Capital an und erfreute sich noch im Januar dieses Jahres einer Bewertung von 32 Milliarden US-Dollar.

Und Bankman-Fried galt als das Wunderkind der Kryptobranche, stets im Dialog mit der Politik für eine Kryptoregulierung. Als er im Sommer für in die Klemme geratene Kryptokreditplattformen einsprang, zog die englischsprachige Finanzpresse schon Parallelen zum legendären US-Bankier John Pierpont Morgan. Vergleiche, die momentan wohl keiner mehr ziehen würde.

Gewaltige Risse bekam das makellose Bild Anfang November, als ein Bericht des Fachdienstes Coindesk ein Schlaglicht auf Bankman-Frieds separat geführte Investmentfirma Alameda Research warf. Unter Bezug auf interne Dokumente schrieb Coindesk, dass ein erheblicher Teil der 14,6 Milliarden US-Dollar schweren Vermögensbilanz von Alameda Research aus FTX Token bestehe, die Bankman-Frieds eigene Börse herausgibt.

Auf den Bericht bezog sich wahrscheinlich Changpeng Zhao, Chef der Börse Binance, als er am vergangenen Sonntag ankündigte, sich im Lichte aktueller Enthüllungen von einer großen Anzahl ebendieser FTX-Tokens zu trennen. Mit weiteren Tweets, in denen er etwa Parallelen zum Stablecoin-Desaster Terra zog, dürfte er die Zweifel an FTX erheblich befeuert haben. Es folgte eine Marktpanik, massenhaft abgezogene Mittel und immer wieder Auszahlungssperren, die FTX als Wrack zurückließen.

Zhao betonte dabei, dass es ihm überhaupt nicht um einen öffentlich ausgetragenen Kampf gehe. Nicht auszuschließen, dass er in einem strenger regulierten Markt mit so einem Verhalten ein Verfahren wegen Marktmanipulation am Hals hätte. Im wilden Westen des Kryptogeschäfts sind wohl vorerst keine Konsequenzen zu erwarten.

Unklar ist im Moment noch, wie genau es überhaupt zu einer Liquiditätsklemme kommen konnte. Reines Börsengeschäft dürfte ja eigentlich keine Probleme haben, alle Abhebungswünsche der Kunden zu bedienen – auf Nutzerkonten müssten alle Einlagen eins zu eins vorhanden sein.

Das Wall Street Journal schreibt unter Berufung auf Insider, dass aber Kundengelder von FTX als Darlehen an Bankman-Frieds Investmentgesellschaft Alameda Research gegangen seien. Insgesamt wohl 10 Milliarden US-Dollar, mehr als die Hälfte der 16 Milliarden US-Dollar an Kundeneinlagen. Bankman-Fried habe das als später als schlechte Entscheidung bezeichnet, schreibt das Wall Street Journal. Alameda habe das Geld für riskante Tradingstrategien genutzt. Noch am Donnerstag hatte Bankman-Fried erklärt, Alameda schließen zu wollen.

Welche Geschäfte noch in Bankman-Frieds Firmen-Konglomerat gelaufen sind, lässt sich zur Stunde noch nicht sagen. Sollte es zu einem Insolvenzverfahren kommen, wird es dann den Verwaltern obliegen, alle Transfers und Verbindungen dieses Kryptoimperiums nachzuvollziehen. Die Financial Times stellte schon mal in einem Bericht ihre Versuche vor, das komplexe Geflecht aufzubereiten. Das Firmengeflecht der Pleitebank Lehmann Brothers sei im Vergleich dazu ein Muster an Simplizität gewesen, schreibt das Wirtschaftsblatt. Die Insolvenzverwalter hätten damals 18 Monate gebraucht, bis sie es komplett entfaltet hatten.

Abgesehen von einem heftigen Kursbeben, das sich am Freitag wieder etwas gemildert hat, scheint der Absturz von FTX vorerst keine weiteren großen Unternehmen in den Abgrund zu reißen. Lediglich die durch FTX gerettete Zinsplattform Blockfi stellte erneut Abhebungen ein. Zahlreiche Institutionen der Kryptobranche wie Tether, Coinbase oder Kraken haben sich hingegen bereits zu Wort gemeldet und erklärt, dass sie gar nicht oder allenfalls minimal tangiert seien, berichtet der Fachdienst The Block. Die Investment-Gesellschaft Sequoia Capital erklärte bereits, ihre Anteile an FTX komplett abzuschreiben und einen Verlust von 213,5 Millionen US-Dollar zu verbuchen.

Manche Kryptowährungsbörsen sind im Geheimen bereits insolvent, sagte Sam Bankman-Fried im Juni dem US-Magazin Forbes. Dabei sprach er zwar von drittrangigen Börsen, es wirkt im heutigen Licht aber wie eine Selbstaussage. Nun bekannte er am Donnerstag: "Ich habe es vermasselt." Und in Richtung eines nicht namentlich genannten "Sparrings-Partners", der wohl Binance-Chef Zhao sein dürfte, sagte er: "Gut gespielt; du hast gewonnen."

(axk)