zurück zum Artikel

Die außergewöhnlichen Konzept-Bikes Honda CB 4 CB / Honda Six50

Mut zur Lücke

Motorrad iga
Zweirad

Auf der EICMA in Mailand standen zwei Honda-Prototypen, nach denen sich Kunden der Customizer-Szene die Finger lecken würden, und dennoch wurde über sie kaum berichtet. Völlig zu Unrecht, denn CB 4 und die CB Six50 sind in ihrem Ansatz fast so radikal wie die Husqvarna Vitpilen 701

Mailand, 4. März 2016 – Die großen Motorradmarken tun sich immer schwer, radikale Wege zu beschreiten. Trends aus der Zweirad-Szene werden zwar registriert und beobachtet, aber erst wenn sie sich auf breiter Front durchsetzen, übernommen und als Serienmodelle gebaut. Meist gerät das Design dann aber sehr vorsichtig bis völlig verwässert, um ja keine Kunden zu vergrätzen. Wirklich mutige Entwürfe werden leider viel zu selten umgesetzt.

Wie erfolgreich genau das sein kann, zeigt die BMW R NineT [1]. Das Boxer-Motorrad im angesagten Retro-Style hat es letztes Jahr, trotz seines recht hohen Preises, auf Platz drei der deutschen Zulassungsstatistik geschafft. Ducati ist mit seinem Scrambler [2] in die Top Ten gefahren, Triumph hat just gleich drei neue Retro-Modelle [3] präsentiert und Yamaha sorgt für Wirbel in der Szene mit seinem Yard-Built-Wettbewerb [4], bei der bekannte Customizer bestimmte Yamaha-Modelle neu interpretieren, aus denen dann Serien-Maschinen abgeleitet werden. Honda zeichnete sich bislang durch vornehme Zurückhaltung aus, lediglich die CB 1100 EX hält hier die Fahne hoch, wurde aber schon vor sechs Jahren präsentiert und traf nicht wirklich den Nerv des Zeitgeists nach einem außergewöhnlichem Konzept.

Zwei außergewöhnliche Konzept-Bikes

Jetzt hat Honda endlich nachgezogen oder zumindest einmal mit sichtbarem Ergebnis gedacht. Auf der EICMA in Mailand standen gleich zwei Prototypen, nach denen sich Kunden der Customizer-Szene die Finger lecken würden, und dennoch wurde über die zwei sehenswerten Modelle kaum berichtet. Völlig zu Unrecht, denn die CB 4 und die CB Six50 sind in ihrem Ansatz fast so radikal wie die Husqvarna Vitpilen 701 [5], bei der Designer Gerhard Kiska einen neuen Meilenstein gesetzt hat. Während sich Husqvarna-Fans freuen dürfen, dass das elegante, minimalistische Naked Bike in zwei Jahren tatsächlich fast unverändert so beim Händler stehen wird, tendiert die Kommunikation von Honda über die beiden Prototypen gegen Null. Kein Wort darüber, ob sie jemals in Serie gehen oder wenigstens einige Details übernommen werden.

Die von Honda R&D Europe für den europäischen Markt entwickelten Design-Konzepte basieren auf der erfolgreichen, 87 PS starken CB 650 F, haben aber außer dem Motor und Rahmen kaum etwas mit ihr gemeinsam. Die CB 4 ist ein hochinteressanter Entwurf eines Streetfighters, bei dem der Spagat zwischen Retro-Style und futuristischem Look geglückt ist. Die Modellbezeichnung ist ein Wortspiel mit der legendären Honda CB 750 Four, auf die eine langen Reihe von Vierzylinder-Modellen zurückgeht.

Reihen-Vierzylinder? Warum nicht?

Es ist ungewöhnlich, für so ein Konzept einen Reihen-Vierzylinder zu wählen, die meisten Hersteller setzen wegen der schmaleren Baubreite auf zwei Zylinder. Immerhin ist der Motor der CB 650 F kompakt genug, und so wirkt das Krad absolut nicht zu breit. Das Heck der CB 4 wurde stark gekürzt, während die Front durch hoch angesetzte Luftansaugstutzen aus Aluminium muskulös erscheint.

Die beiden massiven Gabelklemmen und das Tachogehäuse bestehen ebenfalls aus Aluminium und verleihen ihrem Anblick etwas sehr Solides. Ein breiter, schwarzer Lenker unterstreicht den souveränen Auftritt und als pfiffiger Akzent wanderten die kurzen Rückspiegel an die Lenkerenden. Ein Novum ist der in die Lenkeraufnahme integrierte Tacho. Der eigentlich klassisch anmutende Rundscheinwerfer erhielt ein Gehäuse aus mattem Aluminium, was ihm wie auch die beiden daran angesetzten Mini-Blinker und das Klarglas einen modernen Anstrich verleiht.

Krümmerrohre als Blickfang

Ein echter Blickfang sind die vier zur rechten Seite verlaufenden Krümmerrohre, die unverändert von der CB 650 F übernommen wurden, aber bei der CB 4 in zwei übereinander liegende Alu-Endschalldämpfer münden. Sie konnten sehr eng am Motorrad geführt werden, weil der Prototyp eine Einarmschwinge hat. So kann sich das breite Hinterrad noch besser in Szene setzen. Es ist lediglich von einem an der Hinterradnabe befestigten Kennzeichenträger aus Kohlefaserkunststoff minimal bedeckt. Zum knappen Heck bleibt nach oben viel Luft. Das unter der Sitzbank hervorlugende Rücklicht wirkt fast wie ein zusätzlicher Auspuff. Seitliche Alu-Cover setzen am Tank und im Rahmendreieck Akzente. Der Sitzbankbezug aus Alcantara-Leder mit eingeprägtem CB 4-Logo wird von roten Nähten geziert. Sowohl die Kühler-Cover als auch der Krümmerschutz und der Vorderradkotflügel bestehen aus Kohlefaserkunststoff, ein High-Tech-Material, das einen Gegensatz zum Retro-Stil bildet.

Die beiden Bremsscheiben am Vorderrad wirken von weitem mit ihren schwarz lackierten Halterungen und ohne die üblichen Löcher oder Einfräsungen wie silberne Ringe. Noch auffälliger sind aber die knallroten Tokico-Bremssättel, die neben der „4“ im CB 4-Schriftzug und den Einstellschrauben der Handhebel die einzigen Farbtupfer im Gesamtauftritt der Honda sind. Ansonsten ist sie ganz in Schwarz und Aluminium gehalten, was ihr eine zeitlose, schlichte Eleganz verschafft.

Ein martialischer Auftritt

Das Gegenteil ist bei der CB Six50 der Fall. Der Scrambler kommt ausgesprochen poppig daher. Obwohl er ebenfalls auf der CB 650 F basiert, wirkt er komplett anders als die CB 4. Der Tank und das Heck erscheinen fast wie ein Monocoque durch den geschickten Einsatz eines seitlichen Verkleidungsteils. Eine leuchtend rote Sitzbank, die auch gleichzeitig den Heckabschluss bildet, lenkt den Blick auf sich. Lediglich ein winziges Rücklicht und ein kurzes Alu-Schutzblech ragen heraus.

Ein breiter Enduro-Lenker mit klassischer Mittelstrebe thront auf der Upside-down-Gabel. Flankiert wird er von Hebelschützern wie man sie aus dem Rennsport kennt. Diese werden stilistisch weiter unten wieder aufgenommen mittels eines roten Metallrohrs, das den Motor schützen soll. Farblich setzen sich die Motorschützer als breiter roter Strich auf dem Tank fort.

Ungewöhnliche Instrumenten-Lösung

Der rechteckige Scheinwerfer geriet deutlich flacher als an der CB 4, eingefasst ist er von vier Aluminium-Halterungen. Statt klassischer Instrumente ist ein flacher Bildschirm an der Lenkermittelstrebe befestigt. Tatsächlich schraubten die Entwickler sogar einen Motorschutz aus Aluminium unter die vier Krümmer, aber auch wenn sehr grobstollige Enduroreifen aufgezogen wurden, wird sich mit dem Gerät wohl kaum jemand ins Gelände wagen. Die verchromten Felgen zeigen auffallend dicke Drahtspeichen. Das externe Handrad zur Verstellung der Federbein-Vorspannung ziert ein Aluknauf und soll wohl dem Offroad-Gedanken zur schnellen Einstellung des Fahrwerks Rechnung tragen.

Im Gegensatz zur CB 4 blieb es an der Six50 bei der Zweiarm-Schwinge aus der CB 650 F. Beim Auspuff traute sich Honda mal was und griff zu einem Endschalldämpfer im MotoGP-Style. Der hat natürlich überhaupt nichts mit dem Scrambler-Thema zu tun, geht aber einen interessanten eigenständigen Weg. Die Lackierung des Tanks und Vorderradkotflügel liegt irgendwo zwischen Camouflage und digitaler Darstellung.

Wird es sie geben?

Kommen wir zur Gretchen-Frage: Werden CB 4 und die CB Six50 je gebaut? Honda hüllt sich in Schweigen. Für den größten Motorradhersteller der Welt dürfte die Realisierung keine Frage der technischen Umsetzung sein, zumal die Basis schon lange produziert wird und als ausgereift gilt. Eher kalkulieren die Buchhalter wohl, ob es sich rechnet. Eine CB 650 F kostet rund 8000 Euro, eine CB 4 bzw. CB Six50 würde also darüber liegen. Natürlich würden einige teure Details wie etwa die Karbon-Teile in der Serie wegfallen, aber selbst wenn der Preis schon knapp vor dem fünfstelligen Bereich liegen würde, wäre es für die außergewöhnlichen Hingucker nicht zuviel. Die Reaktionen des Publikums gegenüber den Prototypen fielen jedenfalls eindeutig positiv aus. Also, Honda, bitte beide bauen!


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3128469

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/The-Soulful-Dynamics-2094655.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Verruehrte-Kultur-Fahrbericht-Ducati-Scrambler-2505860.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Triumph-zeigt-neue-Baureihe-Modern-Classics-2866463.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Yamaha-XSR-900-3049916.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Klartext-Dasselbe-in-weiss-2923552.html