Gegen den Rausch

Digitalradio wird Pflicht in Neuwagen

Das EU-Parlament will dem Digitalradio zum endgültigen Durchbruch verhelfen: In Neuwagen soll es künftig Pflicht werden. Wenn man den klassischen Rundfunk erhalten will, wird das auch höchste Zeit, denn dem Radio erwächst seit Jahren hartnäckige Konkurrenz

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 734 Kommentare lesen
6 Bilder

(Bild: BMW)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Martin Franz
Inhaltsverzeichnis

Was beim Fernsehen schon lange vollzogen wurde, soll nun auch beim Radio umgesetzt werden. Die Rede ist vom Abschalten der analogen, terrestrischen Rundfunk-Ausstrahlung zugunsten des Digitalradios. Das EU-Parlament hat am 14. November 2018 einen kleinen, aber wichtigen Schritt in diese Richtung gemacht. In Neuwagen soll Digitalradio wie DAB+ künftig Pflicht werden. Wenn man den klassischen Rundfunk erhalten will, wird das auch höchste Zeit, denn dem Radio erwächst seit Jahren hartnäckige Konkurrenz.

Digitalradio wird Pflicht ...

Das EU-Parlament folgte einer Empfehlung, die der Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) im Juli 2018 ausgesprochen hatte. Mit dem Beschluss wird die seit langem geforderte Verpflichtung der Automobilindustrie zur Ausstattung ihrer Neufahrzeuge mit Digitalradios, zum Beispiel mit DAB+, in der EU auf den Weg gebracht. Der Beschluss stellt es den Mitgliedsländern ausdrücklich frei, vergleichbare Maßnahmen auch für eine Regulierung des Marktes für herkömmliche Radioempfänger zu ergreifen.

... in ein paar Jahren

Um in Kraft treten zu können, bedarf es nach dem Parlamentsbeschluss zunächst der formalen Anerkennung durch den EU-Rat sowie der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union. Diese soll bis zum Frühjahr 2019 erfolgen. Nach Ablauf einer zweijährigen Übergangsfrist wird die Übernahme der Regelung in die jeweils nationale Gesetzgebung dann für die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtend. Der Kodex soll sicherstellen, dass Autofahrer EU-weit Zugang zum digital-terrestrischen Radio DAB+ erhalten, unabhängig davon, wo in der EU das Fahrzeug gekauft wurde.

Der Beschluss der Regelung fasst die unter den Mitgliedsstaaten herrschende Einigkeit darüber zusammen, den Empfang von digital-terrestrischem Rundfunk auch für alle anderen Radiogeräte verpflichtend zu machen. In Italien wurde ein entsprechendes Gesetz schon verabschiedet, nach dem ab dem 1. Januar 2020 sämtliche, in Italien angebotenen Radioempfänger DAB+ unterstützen müssen. Frankreich hat ähnliche Schritte angekündigt, sobald die Netzabdeckung mit DAB+ 20 Prozent der Bevölkerung überschreitet. Weitere EU-Staaten planen vergleichbare Gesetzesinitiativen, auch Deutschland. Die Verbreitung von DAB+ Digitalradio würde dadurch maßgeblich befördert, die Anschaffungskosten könnten in der Folge sinken, heißt es.

Kleiner werdende Lücken

Nun wollen die Verantwortlichen die Hörer also zu ihrem Glück zwingen. Das scheint nötig, denn die Marktdurchdringung hat momentan noch größere Lücken als der Empfang. In beiden Bereichen gibt es aber in den vergangenen Jahren spürbare Fortschritte zu vermelden. Die einst riesigen Gebiete, in denen es keinen Digitalradio-Empfang gab, sind hierzulande deutlich kleiner geworden. Dazu findet DAB+ immer mehr Fans. Der Rechnungshof in Bayern sagt, dass 27 Prozent der Haushalte in seinem Bundesland über Digitalradios verfügen.

Einige Autohersteller wie Renault oder Skoda bauen einen DAB+-Empfänger ab der Kompaktklasse fast überall ohne oder gegen einen geringen Aufpreis ein. Teure Ausnahmen gibt es freilich noch immer: Bei Mercedes kostet der digitale Tuner in der E-Klasse aktuell knapp 400 Euro – und ist dort trotzdem eine Empfehlung, denn der UKW-Empfang war in einem 2016er-Testwagen „berauschend“.

Der theoretisch bessere Klang von DAB+ wird inzwischen dadurch torpediert, dass die Bitrate zugunsten von immer mehr Sendern gesenkt wird. In vielen Testwagen ist das nicht dramatisch, denn die Lautsprecher sind oft von minderwertiger Qualität und die Dämmung durchaus noch zu verbessern. Bleibt als ein großer Vorteil gegenüber UKW der deutlich geringere Strombedarf beim Senden. Und als kleiner das zusätzliche Informationsangebot mit Plattencovern und Wetterberichten auf dem Display.

Verzögertes Analog-Ende

Mit dem Ende der Ultrakurzwelle (UKW) tut sich nicht nur Deutschland schwer. Der Digitale Satelliten-Rundfunk (DSR) begeisterte die wenigen Hörer mit einer bis dato unerreichten Klangqualität. Doch die Geräte waren teuer, der Absatz blieb unter den Erwartungen. Ab Ende 1994 war es zudem nur noch über den Satelliten Kopernikus oder das Kabelfernsehen der Telekom zu empfangen. Im Januar 1999 wurde die Ausstrahlung beendet.

Mit DAB wollte man die alten Fehler nicht wiederholen. Hier kam der Markt, begünstigt durch deutlich preiswertere Geräte, etwas besser vom Fleck. Auch einige Autohersteller zogen nun mit und boten einen Digitalradio-Tuner als Extra an. Doch dem zarten Pflänzchen, das sich da entwickelte, wurde brutal der Boden entzogen. Mit der Umstellung auf DAB+ wurde Schritt für Schritt die Ausstrahlung von DAB zurückgefahren. Da sich die alten Geräte nicht einfach updaten ließen, blieben sie irgendwann stumm. Ein schwacher Trost war, dass die DAB+-Geräte abwärtskompatibel waren. Doch wer einst in DAB im Auto investiert hatte, fährt inzwischen einen funktionslosen Elektronikbaustein durch die Gegend. Was früher in Zeiten des DIN-Schachts vergleichsweise einfach zu lösen gewesen wäre, ist nun nur noch mit einem tiefen Eingriff in die Fahrzeugperipherie möglich.

Digital-Konkurrenz für das Digitalradio

Ganz allgemein erwächst dem Radio eine harte Konkurrenz durch Anbieter wie Spotify, Napster, Google und Apple. Mit der Verbreitung von Android Auto und Apple Carplay können solche Dienste in einigen Autos bequem genutzt werden. Handy-Flatrates mit immer größeren Datenmengen unterstützen diese Entwicklung. Zusätzlich wird das klassische Radio von einer Seite in die Zange genommen, die bisher kaum als ein Kritiker aufgetreten ist. Die Rechnungshöfe der Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein fordern, die parallele Aufrechterhaltung von analogem und digitalem Rundfunk aus Kostengründen zu beenden. Das Digitalradio sei eine Sackgasse, heißt es in einem Papier des niedersächsischen Landesrechnungshofes. Dagegen wehren sich einige südlich gelegene Bundesländer heftig. Sie dürften mittelfristig, auch durch die aktuelle Entscheidung auf EU-Ebene, die besseren Argumente haben.