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Formsache

Fahrbericht Jeep Renegade 1.0 T-GDI

Fahrberichte Florian Pillau
Jeep

Die kuriosesten Blüten treibt der allgemeine Trend zum kompakten SUV sicher beim FCA-Konzern mit seinen Marken Fiat und Jeep. Man kann das gleiche Auto kaufen und hat dabei die Wahl zwischen unschuldig-prallrundlich oder kantig-wild. Letztere ist die Version, von der dieser Fahrbericht handelt

Seit Jahren kann sich kein Autohersteller der Mode mit den hochgelegten Crossover-Produkten entziehen. Beim FCA-Konzern mit seinen Marken Fiat und Jeep treibt der allgemeine Trend zum kompakten SUV aber sicher die kuriosesten Blüten. Man kann das gleiche Auto kaufen und hat dabei die Wahl zwischen prallvergnügt oder kantig-wild – eine reine Formsache.

Während sich der Fiat 500X als Babyface gibt, dem versehentlich eine Erektionshilfspille in den Tank geraten ist, bietet Jeep eine emotionale Variante mit dem ikonischen Seven-Slot-Grille und dem Ärger versprechenden Namen „Abtrünniger“ an.

Wobei an dieser Stelle gesagt sein muss, dass Jeep auch eine ernsthaftere Ausführung mit Offroadfähigkeiten jenseits eines Fiat 500X [1] und aller anderen Kompakt-SUV verkauft. Aber da sprechen wir nicht vom 2WD-Modell mit der Ein-Liter-Einstiegsmotorisierung, über das Sie gerade lesen.

Ein Auftritt mit Folgen

Bleiben wir bei der Form: Die kantige Karosserie hat eine für moderne Verhältnisse ungewohnt steile Windschutzscheibe. So stören die breiten A-Säulen die Sicht weniger als bei einer weit nach vorn reichenden, das viele Blech um die C-Säulen dagegen schon. Ein hohes, fast horizontal verlaufendes Dach und steile Flanken schaffen angenehm viel Platz um Kopf und Schultern, auch hinten. In den vorderen Türen die heute weitgehend ausgestorbenen Dreiecksfenster. Natürlich lassen sich die Glasdreiecke nicht öffnen, das wäre ja noch schöner gewesen. Was mich dagegen irritiert, ist die Verzögerung, mit der die elektrischen Fensterheber auf die Schalter reagieren.

Mit der Ausstattung mit den schnell herausnehmbaren Dachteilen (MySky) macht mir Jeep dagegen eine große Freude. Ich liebe Frischluft im Auto. Bei elektrisch geöffnetem vorderen Teil, das als Schiebedach nach hinten über die Karosserie fährt, stellt sich lautes Rauschen ein. Bei ganz herausgenommenen Dachteilen beginnt ab 90 km/h zudem ein ausgeprägtes Wummern der gesamten Karosse inlusive Türen und Außenspiegeln. Geschlossen bleibt der Jeep leise bis etwa 100 km/h, darüber produziert der Fahrtwind an den Kanten zunehmend hörbare Geräusche.

Neu im Renegade seit August 2018 ist ein Ein-Liter-Dreizylinder mit Turbolader, Direkteinspritzung, Steuerkette und variabler Ventilsteuerung, intern „Firefly” genannt. Die kleinste Einheit aus Fiats Global Small Engine-Familie ersetzt den asthmatischen 1,6-Liter-Ottomotor ohne Aufladung, der es bei mühsam erorgelten 4500/min auf 152 Nm brachte, während der Dreizylinder satte 190 Nm bereits ab lässigen 1750/min herausblubbert. Das vermittelt ein souveränes Gefühl und entspannt den gesamten Fahrstil.

Wahlweise sparsamer Motor

Freilich geht das nicht ohne die für turbogelade Kleinmotoren typischen Ansprechverzögerung, besonders unterhalb 2000/min. Die Schaltempfehlung kommt bei sanfter Beschleunigung ab 1500/min. Damit ist er gut vergleichbar mit dem gleich großen Ford-Dreizylinder mit 125 PS (Test) [2] oder der ähnlich konfigurierten, aber mit 1,2 Litern Hubraum noch kräftigeren Downsizing-Maschine aus dem PSA-Konzern [3]. Die Gangwechsel erledigt man mithilfe einer unpräzisen, aber leichtgängigen Schaltung mit einem stylischen, aber nicht angenehm anzufassenden Schalthebel. Ist der kugelrunde Alu-Schaltknauf kalt, schmerzen einem bei Berührung die Fingergelenke, bei Sonne blendet er manchmal unangenehm.

Trotz besserer Fahrleistungen stieg der Verbrauch gegenüber dem 1,6er laut Katalog nur um einen Zehntelliter. Ob der Dreizylinder den Vorteil auch umsetzt, liegt nun stärker beim Fahrer. Wer sich an die Schaltempfehlungen hält und nicht rast, wird mit dem neuen Motor wohl weniger verbrauchen – wer das Potenzial dagegen ausreizt, eher mehr.

Beim Herumkullern im Speckgürtel ist der Verbrauch kaum unter sieben Liter zu drücken. 6,5 Liter sind überland möglich, was wirklich nicht schlecht ist angesichts der Verbrauchsangabe von 6,1 Liter/100 km. Der an sich sparsame Motor muss eben eine steile Karosse und immerhin 1320 Kilogramm Gewicht (in Grundausstattung) herumstemmen. Fährt man 90 km/h, weist die Verbrauchsanzeige 4,5 Liter auf 100 km aus, das ist auf dem Niveau des deutlich kleineren, leichteren, aber ohne Turbolader fahrenden Opel Corsa B mit 58 PS, wie er 1997 bis 2000 gebaut wurde. Insgesamt kamen wir auf 7,3 Liter je 100 km. Obwohl FCA den Motor schon auf Euro 6d hätte homologieren können, erhält er nur die Einstufung 6d-Temp, damit fährt der Jeep ab Ende Dezember 2020 bereits mit einer veralteten Norm.

Spürbare hintere Einzelradaufhängung

Etwas zu wenig rückenstärkend waren mir persönlich die weichen Sitzpolster, die kurze Sitzfläche hätte ich mir auch in der Neigung verstellbar gewünscht. Auf der Rückbank sitzt man unnötig niedrig, mit einem auf Dauer ermüdenden Kniewinkel. Für den Transport bis zu 2,35 Meter langer Gegenstände kann die Beifahrersitzlehne vollständig nach vorn geklappt werden, die Rückbanklehnen sind in Grundausstattung zweifach, sonst dreifach geteilt umlegbar.

Arge Fahrwerksmängel kaschieren mussten die Sitze aber nicht. Angenehm weite Federwege bieten ausreichend hohen Komfort. Auffällig stark für ein Fahrzeug dieser Größe sind allerdings die Vertikalbewegungen beim Federn, entweder parallel auf und ab, oder abwechselnd mit einem Nicken um die Fahrzeugquerachse. Das straffe Gefühl dürften die nicht serienmäßigen 18-Zoll-Felgen verstärken, in der Limited-Ausstattung sind 17 Zoll Standard, in Grundausführung 16 Zoll. Weil der Wagen für Allradantrieb konstruiert wurde, hat er auch als 2WD eine hintere Einzelradaufhängung. Sie trägt trotz der Stuckerneigung maßgeblich zum Komfort bei, hilfreich dabei sind die langen Querlenker. Harmlos aber spürbar ist das Eigenlenken der Hinterachse beim beherzten Kurvenfahren. Dazu kommt eine unauffällige, wenig Gefühl vermittelnde Lenkung und die Neigung, früh zu untersteuern. Insgesamt fühlt man sich im Renegade so trotz Einzelradaufhängung recht nah an einem Geländewagen.

Die 2WD-SUV Renault Captur [4] oder der Seat Arona (Test) [5] fahren zwar gefühlt präziser, aber ohne hintere Einzelradaufhängung auch weniger komfortabel. Beide haben hinten eine Verbundlenkerachse, die billigste Lösung, aber nicht mit Allradantrieb kombinierbar. Den Aufwand von zwei Fahrwerksversionen je nach Motorisierung oder Antriebskonfiguration leisten sich bei Kompakt-SUV nur wenige Hersteller, wie etwa Volkswagen.

Im Jeep Renegade bieten nur die jeweils größten Otto- oder Diesel-Motorisierungen mit 1,3 respektive 2,0 Liter Hubraum die Option auf einen automatisch zuschaltenden Allradantrieb [6]. Beim 1.3 TGI ist es an einen 9-Stufen-Wandlerautomaten [7] gekoppelt, beim 2.0 MulitiJet hat man die Wahl zwischen Automatik und manuellem Getriebe. Zudem ist eine Variante mit kurz übersetztem Ersten erhältlich, was die Gesamtübersetzung auf rund 20:1 erhöht. Das ist immerhin schon der halbe Weg zu einem Geländefahrzeug wie etwa einem Jeep Wrangler (Test) [8], dort sind Werte ab rund 50:1 üblich. Wer damit ziemlich kompetent abseits der befestigten Oberfläche unterwegs ist, wird die Bezeichnung „Operettenoffroader“ zurecht nicht so gern hören.

Zum Glück mit Drehregler

Die Bedienbarkeit ist weitgehend selbsterklärend und zum Glück hat Jeep trotz des großen Infotainmentsystems mit 12-Zoll-Berührungsbildschirm noch einen Drehregler für die Lautstärke eingebaut. Die Klimabedieneinheit liegt weit rechts unten, bietet aber dankenswerterweise ebenfalls große Knöpfe. Leider ist nicht alles direkt erreichbar, so muss etwa die an sich lobenswerte Lenkradheizung leider in einem Untermenü aktiviert werden.

Besonders ärgerlich aber war, dass das Bediensystem immer mal wieder im jeweils aktuellen Menü festhing, ein Reboot war dann leider nur durch Neustart des Autos möglich. Auf einer Autobahn oder Landstraße ist das natürlich oft nicht mal so spontan drin.

Noch viel unglaublicher waren jedoch die Fehler in den Assistenten für Schildererkennung (Geschwindigkeit), Spurhaltung (erkennt oft gar keine Fahrbahnmarkierungen, steuerte dann aber zweimal sehr überzeugt ganz unbeirrt in den Gegenverkehr – und das ohne sichtbare Linien am Boden) und City-Notbremsung mit zwei extrem erschreckenden Fehlalarmen. Selbst wenn dieser Assistent zurecht alarmiert hätte, wäre mir die laute Warnung keine Hilfestellung gewesen – eher das Gegenteil. Die Rückübernahmeaufforderung kommt oft auf längeren Geradeausstrecken – trotz Händen am Lenkrad. Der Schreck bei Fahrer und Passagieren ist gewaltig, denn auch sie macht sich laut und schrill bemerkbar.

Vielleicht lieber etwas weniger Assistenz

Ich habe die Assistenten abgeschaltet, wo möglich – deren eigenmächtiges Treiben war mir einfach zu riskant. Das ist natürlich genau das Gegenteil von dem, was man von Assistenzsystemen erwarten sollte. Weil FCA beileibe nicht der einzige Hersteller ist, der so unausgegorenes Zeug einbaut, möchte ich noch einmal anregen, Eure Kunden lieber nicht als Beta-Tester zu benutzen. Die leibhaftige Anschauung der Probleme schafft Skepsis gegenüber dem angekündigten selbstfahrenden Auto, das Ihr als Hersteller ja so gern bald verkaufen würdet. Dass Assistenten auch wirklich gut arbeiten können, zeigt der Abstandstempomat des Renegade mit seinen sehr natürlich wirkenden Übergängen, sogar bei Einscherern, die den Mindestabstand nicht einhalten.

Eine Lifestyle-Zugabe ist offenbar das 506-Watt-Soundsystem mit seinen acht Lautsprechern und Subwoofer des – urteilt man nach den Kopfhörern der Mitmenschen in der U-Bahn – gerade ziemlich angesagten Herstellers Beats Audio. Da darf es dann auch nicht stören, wenn es sich eher lifestylish als möglichst neutral anhört. Dafür finde ich es für 1690 Euro inklusive Navi zu teuer.

Der Grundpreis für einen Renegade 1.0 beträgt 20.700 Euro, der Basispreis 25.200 für die höchste mit diesem Motor erhältliche Ausstattungsvariante. Damit erhält man unter anderem die erwähnten, unnötigen 17-Zoll-Felgen, den empfehlenswerten Abstandstempomaten, das unerträgliche Auffahrwarnsystem, einen Totwinkel- und einen Fernlichtassisten, schlüsselloses Öffnen/Verriegeln sowie eine im Verhältnis 40/20/40 klappbare Rücksitzlehne. Dazu kamen das zweiteilig herausnehmbare Dach für 1490, LED-Scheinwerfer für 890 Euro und das leuchtende Orange für 490 Euro, um nur einige Sonderausstattungen zu nennen.

Der Testwagen kostete damit 30.440 Euro. Das spielt sich im Rahmen der ähnlich motorisierten und dimensionierten Autos wie dem Seat Arona 1.0 EcoTSI (Test) [9], einem Hyundai Kona 1.0 oder auch dem eleganten Mazda CX-3 Skyactiv-G 120 ab. Alles ernstzunehmende Crossover-Kompakte, jedoch wohl kaum wirklich eine Alternative für Menschen, die der verwegene Auftritt des Renegade anspricht.

Für Überführungs- und Treibstoffkosten kam Fiat Chrysler Deutschland auf.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Klartext-Die-Lehren-der-Diaet-Cola-3130997.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Im-Test-Ford-Fiesta-EcoBoost-1-0-Titanium-3890885.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-Citroen-C3-Picasso-PureTech-110-3301394.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Vorstellung-Renault-Captur-2020-4461174.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-Seat-Arona-1-0-EcoTSI-3986268.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Mitlaeufer-ausgeschaltet-1786343.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Innenvielzahn-1784562.html
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-Jeep-Wrangler-2-2-CRDi-4217407.html
[9] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-Seat-Arona-1-0-EcoTSI-3986268.html