Klartext: Fressen vor Moral

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Bosch hatte schon oft Technik, die keiner ihrer Kunden wollte. Die ersten elektronischen Einspritzanlagen in den Siebzigern wollte keine Sau kaufen. Warum auch? Die Vergasermotoren liefen prächtig, vor allem mit Super verbleit. Dann verschärfte Kalifornien plötzlich die Luftreinhaltungsgesetze massiv, die Kunden standen Schlange und der Rest ist Geschichte. Oder die Tachorückdrehermafia: Man hätte ihnen schnell beikommen können, durch Authentifizerungstechniken der betroffenen Steuergeräte, Hashes, Signaturen. Aber auch hier wieder: „Das können wir schon machen, aber das kauft kein Kunde.“ Nachvollziehbar. Man stelle sich den Autohändler vor, der dem typischen Golf-Kunden erklärt, dass er für Kryptotechnik 500 Euro mehr zahlen soll, die frühestens dem Nachbesitzer zugute kommt. Auch hier fand die Technik erst den Weg ins Auto, als der US-Gesetzgeber dies verlangte, konkret für die Infrarotkamerasysteme mit Personenerkennung, die unter US-Waffengesetze fielen und daher nicht ohne ihr Auto funktionieren durften.

Geschäftsmodelle mit Rückgrat

„Im Zweifelsfall gehen die Bosch-Werte vor Kundenwunsch“, so also die neue Orientierung. Auch diese Geschäftspraxis gehört zu den gängigen. Man kann durchaus ein gutes Geschäft mit einem eindeutigen Standpunkt machen. Sie hat nur ein Problem: Sie erfordert hohe Konsequenz. Wenn ich zum Beispiel einen Auftrag nicht annehme, sage ich nur: „Das biete ich derzeit nicht an, zu keinem Preis.“ Die Formulierung lässt die Gründe absichtlich offen, denn sie können ja nur problematisch sein. Manchmal möchte ich einem armen Kunden nicht bei etwas helfen, das ich klar als einen gezielten Schuss in den eigenen Fuß sehe. Oder es sind gleich Dinge, die aus gutem Grund mindestens verpönt, häufig aus gutem Grund verboten sind – Schleichwerbung zum Beispiel.

„Nur dieses eine Mal!“, „Stell dich ned so an!“, vor allem aber „Das merkt doch keiner.“ sind die Dinge, die dazu unbedingt abgeschmettert werden müssen, weil ein kleiner Lapsus in der Konsequenz dich auf die steile, gut geölte Rutschbahn in das Tal schickt, aus dem du entkommen wolltest. Und das ist für mich eben einfacher als für Bosch, denn ich muss das jeweils ein einziges Mal einhalten für meinen Einmannbetrieb, während dort über 400.000 Menschen arbeiten.

Ich freue mich darüber, wie dieser große Zulieferer sich mehr Mühe geben will, anständig Geschäfte zu machen. Solche Anstrengungen lobe ich stets. Mich stört etwas ganz anderes: Bosch schreibt eine Pressemeldung, dass sie sich (jetzt neu!) an Gesetze halten wollen, und seht her: ein Kodex! Bleh. Das ist doch das, was wir die letzten Jahrzehnte schon hatten: freiwillige Selbstkontrolle der Industrie. Sie hat noch nie funktioniert, in keiner Branche, in keiner Instanz. Was mich als Resultat aus dem Dieseldilemma freuen würde, wären echte Kontrollen des Staats. Wir hatten auch vor VWs USA-Debakel schon passende Gesetze. Es hat sie nur der Bock kontrolliert statt der Gärtner. (cgl)