Klartext: Make America Fast Again

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In diesem Projekt endlich enthalten: Die Serienversion der LiveWire, der besten und schönsten Harley, die ich je gefahren bin. Ich weiß: Sie sehen das anders. Sie dürfen das, genau wie ich. Denn darum geht es ja: Mehr unterschiedliche Menschen zur potenziellen Zielgruppe hinzufügen. Da darf die derzeit boomende Zielgruppe der Tallrounder nicht fehlen: 2020 will Harley mit der Pan America 1250 eine Reiseenduro bringen, die aussieht wie eine retrofuturistische BMW GS in einem billigen oder ironischen, jedenfalls ebenfalls retrofuturistischen Weltraumfilm. Ich finde den Gestaltungsmut gut, und die Erfahrung zeigt: Tourenkräder MÜSSEN abscheulich hässlich aussehen, sonst verkaufen sie sich nicht.

Dann die geplante Streetfighter mit 975 ccm: So hat sich Harley wahrscheinlich damals gewünscht, dass Erik Buell Motorräder für sie gestaltet. Sie hätten wissen müssen, dass Eriks Rennsportnagel im Kopf nicht ohne Tod des Patienten entfernbar ist. Egal, anderes Thema. Noch einmal Mut: Harleys Neuaufstellung geht weiter mit kleinervolumigen Zweirädern für den asiatischen Markt – trotz des Scheiterns der grottigen Street 750. Dazu kommen im Gefolge der LiveWire kleinere E-Krafträder, von denen eins so ausschaut, also wolle Harley dem Newcomer Alta Motors und dessen Street Tracker zuvorkommen. Dazwischen ein Custom-Modell, als offenherzige Einladung an die Altherren-Stammkundschaft: „Vielfalt heißt, dass ihr auch dabei seid.“ Alles tolle Neue-Welt-Impulse in einen Markt, den Europa die letzten Jahre gesteuert hat, seit Japan in Duldungsstarre verfallen ist.

Make Sport Breit Again

Neue Impulse allein reichen mir als Anlass zur Freude. Es kommt jedoch noch etwas Anderes dazu. Die neuen Impulse zielen nicht nur auf die wankelmütigen alten Herren, die eh nur das wollen, was sie schon haben, nur vielleicht in ein bisschen aufpoliert. Nein, sie wollen Breite schaffen. Wo in Asien das per-capita-Einkommen ausreichend gestiegen ist, sollen Kräder zwischen Mittelstandsluxus und Pendel-Esel entstehen. Wo die Infrastruktur vorhanden und die Wege kurz sind, sollen elektrische Antriebe angeboten werden (hallo, Irland!). Und wo die Leute hässliche Zweirad-SUVs verlangen, will man zeigen, welche Nation die ineffizientesten Fettbomber mit dem größten Stolz zum Wal-Mart fährt.

In all dieser Diversifikation gefällt mir jedoch die große Gemeinsamkeit: Die meisten dieser neuen Ideen setzen nicht auf überzüchtetes Cruiser-Geschwulst, sondern auf ein Mindestmaß an Fahrdynamik. Keine übertriebene Sportlichkeit, sondern eben gerade breitensporttauglich, wie Bergwandern auf einem A-Steig. Wenn das zündet, könnte es das Motorradfahren wieder ein ganzes Stück zurück in die Mitte der Gesellschaft rücken. In den Neunzigern hat ebendas den großen Kraftrad-Boom angetrieben. (cgl)