Im existenzängstlichen Medienmarkt wird zu wenig versucht

Klartext: Versuch macht kluch

Der Fachmagazinmarkt geht den Bach herunter, allerdings so langsam, dass nur wenige es wirklich wahrnehmen. Was die Zukunft sein könnte, wissen wir schlicht nicht. Wir müssten Dinge ausprobieren

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Jedes Quartal schickt Kollege Maik (Motorradmagazin MO) unter Kollegen die aktuellen Zahlen der IVW herum, und jedes Mal sind sie etwas kleiner als beim letzten Mal. Es sind keine dramatischen Klippen in diesen Kurven der IVW, die stets die Verbreitung von Medienobjekten misst. Es gibt keine tiefen, abrupten Löcher, in die die Fachmagazine geraten sind, und vielleicht ist gerade das am gefährlichsten. Wir kennen alle die Parabel vom Frosch. Fällt er in zu heißes Wasser, springt er sofort heraus. Aber liegt er in Wasser, das ganz langsam immer heißer wird, kocht sein Leben aus, ohne dass er je den einen Anlassschwellenwert gehabt hätte, den Sprung ins Ungewisse zu tun.

Wenn ich mich mit Fachmagazin-Kollegen unterhalte, herrscht noch immer der Gedanke vor, dass man nur mit den bekannten Mechanismen das perfekte Heft machen müsse, dann kämen die Leser schon. Dieser Gedanke liegt nahe und gar nicht mal falsch. Er dreht und angelt nur eben um den Definitionskontext des Adjektivs „perfekt“ oder seine genauso gemeinten Synonyme (“richtig gut“), genauso wie um die Bedeutung des Substantivs „Heft“. Ich halte wenig vom Thema „Männer mit gut geölten Bärten dilettieren bedeutungsschwanger mit der Flex um ihre alten Kackstühle herum“, aber ich halte viel davon, wie Rolf Henniges eben dieses Thema im Heft „Fuel“ aufbereitet: tolle Fotos, offen-modernes Layout, gekonnt abgestimmte Themenmischung, gedruckt auf gutem Papier.

Im Kontext Bartölbedeutungsschwangerer passt das Medium Papier, weil diese Zielgruppe ja auch aus dem Manufaktum-Katalog Bakelit-Telefone und -Lichtschalter kauft. Je älter eine Technik ist, umso mehr wird sie geliebt, solange die allgemeine Bequemlichkeit nicht darunter leidet. Vinylplatten. Geil. Werden alle drei Monate mal aufgelegt, um im Kratzen der Nadel in Jugenderinnerungen zu schwelgen. Im Alltag läuft aber Spotify. Holzöfen. Geil – solange zusätzlich die Zentralheizung beliebigen Brennstoffs im Keller fast wartungsfrei vor sich hinbrummelt. Selbst das Retromotorrad, der in Metall gefrorene Batzen Siebzigerjahre-Selbstverwirklichung, heilt zwar die Seele, muss aber nicht wirklich als Transportmittel funktionieren. Das tut irgendein Furz-Vierzylinder-Vierrad. In dieser Gefühlswelt tut die Fuel genau das, was Rolf will: Sie betankt die Seele mit Treibstoff oder profaner: Sie schmiert emotionalen Schmalz zum Interessengebiet Motorrad in die Momente, in denen der Leser Muße dazu hat.

Digital first, Bedenkenförster

Die Fuel verkauft sich erfreulicherweise gut genug, dass der Verlag sie regelmäßig herausbringt. Andere Print-Beispiele laufen sogar extrem gut: Die Bilder-Zeitschrift „Landlust“ explodierte auflagentechnisch vor einigen Jahren und begründete das ganze Genre „Landlust-Kopien“. Von solchen Geschichten lässt sich ein Heftemacher gern faszinieren. Einmal eine Auto-Landlust an den Start bringen! Das wär‘s. Ausgesorgt. Wir müssen dabei aber schnell feststellen, dass lokale Anekdoten gegenteiliger Entwicklungen wie Fuel oder Landlust nichts daran ändern, dass der Hauptmarkt in seiner Gesamtheit weiterhin schrumpft. Leser starren immer weniger auf Papier und immer mehr auf Bildschirme. Das geht seit Jahrzehnten so, ohne dass die etablierten Verlage etwas daraus machen konnten.

Das Wegbröckeln der Leser wäre nicht so schlimm, wenn es nicht im Gleichschritt einherginge mit einem Webröckeln der eigentlichen Kundschaft: der Werbetreibenden. In gewissem Maße orientiert sich das Eine am Anderen: Leserquantität und -qualität bestimmen die Werbenachfrage. Darüber hinaus erlebt die Werbeindustrie jedoch parallel zu den Medien ihre eigene Krise, für den Endverbraucher wohl am besten sichtbar darin, dass mühsam aufgepäppelte Markennamen in peinlichsten Influencer-Kampagnen verfeuert werden. Unmoderiert werden die Marken in extremo so wertlos werden, dass sie von ganz unten wieder neu heraufgepäppelt werden müssen. Dann rummst das Geldschott sofort in die Vollschließung. Man könnte also als Verlag auf den Influenza-Zug aufspringen, würde aber mittelfristig gesehen damit einfach nur mit auf diesen Abgrund zufahren.

Die einst große Hoffnung Tablet-Magazine? Mikroskopische Umsätze. Es bleibt hauptsächlich der Publikationsweg online in XHTML. Die langsam steigenden Werbeeinnahmen dort fangen aber die zügig zurückgehenden Print-Einnahmen nicht auf, es bleibt netto hartnäckig ein Minus. Verzweifelt werben die Agenturen immer aggressiver, was die Werbekrise nur beschleunigt. Adblocker. Ablockerblocker. Gezeter.

Der Anlass, dieses alte Thema wieder auszugraben, war ein Waldlauf mit einem Fachmagazin-Kollegen. Er sorgt sich zu recht um seine Zukunft. Er denkt daran, wie sein Heft eine bessere 2.0-Version seiner selbst werden könnte, und obwohl er viel jünger ist als ich, merkt er nicht, wie gammelig schon die Idee des „2.0“ ist. Der große Versionssprung wird die Branchenkrise überwinden. Nein.

Mich hat der Web Summit auf ganz verschiedene Arten fasziniert. Die Hauptfaszination dabei war jedoch: Diese Leute konkurrieren mit dir als Medienmacher um die Aufmerksamkeit der Menschen, ob sie nun Spiele produzieren oder Middleware oder eine effizientere Komprimierung für 360°-Videos. Aber während Verlage in zwanzig Jahren Medienwandel selten Dinge ausprobierten, am wenigsten gerade jetzt, hauen diese Leute ständig was raus. Agile Entwicklung, Minimal Viable Product, zack, dann steht mal etwas da. Dieses Etwas ist zwar häufig wirklich minimally viable, aber meistens besser, als wenn es das nicht gäbe. Und dann werden in iterativen Sprints Funktionen schichtweise draufgeschmiert, bis es am Ende ausschaut, als wäre ein Plan aufgegangen. Natürlich läuft das so nur nur für immaterielle Produkte wie Software. Aber mir fällt ein immaterielles Produkt ein, das genauso behandelt werden könnte, und das ist die Information, aus der ein virtuelles „Heft“, ein Magazin in gleich welchem Medium besteht.

Fires on the Road

Ich glaube, dass die meisten Verleger geduldig auf eine Antwort warten, die ein Anderer gibt, ein Vormarschierer. Wenn aber alle nur warten und keiner vormarschiert, wird es diese Antwort nie geben. Ich kenne sehr viele Ideen aus sehr vielen Quellen für neue Objekte oder neue Arten, ein bestehendes Objekt zu gestalten. Sie liegen alle für immer in Schubladen. Es mangelt nicht an Ideen, sondern am Mut, sie auszuprobieren.

Damit dieser Text nicht so unkonkret, so negativ bleibt, nenne ich zwei positive, umgesetzte Ideen. Vor einiger Zeit traf ich einen US-Journalisten, der sein Motorradmagazin verkauft hatte, um eine Motorrad-Social-App herauszubringen. Sicherlich gab es da schon andere, ähnliche Apps, aber sein Redakteurs-artiges Herangehen könnte durchaus für die Eigenständigkeit sorgen, die jedes Objekt auch unter Apps braucht. Außer dem üblichen Routengetausche veranstaltete er zum Beispiel Geo-GPS-Challenges wie „Wer fährt die meisten Pässe an einem Tag?“, mit einem Satz gesponserter Reifen als Preis. Er finanziert sich über Werbung, aber da er nichts testet, steht er auch nicht im Interessenzwiespalt zwischen Hersteller und Konsument. Da werde ich sicherlich auch mal eine Challenge mitfahren – einfach der Erfahrung wegen.

Auch mein Steckenpferdthema, die freiwillige Leserfinanzierung, kann ich außer mit meinen eigenen, sehr kleinen Experimenten, mittlerweile zusätzlich mit den Erfahrungen des Guardian belegen. Man kann seit einiger Zeit (ohne Paywall, rein freiwillig) Artikel unterstützen, in dem man der Redaktion eine Münze in den Hut wirft. Mittlerweile verdient der Guardian an diesen freiwilligen Beiträgen mehr als mit Werbung. Wenn man sich fragt, warum das funktioniert, geben die Artikel die Antworten: Sie sind rein für Leser geschrieben, nicht für Massenklicks, nicht für Werbekunden. Da gibt es offenbar einen Markt. Deshalb möchte ich am Ende gern hören, was Sie sich denn von einer Fahrzeugpublikation wünschen. Sollten wir ein bisschen Aufwand investieren, um das Thema Dieselgeschummel einmal großflächig zusammenfassend abzuleuchten? Sollten wir mehr Autos im althergebrachten Vergleichstest gegenüberstellen? Oder sollten wir im Gegenteil Mobilität an sich erforschen, also um den Autokern die E-Bikes, Sharing-Apps und A-nach-B-Anbieter beleuchten? Ich glaube ja, dass viele Leser durchaus artikulieren können, über was sie gern etwas lesen würden, auch wenn es das gerade nicht gibt. Den Versuch ist es auf jeden Fall wert.