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Sollte man noch ein Auto mit Dieselantrieb kaufen?

Klartext: Wenn der Diesel in den Straßen fließt

Klartext Clemens Gleich
Klartext

In den Medien scheinen die größten Gefahren Terroristen, Dieselmotoren und Christian-Lindner-Fotoshootings. Die realen Gefahren Krankheit, Selbstmord und Straßenverkehr verdrängen wir. Eine Diesel-Kaufberatung

„Wenn das Blut in den Straßen fließt, ist der richtige Zeitpunkt zum Investieren”, soll der alte Baron Rothschild einmal gesagt haben. Denn zum Risiko solcher Situationen gibt es häufig einen dem Risiko überproportionalen Ertrag oder das Risiko schaut nur so schlimm aus wegen dem ganzen Blut. Als es VW-Aktien für einen Hunni gab, kaufte ich zum ersten Mal im Leben Aktien. Meine Bank rief wöchentlich an, schickte mir Lagebewertungen der US-Bank Goldman Sachs oder Zeitungsschnipsel von Leuten, die das Geld anderer Leute investieren und alle von so einem Risiko abrieten. Aber hey: Wenn es morgen Nutella für einen Euro das Kilogramm gibt, kaufe ich das auch – egal, was Goldman Sachs rät. Was soll schiefgehen?

Der Punkt war: Volkswagen ging es nicht so schlecht, wie die völlig überhitzte Debatte dem Markt suggerierte. Das Risiko von VW-Aktien um die 100 Euro war winzig. Die Erträge dagegen waren gut. Ich verkaufte bei 125 bis 135, je nach Charge, innerhalb einiger Monate. Mit täglicher Börsenkurs-Prüfung und mehrfacher Wiederholung schafften Profis wahrscheinlich deutlich mehr, weil der Kurs ja schwankte im Sturm der Entrüstung. Der Gelegenheits-Börsianer tut offensichtlich gut daran, immer das Gegenteil dessen zu tun, was Goldman Sachs empfiehlt. Wahrscheinlich machen sie das auch selber so in Manhattan. Ich erzähle das, weil wir aktuell wieder eine völlig überhitzte öffentliche Diskussion erleben, die das Risiko eines Dieselkaufs so enorm scheinen lässt, dass selbst die höchsten Rabatte, die ich je erlebt habe, nicht ziehen. Wie riskant ist derzeit ein Dieselkauf?

Dieselruß als Aufmacher

Zunächst: Welche finanziellen Vorteile bringt die aktuelle Lage? Das Dudoskop [1] sagt: Nachlässe bis zu 46 Prozent im Volkswagen-Konzern, und zwar sogar bei den Massenmodellen Skoda Octavia [2] und VW Passat [3]. Grund für die Rekorde sind die Dieselprämien, die VW und Co. über die ohnehin schon hohen Nachlasse anbieten. Beim Kauf eines Touareg gibt VW selbst schon bis zu 10.000 Euro Nachlass, wenn Sie einen alten Diesel verschrotten. Dazu kommen alle anderen Rabatte. Selbst der immer sehr preisstabile Bus, der VW T6 [4], geht mit Dieselmotorisierung deutlich billiger weg. Ein Kollege hat sich jetzt die Camping-Variante California [5] gekauft, weil der Neupreis so gut war, dass ein Jahreswagen nicht lohnte.

Warum das so ist, kann jeder in seiner Filterblase oder seinem Postkasten sehen. Das ADAC-Treppenlift-Blättchen titelt zum bestimmt dritten Mal mit einem Golf in einer Rußwolke. Wege aus der Dieselkrise. Da würde ich auch keinen Diesel kaufen wollen. Die linksprogressiven Blätter führen an, dass in drei bis acht Jahren keine Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden sollen, als wäre ihnen das längst selbstverständlich geworden, obwohl sie dann in keiner Zeile benutzbare Alternativtechniken aufführen (die es ja gäbe, wenn sie nur jemand bezahlte). Und selbst das Wort „Diesel” ist so überlastet, dass ich einen Moment innehalte, wenn ich morgens eine Unterhose mit diesem Wort darauf sehe. Was sollen nur die Sportkollegen von mir denken?! Jeder Zweifel jedes Endkunden wird verständlich.

Dass Preise von Angebot und Nachfrage geregelt werden, erzählt man jungen BWL-Studenten, damit sie die harte Wahrheit auf später verschieben können: Emotionen regeln Preise regeln Emotionen. Sonst könnten sowohl Aldi als auch Apple [6] den Laden zuschließen. Eine weitere Wahrheit: Der Mensch schätzt Risiken sehr realitätsfern ein. Autofahren scheint ihm sicher, solange er am Steuer sitzt, obwohl er im Straßenverkehr mit der größten Wahrscheinlichkeit verstirbt. Im Kreise der Bekannten fühlt er sich dem Gewaltverbrechen fern, obwohl es ebenda in der Realität am häufigsten über ihn hereinbricht. Vor Terror und Stickstoffdioxid haben wir deshalb Angst, weil sie uns ständig entgegengeschrien [7] werden. Terror wirkt erst, wenn alle mitschrei(b)en, das ist das offene Geheimnis der asymmetrischen Kriegsführung. Aktuell schreiben alle mit, dass der Diesel eine gefährliche Sache ist. Goldman Sachs rät vom Kauf ab. Betrachten wir also den größten Angstpunkt, das größte Einzelrisiko.

Verbieten, wegsperren, vernichten

Das heißt „Fahrverbote in den Städten” und bedeutet eine erhebliche Nutzenminderung des Fahrzeugs für Pendler, die mit entsprechenden Emotionen und Preisen einhergeht. Diese Fahrverbote sind aus den Plänen der Städte deshalb nicht wegzudenken, weil sie seit 2015 auf Einhaltung der Luftgrenzwerte verklagt werden können, was unser spezieller Freund, der Herr Resch (DUH) dann auch mit Gusto tut [8]. Die Städte müssen den Schiedsgerichten wahrscheinlich irgendwas zeigen, einen Beleg nicht für Wirksamkeit, aber eben mindestens für Tätigkeit. Die derzeitigen niedrigen Grenzwerte für Feinstaub und selbst Stickoxide können an manchen Tagen ohne jedes Auto überschritten werden. Wenn das jedoch passieren sollte und die Stadt schon irgendetwas verboten hat, kann sie darauf verweisen, dass sie ja was getan hat, Wirkung oder nicht. Wenn dann Gott einen giftigen Furz hat fahren lassen (höhere Gewalt), kann die Stadt auch nicht mehr tun als beten.

Daraus ziehe ich durchaus einige Hoffnung darauf, dass Dieselpendler oder wichtiger: die städtischen Betriebe aller Größen mit ihren Dieseltransportern einen Ausnahmeaufkleber erhalten könnten. Das ist jedoch alles völlig ohne Belang für den Dieselneukäufer. Er kauft Euro 6, besser Euro 6c. Motoren dieser neueren Zulassung sind in den Plänen der Verbote praktisch immer außen vor, darunter auch in den Vorschlägen zur Blauen Umweltzone. Selbst bei schlechten Euro-6-Modellen mit in der Realität scheußlichen Abgaswerten [9] schaut es also mit Nutzung recht gut aus. Die großen, wichtigen Motoren vor allem deutscher Hersteller liegen auch in der Realität bei sehr guten Werten. Alle Dieselmotoren auszusperren wäre die industriefeindlichste Politik in der Geschichte der Republik – denkbar, aber sehr unwahrscheinlich. Wie käme der Pendler danach in die Stadt? In einem wesentlich älteren Benziner (Wertverfall Diesel). Würde sich die Luft mit einem derart veränderten Fahrzeugpool unterm Strich verbessern? Ich glaube nicht, Tim.

Ich glaube deshalb vielmehr, dass der Kollege das Richtige tat. Eine bessere Gelegenheit, einen T6 günstig zu kaufen wird so schnell nicht wieder kommen. Der neue Diesel-Vierzylinder zeigt gute Werte bei Abgas und Verbrauch. Wäre ich auf der Suche nach einem VW Bus, wäre ich mit der aktuellen Marktsituation sehr glücklich. Aber ich bin es nicht, und bis ich einen Dieselbus kaufe, bin ich auch nicht besser als die Bank, die Dinge empfiehlt, die sie selber nicht tut. Die sichere Mark sitzt derweil in einem Benzin-Elektro-Hybrid. Investieren! Herzlichst, Ihr Lloyd Blankfein.


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[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-Skoda-Octavia-Greenline-Gruene-Woche-2268607.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Unterwegs-im-VW-Passat-2-0-TDI-mit-150-PS-2688252.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Unterwegs-im-neuen-VW-T6-2672084.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-VW-California-Beach-2760578.html
[6] https://www.heise.de/mac-and-i/
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Klartext-Das-Ende-der-Dieseldiskussion-3794914.html
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/DUH-gewinnt-Prozess-um-Fahrverbot-in-Stuttgart-3785584.html
[9] https://www.heise.de/autos/artikel/ICCT-Neun-von-zehn-Euro-6-Dieseln-reissen-die-Werte-3821694.html