Wir sind noch nicht da

Test Motorrad-HUD Nuviz

Mit dem Nuviz gibt es jetzt das erste HUD für Motorradhelme: Ein kleiner Plastikkasten mit einem schrägen Halbspiegel, ein Projektor, eine Kamera, ein Smartphone-Chipsatz und Peripherie. Ein Praxistest

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Zweirad 9 Bilder
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Ein Stück Zukunft ist da: Nuviz, ein Head-Up-Display für Motorradhelme. Klar, dass da die technikfreundlichen Tourenfahrer und Gadget-Fans darauf geiern. Aber ebenso klar dürfte sein, dass die nötige Technik einigen Hirnschmalz verlangt. Nuviz löst das Problem des sehr begrenzten Platzes im Helm dadurch, dass es nicht im Helm sitzt, sondern außen angeklebt haftet. Vor das Visier ragt ein durchsichtiger Plastikkasten mit einem Halbspiegel darin, der etwas ans YPS-Periskop erinnert. Hierein projiziert das Gerät seine Anzeigen.

Obwohl man ihn an seinem Arm noch um zwei Achsen etwas bewegen kann, muss der Kasten schon von der Grundposition her gut im Blickfeld sitzen. Von sechs Helmen im Haus passte das Gerät sicher nur an den HJC. Bei den anderen war entweder eine Lüftung im Weg oder die Form des Helms passte nicht zum Klebepatch. Dazu kommt die Installation von Kopfhörern und einem Mikrofon, die von der angeklebten Basisplatte (die Einheit ist abnehmbar) aus per Kabel versorgt werden. Ob die Kopfhörer so nach innen passen, dass nichts drückt, muss auch ausprobiert werden. Mein dringender Tipp wäre also: Auf keinen Fall blind bestellen, sondern zu Tante Louise gehen (Motorradkette Louis), die das Gerät führen, und dort mal an den eigenen Helm halten, ob das passt. Ich habe sicherheitshalber in der Hamburger Zentrale gefragt, Antwort: Man helfe gerne bei der Passprobe.

Zäh

Ich gehe fest davon aus, dass sich der Hersteller mit Hard- und Software viel Mühe gegeben hat. Die Installation läuft dennoch holprig, das ging auch anderen so. Bis mal alles so läuft wie versprochen, vergeht auch bei technikaffinen Motorradfahrern einige Zeit. Das wiederholt sich dann gelegentlich, wenn ein Update der Software eingespielt wurde. Wer schon an Garmins Nutzer-Interface im Motorrad-Navi Zumo verzweifelt, wird hier nicht glücklich.

Wenn alles läuft, dann so: Ein kleiner, runder Controller mit vier Tasten und einem Rauf-Runter-Knubbel bedient das Interface im HUD. Zusätzlich läuft auf dem Smartphone eine Nuviz-App, die Routen zum Gerät schickt, Musik per BT Audio in die Kopfhörer spielt oder die Telefon-Headset-Funktion von Nuviz steuert: Der User muss hier aus seiner Kontaktliste markieren, wen er im Interface anrufen können will.

Ohne Smartphone wird das Navi im Nuviz praktisch wertlos, weil man ohne die Fernbedienungs-App nur noch Favoriten und POI anfahren kann. Eine Route plant immer die App. Der Tourenfahrer muss also nicht nur auf den Akkustand des Nuviz achten, sondern auch auf Batteriestand und -temperatur des Smartphones, also es im Winter ganz nah am Körper tragen, denn sonst werden vor allem Apple-Geräte schnell den Dienst wegen Kälte quittieren. Nuviz könnte eigentlich viel mehr selbst tun, denn es enthält einen vollwertigen Smartphone-Chipsatz (Qualcomm Snapdragon 4-Kerner auf 1,6 GHz) mit 16 GByte Speicher und 1 GByte RAM. Hier ist Raum für künftige Software-Updates.

Better in the Wind

Meine Befürchtung vorab, das Nuviz könne im Wind ein Problem darstellen, bestätigte sich nicht. Verkehrsbedingt konnte ich nur bis 170 km/h fahren. Dabei zieht die Nuviz-Seite sehr leicht am Helm nach rechts – nicht schlimm, auch nicht beim Schulterblick. Ähnliches berichtet die "Motorrad" in ihrem Test bei Autobahnfahrt. Kamera für Foto und Video ist okay, geht bis 1080p30. Das HUD wird dabei zum Sucher, die Linse ist in geringem Maß gegenüber dem Projektor beweglich.

Alle Funktionen tun so lala irgendwann das, was der Hersteller verspricht. Das war zu erwarten von einem Erstlingswerk. Nicht erwartet habe ich, dass die Kernfunktion nicht halten kann, was sie verspricht. Um aufs HUD zu gucken, muss der Blick nach rechts unten wandern und das Gehirn sich dann auf eine Anzeige konzentrieren, die in der Praxis so wenig durchsichtig ist, dass Nuviz auch einfach einen schmalen Bildschirm ins Sichtfeld hätte halten können. Dieser Blick nach unten zieht gleich viel bis mehr Aufmerksamkeit von der Straße weg wie der Blick auf den Tacho. Dasselbe berichtet der Tester bei CNet.com in seinem Test.

Es tut mir leid, aber damit fällt das Gerät in seinem Hauptversprechen durch. Es bleiben knapp 700 Euro dafür, einer technischen Tourenfahrer-Avantgarde anzugehören. Daher noch einmal mein Tipp: Der Interessent gehe unbedingt in einem Fachgeschäft vorbei und lasse sich den Vorführer ausführlich zeigen. Ich möchte vehement davon abraten, das Nuviz blind zu bestellen. Respekt vor der harten Arbeit, Nuviz, aber das Ergebnis ist noch nicht ganz da, wo es sein müsste.