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Unterwegs in der Mercedes B-Klasse Electric Drive

Guter Appetit

Fahrberichte Christoph M. Schwarzer
alternative Antriebe, Elektroautos

Siiiaum, und weg! Elektrische Ampelstarts machen einfach mehr Spaß – egal mit welchem Auto. Teile des Antriebs der elektrischen B-Klasse stammen von Tesla Motors. Wir probieren, ob ihre Batteriekapazität von 28 kWh – entsprechend etwa einem Drittel Tesla Model S – ausreicht, um zu überzeugen

Hamburg, 22. Mai 2015 – Siiiaum, und weg! Der Ampelstart ist in Elektroautos die reine Freude. Bei der Mercedes B-Klasse Electric Drive fällt ein Drehmoment von 340 Nm bei 132 kW Motorleistung fein an der Traktionsgrenze eingeregelt über die Vorderräder her. Subjektiv geht es mit den umgerechnet 179 PS kräftig voran; die Werksangabe von 7,9 Sekunden für den Standardspurt ist auch ohne Stoppuhr glaubwürdig. Ab 39.151 Euro ist der Wagen zu haben, der Teile des Antriebsstrangs aus der Kooperation von Daimler mit Tesla Motors geerbt hat. Legt man die Batteriekapazität von 28 Kilowattstunden zu Grunde, ergibt sich rein rechnerisch ungefähr ein Drittel des Tesla Model S. Reicht das, um zu überzeugen?

Im raren Angebot der Batterie-elektrischen Autos hat die Mercedes B-Klasse Electric Drive zwar keinen direkt vergleichbaren Konkurrenten. Trotzdem tummeln sich in der Kompaktklasse drei E-Fahrzeuge, die ein ungefähr ähnliches Paket bieten: Der VW e-Golf [1], der Nissan Leaf [2] und neuerdings der Kia Soul EV [3]. Der Benz bietet als Van mit 501 Litern einen besonders großen Kofferraum ohne Platznachteil gegenüber den Otto- und Benzinvarianten der bei Privatkunden sehr beliebten B-Klasse [4].

Das Platzproblem wurde nutzerfreundlich gelöst

Dass es beim Versuch, die Batterie unterzubringen, doch ein wenig knapp wurde, ist mit dem bloßen Auge sichtbar, wenn die elektrische neben einer gewöhnlichen B-Klasse parkt: Sie liegt deutlich höher, was durch zusätzliche Plastik-Radläufe kaschiert wird. Und beim kritischen Blick auf die Seite fällt auf, dass der Energiespeicher ein wenig nach unten herausguckt.

Erinnern wir uns an die Einführung der zweiten B-Klasse, die intern als W246 sowie als Electric Drive unter dem Kürzel W242 geführt wird: Neben den Versionen mit Hubkolbenmaschine stand auf mehreren Messen die Studie E-Cell Plus [5], ein Plug-In-Hybrid mit dem im Smart Fortwo verbauten Dreizylinder von Renault. Darüber hinaus hatten viele einen F-Cell [6] erwartet, die Fortführung der Brennstoffzellenvariante. Pustekuchen, entschied das Management, beide gestrichen. Über drei Jahre nach der Markteinführung wurde im letzten Jahr als Trostpflaster für Kunden und Flottenemissionen die B-Klasse Electric Drive angeboten. Damit wird wenigstens ein Angebot dem Komfort als Markenkern von Mercedes durch vibrationsfreien Genuss im gut gedämmten Innenraum gerecht.

Der Testwagen war, wie üblich, üppig ausgestattet. So kostet etwa die Ausstattungslinie „Electric Art“ mit 18-Zollfelgen und 225er-Bereifung, seitlichem „Electric Drive“-Schriftzug sowie hellblauen Spiegeln und Grill 2308,60 Euro Aufpreis. Ein entbehrliches Paket, zumal die breiten Reifen eine der Ursachen für den unangemessenen Stromverbrauch sein dürften. Sinnvoller erschien uns dagegen „Range Plus“ (892,50 Euro), ein Schalter, über den das Ladefenster der Batterie erweitert werden kann. Tesla lässt grüßen. Unbedingt empfehlenswert sind auch der Tempomat (297,50 Euro) und das „radargestützte, rekuperative Bremssystem inklusive Lenkradschaltpaddles“ für 416,50 Euro.

Radargestützte Rekuperation ersetzt die Distronic nicht

Über die Wippen am Lenkrad kann die Stärke der Rekuperation eingestellt werden. Wir empfehlen, die Finger davon zu lassen, dann bewegt sich die B-Klasse im Modus „D-Auto“. Dieser bietet die automatische Einstellung der Bremsenergierückgewinnung in Abhängigkeit des Abstands zum Vorausfahrenden. Auf freier Strecke segelt der Mercedes, die Rekuperation bei losgelassenem Fahrpedal ist Null, während sie im Stadtverkehr schnell auf die maximale Größe geht, sobald ein Vordermann identifiziert wird. Vorsicht: In vielen Fällen muss doch die Reibungsbremse bemüht werden, und das System verzögert nicht bis zum Stillstand. Letztlich, das müssen wir zugeben, hätten wir uns von Mercedes statt dieses Assistenzsystems eine Distronic gewünscht, also einen Tempomaten mit echter Abstandsregelung. Die Konkurrenz von BMW und Volkswagen bietet das an, und gerade in Kombination mit dem Elektroantrieb ergibt sich dort ein unnachahmlich geschmeidiges Fahrerlebnis.

Geladen wird die Mercedes B-Klasse Electric Drive entweder an der Haushaltssteckdose (Werksangabe: neun Stunden) oder wie in unserem Test an öffentlichen Ladesäulen bzw. der heimischen Wallbox mit 11 Kilowatt Leistung (rund zweieinhalb Stunden). Anders als der Technikspender Tesla Model S gibt es keine 22 kW- oder gar Gleichstromoption. Mit der Kombination aus der maximalen Ladeleistung von 11 kW Wechselstrom und der von uns durchschnittlichen erzielbaren Reichweite von circa 120 Kilometern im Range Plus-Modus ist dieser Stromer lediglich für die erweiterte Pendeltour und die Stadtfahrt, jedoch kaum oder nicht für die Autobahn geeignet.

Nach Auskunft einer Daimler-Sprecherin zeigt der Bordcomputer den Stromverbrauch nicht erst ab Batterie, wie es einige Wettbewerber tun, sondern für das komplette Bordsystem an. Dieser Mercedes ist also ein Stück ehrlicher als die Konkurrenz. Sparsamer ist er nicht, im Gegenteil: Der Wert lag im Mittel bei 28 Kilowattstunden pro 100 Kilometer, was nicht nur weit mehr als die Werksangabe von 16,6 kWh (Vergleich e-Golf: 12,7 kWh) ist, sondern sogar unsere Ergebnisse von mehreren Tests mit dem Tesla Model S [7] (21,6 bis 25,2 kWh pro 100 km) übertrifft.

Sogar ein Tesla Model S ist sparsamer

Es ist mutmaßlich die Kombination mehrerer Faktoren, die hier negativ ins Kontor schlagen. Neben der hohen Silhouette und den unnötig breiten Reifen [8] – die hatten zuletzt bei einem Volkswagen Golf GTE [9] ihren Tribut gefordert – dürfte das viel zu hohe Gewicht von knapp 1,8 Tonnen (Fahrzeugschein: 1790 kg, zum Vergleich VW e-Golf [10] 1585 kg, BMW i3 1195 kg) und das Einsatzprofil für den hohen Stromkonsum sein. Im Citychaos auf kurzen Strecken waren mehr als 30 kWh nötig, und den Bestwert von 23,8 kWh erreichten wir auf einer 76 Kilometer langen simulierten Arbeitsfahrt von der Hamburger Innenstadt über die Zubringerstraßen ins ländliche Rade (62 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit) und zurück. Und nein, wir haben zwar die Klimaautomatik durchgehend auf 21 Grad gestellt gehabt, sind aber selten geheizt. Lockeres Cruisen passt besser zum Mercedes.

Seine im Vergleich zu BMW, VW oder Nissan höhere Batteriekapazität kann der Mercedes B-Klasse Electric Drive nicht in einen größeren Alltagsnutzen umsetzen. Was bleibt, ist wie bei den meisten anderen Akku-Autos ein höchst angenehmer Begleiter für die häufigen Strecken zum Job, zum Einkauf oder mit den Kindern zum Sport. Eine eigene Lademöglichkeit ist allerdings eine wichtige Voraussetzung für die entspannte Nutzung. Und am Kleingeld darf es ebenfalls nicht fehlen – über 40.000 Euro sind eine Menge Holz.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Ausfahrt-im-VW-e-Golf-Geladener-Bestseller-2293958.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Nissan-Leaf-im-Test-Der-mit-dem-e-Golf-tanzt-2093937.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Kia-Soul-EV-im-Fahrbericht-2408592.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Die-aufgewertete-B-Klasse-ueberzeugt-im-ersten-Fahreindruck-2430414.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Range-Extender-mit-Stern-1349112.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Daimler-baut-ab-2014-Brennstoffzellenautos-in-Grossserie-1254967.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-Stromschnellste-2063319.html
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-gedrehte-Latsch-1885968.html
[9] https://www.heise.de/autos/artikel/Unterwegs-im-Volkswagen-Golf-GTE-2517468.html
[10] https://www.heise.de/autos/artikel/Ausfahrt-im-VW-e-Golf-Geladener-Bestseller-2293958.html