Volkswagens vergessenes Kind

VW E-Golf im Rückspiegel des ID.3

Das große Paradoxon: Der VW E-Golf gehört immer noch zu den besten kaufbaren Elektroautos. Dennoch kauft ihn kaum jemand. Viele wissen nicht einmal, dass es ihn gibt.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Rückblick ins Jahr 2013. Volkswagen stellte den E-Up vor. Der Wagen mit seiner Gestaltung aus der guten alten Braun-Design-Schule gefiel mir von Anfang an. Über die Jahre stellte sich zudem heraus: Er altert sehr würdig. Volkswagen hatte jedoch auch beim E-Antrieb auf Anhieb sehr viel richtig gemacht. Reichweite kostet Geld, wenn sie aus einer großen Batterie kommen muss, weil der Wagen viel Strom verbraucht.

Deshalb setzten Wolfsburgs Ingenieure auf einen sehr effizient zu fahrenden Antrieb mit einstellbarer Rekuperation. Wer sich nur ein bisschen auskannte, konnte mit dem E-Up beeindruckend niedrige Verbräuche herausfahren, für die in vielen Konkurrenzmodellen deutlich mehr Aufmerksamkeit erforderlich war – wenn man sie überhaupt erreichen konnte. Dass Volkswagen die damit mögliche kleinere Batterie nicht in einen besseren Preis umsetzen konnte, brach dem E-Up letztlich das Genick für alle Zielgruppen außer einigen Flottenkunden. 26.900 Euro standen in der Preisliste, in der ein Benziner-Up bei unter 10.000 losging.

Fahnen tragen für den Golf

Doch der E-Up (Test) war nur ein Fahnenträger für das Auto, mit dem Volkswagen wirklich alles zeigen wollte, was sie schon damals in Sachen elektrische Antriebe drauf hatten: den VW E-Golf (Test), der wenige Monate später erschien. Wo der E-Up sehr gute Verbräuche ermöglichte, sorgte der E-Golf in vielen Bereichen automatisch dafür. Er bezog zum Beispiel die Navigations-Straßendaten wie Kurvenradien und Höhendaten mit ein, um die bestmögliche Rekuperation einzustellen. Zusätzlich konnte der Fahrer weiterhin per Hebel die Rekuperation steuern, was bis heute nicht jeder E-Auto-Hersteller anbietet. Selbst Elektro-Neulinge erfreuten sich daher von Anfang an guter Verbrauchswerte.

Der E-Golf pushte auch den CCS-Stecker (Combined Charging System), auf den sich die europäischen Autohersteller als Schnelllade-Standardstecksystem geeinigt hatten. Die meisten E-Golf-Käufer bestellten ihn. Die maximale Ladeleistung gab VW damals mit (aufgerundeten) 50 kW an. Das war damals die Leistung, die Schnelllader an der Autobahn üblicherweise maximal lieferten. Mehr brauchte das Auto auch nicht, denn damit lud der E-Golf in rund einer halben Stunde auf 80 Prozent. Die reale Ladeleistung beträgt dabei bis 75 % SoC stets über 40 kW.

Diese Zeit kommt heraus, weil die Batterie nur in etwa so groß war wie die des ersten Nissan Leaf (Test) von 2010: 24,4 kWh brutto, 21,2 kWh netto. Trotz seiner guten Verbrauchswerte stieß Volkswagen hier auf dasselbe Problem wie Nissan: die Unnachgiebigkeit der Physik. Wer dauerhaft schneller fuhr, wie es auf der Autobahn passiert, der plant bei 21 kWh besser nur gute 100 km Reichweite ein. Das wurde schon in vielen Pendeln-plus-Einkaufen-Szenarios zu knapp. Selbst wenn es im Neuzustand gereicht hätte: Wie sah es nach einigen Jahren bei leichter Akku-Degradierung aus? Reichweitenangst überwog.

Geschwisterliebe

Volkswagen hatte E-Up und E-Golf so ausgelegt, dass die Werke diese Autos auf denselben Bändern bauen konnten wie die Geschwistermodelle mit anderen Antrieben mit Benzin, Diesel und Erdgas. Das sollte Kosten sparen, doch die Ersparnis kam nie beim Kunden an. Die Auslegung sorgte aber auch dafür, dass die Batterie nicht den Raum einnehmen konnte, den sie für eine einfache Konstruktion gebraucht hätte. Sie musste nehmen, was an Raum da war. Sie steckte wie ein T mit Querstrich (also ein symmetrisches F) in den Hohlräumen von Tank und Mitteltunnel. Zum Vergleich: Wer vom Reißbrett an einen E-Antrieb plant, der setzt die Batterie meistens schwerpunktgünstig flächig in die Mitte zwischen die Räder (“Skateboard-Chassis“). So eine Flexibilität leistete sich Volkswagen erst zum VW ID.3.

Der E-Golf war kein Verkaufserfolg. Schwer zu sagen, woran das lag. Wahrscheinlich an vielem. Es lief kaum irgendwo Werbung für ihn, obwohl es zum E-Up einige Kampagnen für jüngeres Publikum auf Youtube und Co. gab. Es kannte ihn also kaum jemand. Dazu kam, dass nur Experten ihn ERkannten: Er sah bis auf wenige Gestaltungsdetails genauso aus wie die Verbrenner-Varianten des Golf. Wer einen elektrischen Golf vorbeisirren hörte, dachte wahrscheinlich zuerst an einen Prototypen, so selten gab es ihn auf freier Fahrbahn. Während in den sozialen Medien die Elektro-Pioniere auf die deutsche Autoindustrie schimpften, die ihrer Ansicht nach einen Paradigmenwechsel „verschlief“, gab es gleichzeitig deutsche Autos, die niemand überhaupt kannte, geschweige denn kaufte. Es war eine absurde Situation, an der die zweite Generation des E-Golf wenig änderte.

Neufehlstart

Das 2017 erschienene Update des E-Golf (Test) baute die Stärken des ersten E-Golf weiter aus. Dieses Auto zu fahren war (und ist) so, wie von einem Elektro-Experten zur optimalen Fahrweise für einen Elektro-Antrieb gecoacht zu werden. Wer überholt und dann vom Pedal geht, rollt frei ohne Rekuperation dahin, weil das am effizientesten Strecke macht. Wer jedoch auf einen Kreisverkehr zurollt, dem schaltet der E-Golf eine leichte elektrische Bremswirkung auf, genauso wie beim Bergabfahren – aber nur, wenn die erlaubte Geschwindigkeit überschritten wird. Die nun dichter gepackten Lithium-Zellen kamen auf 35,8 kWh brutto (31,5 kWh netto) Kapazität. Das reichte für meistens gut 200 km oder wenigstens 150 km Autobahn. Der E-Golf hätte damit für viele Kunden ein passendes erstes E-Auto sein können. Er wurde es aber auch diesmal nicht.

Gläserne Paläste

Diesmal lag es nicht nur daran, dass vom E-Golf niemand wusste. Die PR-Abteilungen kommunizierten besser, dass es einen elektrischen Golf in der Palette gab. Vielleicht hatte sich auch endlich herumgesprochen, dass der E-Golf ein gutes Auto ist. Auf jeden Fall ging eine etwas erfreulichere Anzahl an Bestellungen ein. Nur leider konnte Volkswagen nicht liefern. Die Gläserne Manufaktur in Dresden fertigte den Wagen. Wo früher Phaetons vom Band liefen, sollte nun der E-Golf zeigen, in welche Richtung sich der Konzern entwickelt. Doch die Gläserne Manufaktur schaffte nur unzureichende Mengen. Die Lieferzeiten stiegen ins Absurde. 2018 sorgte eine zweite Schicht in Dresden für deutlich mehr Auslieferungen. Doch zusammen mit den Wartezeiten ergab sich die Zwickmühle, dass die Händler sagten: „Wenn du sowieso über ein Jahr warten musst, dann warte doch noch etwas länger auf den ID.3.“ Das taten viele.

Jetzt können Kunden den ID.3 bestellen. Der E-Golf gerät damit wieder in Vergessenheit. Genau deswegen geben Händler jedoch häufig erhebliche Rabatte auf den Kaufpreis oder bieten geringe Leasing-Raten an. Am Ende seiner Produktzeit bleibt der E-Golf eines der besten und für Kunden interessantesten Elektroautos. Er kommt nämlich endlich in dem Preisbereich an, in den er gehört.