Volkswagens vergessenes Kind

VW E-Golf im Rückspiegel des ID.3

Das große Paradoxon: Der VW E-Golf gehört immer noch zu den besten kaufbaren Elektroautos. Dennoch kauft ihn kaum jemand. Viele wissen nicht einmal, dass es ihn gibt.

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Rückblick ins Jahr 2013. Volkswagen stellte den E-Up vor. Der Wagen mit seiner Gestaltung aus der guten alten Braun-Design-Schule gefiel mir von Anfang an. Über die Jahre stellte sich zudem heraus: Er altert sehr würdig. Volkswagen hatte jedoch auch beim E-Antrieb auf Anhieb sehr viel richtig gemacht. Reichweite kostet Geld, wenn sie aus einer großen Batterie kommen muss, weil der Wagen viel Strom verbraucht.

Deshalb setzten Wolfsburgs Ingenieure auf einen sehr effizient zu fahrenden Antrieb mit einstellbarer Rekuperation. Wer sich nur ein bisschen auskannte, konnte mit dem E-Up beeindruckend niedrige Verbräuche herausfahren, für die in vielen Konkurrenzmodellen deutlich mehr Aufmerksamkeit erforderlich war – wenn man sie überhaupt erreichen konnte. Dass Volkswagen die damit mögliche kleinere Batterie nicht in einen besseren Preis umsetzen konnte, brach dem E-Up letztlich das Genick für alle Zielgruppen außer einigen Flottenkunden. 26.900 Euro standen in der Preisliste, in der ein Benziner-Up bei unter 10.000 losging.

Fahnen tragen für den Golf

Doch der E-Up (Test) war nur ein Fahnenträger für das Auto, mit dem Volkswagen wirklich alles zeigen wollte, was sie schon damals in Sachen elektrische Antriebe drauf hatten: den VW E-Golf (Test), der wenige Monate später erschien. Wo der E-Up sehr gute Verbräuche ermöglichte, sorgte der E-Golf in vielen Bereichen automatisch dafür. Er bezog zum Beispiel die Navigations-Straßendaten wie Kurvenradien und Höhendaten mit ein, um die bestmögliche Rekuperation einzustellen. Zusätzlich konnte der Fahrer weiterhin per Hebel die Rekuperation steuern, was bis heute nicht jeder E-Auto-Hersteller anbietet. Selbst Elektro-Neulinge erfreuten sich daher von Anfang an guter Verbrauchswerte.

Der E-Golf pushte auch den CCS-Stecker (Combined Charging System), auf den sich die europäischen Autohersteller als Schnelllade-Standardstecksystem geeinigt hatten. Die meisten E-Golf-Käufer bestellten ihn. Die maximale Ladeleistung gab VW damals mit (aufgerundeten) 50 kW an. Das war damals die Leistung, die Schnelllader an der Autobahn üblicherweise maximal lieferten. Mehr brauchte das Auto auch nicht, denn damit lud der E-Golf in rund einer halben Stunde auf 80 Prozent. Die reale Ladeleistung beträgt dabei bis 75 % SoC stets über 40 kW.

Diese Zeit kommt heraus, weil die Batterie nur in etwa so groß war wie die des ersten Nissan Leaf (Test) von 2010: 24,4 kWh brutto, 21,2 kWh netto. Trotz seiner guten Verbrauchswerte stieß Volkswagen hier auf dasselbe Problem wie Nissan: die Unnachgiebigkeit der Physik. Wer dauerhaft schneller fuhr, wie es auf der Autobahn passiert, der plant bei 21 kWh besser nur gute 100 km Reichweite ein. Das wurde schon in vielen Pendeln-plus-Einkaufen-Szenarios zu knapp. Selbst wenn es im Neuzustand gereicht hätte: Wie sah es nach einigen Jahren bei leichter Akku-Degradierung aus? Reichweitenangst überwog.

Geschwisterliebe

Volkswagen hatte E-Up und E-Golf so ausgelegt, dass die Werke diese Autos auf denselben Bändern bauen konnten wie die Geschwistermodelle mit anderen Antrieben mit Benzin, Diesel und Erdgas. Das sollte Kosten sparen, doch die Ersparnis kam nie beim Kunden an. Die Auslegung sorgte aber auch dafür, dass die Batterie nicht den Raum einnehmen konnte, den sie für eine einfache Konstruktion gebraucht hätte. Sie musste nehmen, was an Raum da war. Sie steckte wie ein T mit Querstrich (also ein symmetrisches F) in den Hohlräumen von Tank und Mitteltunnel. Zum Vergleich: Wer vom Reißbrett an einen E-Antrieb plant, der setzt die Batterie meistens schwerpunktgünstig flächig in die Mitte zwischen die Räder (“Skateboard-Chassis“). So eine Flexibilität leistete sich Volkswagen erst zum VW ID.3.