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Die Modemaschine Ducati Scrambler gefahren

Verrührte Kultur

Motorrad Clemens Gleich
Zweirad

Außer den einfachen und bodenständigen Motorrädern aus Japan rufen auch immer mehr Fahrer nach Maschinen, die sind wie eine gemachte Gebrauchte: ein Schätzchen, das gut fährt. Auftritt Ducati Scrambler

Sie ist die ungewöhnlichste Ducati in Jahrzehnten. Sie ist die richtige Ducati für diese Zeit. Ducati hat es selbst intern gemerkt: Ihr Bestreben, stets an der Spitze der Technik zu arbeiten, bringt längst nicht mehr den Erfolg, den es vor 15 Jahren brachte. Die Monster, früher das kleine, leichte, simple Einsteigerkrad, kostet heute fünfstellig. Und an beiden Fronten Superbike und Supertourer ficht Ducati mit BMW darum, wer am meisten Technik in seine Motorräder stopfen kann. Doch die immer teureren Superbikes haben immer weniger Anteil am Gesamtumsatz. Stattdessen verkaufen sich mutige Neuprojekte wie Multistrada 1200 oder Diavel vom Start an gut. Warum also nicht ein lecht retroides Liebhaberkraftrad entwickeln?

Also gut: Ein eigens abgestelltes Team legte Astroturf-Kunstrasen in ein Büro, hängte Seventies-Bilder an die Wand, ließ sich Schnurrbärte wachsen und landete schließlich beim Projekt ein modernes Motorrad zu bauen, das so wäre, als hätte Ducati die Scrambler von Ende der Sechziger bis heute durchgängig angeboten. Es wurde ein Motorrad einerseits für die neuen Fahrer, die aus einer Modeströmung kommen: Bart, Campinggeschirr, Kaffeemaschine, cooles Retrokraftrad. Andererseits freuen sich auch alle über die Scrambler, denen in der ewigen Aufrüstung der ursprüngliche Spaß der Einspurfortbewegung verloren ging. BMW brachte in diesen Markt die R nineT [1]. Ducati ging einen Schritt weiter und brachte mit der Scrambler ein vergleichbar cooles, liebenswertes Motorrad, aber für über 6000 Euro weniger: Die neue Einsteiger-Ducati fängt in rot bei 8390 Euro an. Im hier gezeigten Gelb kostet sie 100 Euro mehr.

Werbung wirkt

Aus der Sicht der Neunzigerjahre betrachtet, kriegt man dafür einen heruntergetakteten 796-Motor mit Einzeldrosselklappe und mechanischem Einzelgaszug, dem oben heraus spürbar die Luft ausgeht bei 75 PS Nennleistung. Dazu kommen ein paar hübsche Details. Aber die Neunziger sind vorbei. Die meisten von uns haben festgestellt, dass 1000er-Superbikes abseits der Rennstrecke sehr frustrierend sein können, weil sie so deutlich zeigen, wie schlecht wir fahren. Dabei soll es doch beim Motorradfahren um Spaß gehen. Genau den bringt die Ducati. Andere bieten andere günstige Motorräder an, die mindestens genauso viel Spaß machen. Aber die Scrambler zelebriert den Spaß, wie es unter den Neuen sonst nur die Ninette tut. <- Schon dieser Satz zeigt, dass auch die Werbung von BMW und Ducati Wirkung zeigt, denn ich habe die wunderbare Honda CB 1100 [2] hier komplett vergessen.

Wie die Honda oder die BMW lebt auch die Scrambler von tollen Details: Der Reflektor der Lampe vorne ist aus Aluminium, und die Scheibe aus Glas. Der übliche Werkstoff für beides ist Plastik. Der Einzelseilzug zum Gas ist als Zitat der alten Scrambler aus den Siebzigern schick in Szene gesetzt. Der Tank ist aus Stahlblech, mit austauschbaren Alu-Zierblechen an den Seiten. Den Ausgleichsbehälter der Vorderradbremse gießt Ducati aus Alu statt aufs funktional gleichwertige Urindöschen-Design mit Plastikbecherchen zurückzugreifen. Es gibt Varianten mit echten Schutzblechen aus gebürstetem Alublech als Kotflügel (Scrambler Classic), auf Speichenrädern mit Alukranz stehend. Der luftgekühlte Motor schaut durch den offenen Rohrrahmen, und die Gehäuse der Steuer-Zahnriemen zum Ventiltrieb bestehen nicht wie bei der teureren Monster aus Plastik, sondern aus Gussalu mit schöner Zierschleifung.

Wie fährt das? Zum Glück für Ducati ziemlich genau so, wie man es sich anhand der Fotos vorstellt. Die Sitzposition ist locker obendrauf statt satt integriert wie bei der Monster. Die Gabel streckt sich in konservativ flachem Winkel nach vorne. Es erinnert mich tatsächlich etwas an die Yamaha SR 500, die damals unter ähnlichen Vorgaben an den Start ging: preisbewusst, liebevoll retro-gestaltet, konservative Geometrie. Und beide sollen Umbauer erfreuen. Bei der SR ist dieser Umstand eindeutig belegt. Bei der Scrambler hilft Ducati ab Werk nach: Jedes Teil jeder Variante passt an jede andere.

Der auffällig hohe Lenker passt zur Sitzposition, und die modischen Reifen haften viel besser, als ihre Flat-Track-Optik vermuten ließe. Ducati hat der Historie wegen auch ein Fotoshooting auf Dreck angeboten, wobei die Scrambler im Gelände so viel oder wenig kann wie jede andere Straßenmaschine auch. Wahrscheinlich jedoch wird ihr Name und ihre Reifengestaltung mehr ihrer Fahrer als die Monster dazu bringen, auch einmal den Asphalt zu verlassen, was mir eine erfreuliche Entwicklung scheint.

Alter Tourenfahrertrick: ABS abschalten

Schön wäre es, wenn man das ABS abschalten könnte, aber das ist wahrscheinlich ein bisschen Neunziger-Denke. Scrambler-Kunden wird es wenig stören, dass die Bremse auf losem Grund per ABS stellenweise außer Funktion gesetzt wird oder dass das Fahrwerk dort gern durchschlägt. Alter Tourenfahrertrick: Ein Burnout auf Dreck kostet kaum Reifen und zwingt das ABS in die automatische Abschaltung. Die Scrambler schaltet danach noch ihre Motorwarnleuchte ein, kappt aber nach erstem Probieren die Leistung zumindest bis zur Mitte nicht spürbar. Geht.

Den luftgekühlten, liegenden 90°-V2-Motor von Ducati mag ich in allen seinen Varianten. Diese hier wurde auf eine fleischige Mitte und beste Manieren abgestimmt, was dem Konzept sehr gut tut. 75 PS oben heraus reichen, und dort, wo die meisten die meiste Zeit fahren, hat er Dampf. Der Motor ist die Gegenthese zum ultrakurzhubigen Panigale-V2, der mit Kolben von Überbierdeckelfläche nur noch flattert und daher Drehzahlen verlangt wie ein Vierzylinder. Es hat mich verwundert, dass Ducati auf ein E-Gas verzichtet, aber auch erfreut. Denn wenn ich ehrlich bin, fand ich Ducatis E-Gas in der Hypermotard und der Monster weniger gut als die Konkurrenz oder sogar die Seilzuglösungen vorher, und vielleicht sah das jemand bei Ducati genauso und konnte gleichzeitig den Gaszug als Seventies-Zitat verargumentieren.

Übers Fahrwerk möchte ich als Fahrer dieser Schaukelpferd-Duke sagen: Ja, ist vorhanden; ja, funktioniert. Es ist zwar eher einfach aufgebaut, aber gekonnt auf Fahrzeugart und Bereifung abgestimmt. Einzustellen gibt es nichts, was ich genauso gemacht hätte. Denn normalerweise gibt es entweder Einsteller, an denen zu viele Kunden ihr Fahrwerk bemerkenswert gefährlich drehten oder solche, die (um genau das zu vermeiden) über den weitesten Einstellbereich keine Dämpfungsunterschiede machten. Dann lieber one damping fits all. Ist auch billiger. Irgendwo muss Ducat ja sparen, und in der Dämpfung sieht es keiner.

Hass und Liebe

Zu hassen gibt es an der Scrambler wenig. Wer sucht, kann mal versuchen, so ein Tank-Seitenblech zu montieren (die Schraube ist hinter dem geklebten Logo). Ansonsten sind Schläuche, Kästen und Kabel weitestgehend schön verstaut. Ein paar Plastikteile werden manchen missfallen, mich als KTM-Plastikmotorradfahrer stört sowas nicht. In Kalifornien muss die Scrambler mit einem Aktivkohlebehälter an der Tankentlüftung fahren, zu dem Ducati keinen Verstauversuch unternommen hat. Ab 2016 mit Euro 4 wird das auch in Europa so kommen, und dort wie hier kann und sollte man dieses Teil sofort demontieren. Der Gewinn für die Umwelt aus verringertem Fahrwiderstand hebt den minimalen Nutzen dieses Teils auf, und die Tat schützt alle Umstehen vor Schockerblindung.

Ducati reitet auf dieser Hipster-Modewelle, als gäbe es morgen keine Bärte mehr, was anstrengend sein kann. Darunter soll jedoch nicht dieses kleine Motorrad leiden. Es tut alles, was wir von einem Kraftrad verlangen: Es bringt Freude ins Herz. Beim Fahren. Beim Stehen. Beim einfach nur Besitzen. Und sogar, wenn man keine will: Es ist schön, dass es sie gibt.


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[1] https://www.heise.de/news/The-Soulful-Dynamics-2094655.html
[2] https://www.heise.de/news/news_1827100.html