Toter Mann
Im Kampf gegen drohende Fahrverbote einfach nur auf Zeit zu spielen, ist eine riskante Strategie.
Die Tage werden kürzer, daher will ich im heutigen Blogeintrag schnell zur Pointe kommen: Hannover wird keinen neuen Luftreinhaltungsplan vorlegen.
Sie verstehen den Witz nicht? Ok, das war vielleicht doch ein wenig kurz.
Der Reihe nach: Hannover gehört zu den mehr als 60 Städten, in denen die mittlere Stickoxid-Belastung dauerhaft über dem EU-Grenzwert liegt. Die Deutsche Umwelthilfe will die zuständigen Behörden dieser Städte per Klage zwingen, Diesel-Fahrverbote zu verhängen, um so unter die Grenzwerte zu kommen. Prominentestes Beispiel ist Stuttgart – das dortige Verwaltungsgericht hatte die Landesregierung im September dazu verdonnert Fahrverbote einzuführen. Der Fall landet im Februar 2018 vor dem Bundesverwaltungsgericht.
In Hannover ist die Situation noch nicht so zugespitzt. Bereits im Mai wollte die seit 2016 amtierende Ampelregierung deshalb einen aktualisierten Luftreinhalteplan vorlegen. Ein Maßnahmenkatalog, in dem dargelegt wird, wie die Schadstoffbelastung in den kommenden Jahren schrittweise gesenkt werden soll, um Fahrverbote zu vermeiden. Mit all den Dingen, die in diesem Zusammenhang gerne zitiert werden: Einer weiteren Elektrifizierung des öffentlichen Nahverkehrs und der Taxi-Flotte, besseren Ampelschaltungen für weniger Staus und mehr fließendem Verkehr, einem Ausbau von Park and Ride und so weiter.
Die Veröffentlichung dieses Plans wurde allerdings immer wieder verschoben: Bis kurz vor die Sommerpause, nach der Sommerpause, vor der Landtagswahl, nach der Landtagswahl – bis jetzt. Am 16. Oktober, ein Tag nach der Landtagwahl in Niedersachsen, hieß es plötzlich: Es wird keinen Plan mehr geben. Kurzfristig wirksame Maßnahmen zur Minderung der Stickoxid-Emission gäbe es einfach nicht. Fun Fact: Die Umweltdezernentin der Stadt Hannover ist Mitglied der Grünen.
Was auf den ersten Blick aussieht wie eine komplette Bankrotterklärung der Umweltdezernentin, ist es natürlich nicht. Es handelt sich vielmehr um eine kreative Anwendung des chinesischen Prinzips des "Wu Wei", des "Handelns durch Nicht-Handeln". Das klingt nicht nur ungeheuer clever, es könnte sogar funktionieren. Denn wer sagt denn, dass die Grenzwerte für Stickoxide auf Dauer tatsächlich Bestand haben? Manche Probleme erledigen sich einfach durch Warten.
Sicher, es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, dazu, aber was sind schon ein paar tausend zusätzliche Tote gegen das Schicksal der deutschen Autoindustrie. Im übrigen scheint die Strategie des passiv-aggressiven Aussitzens in der EU ja gerade eh schwer in Mode zu sein: Ob Gewaltenteilung, Pressefreiheit oder der Schutz von Bürgerkriegsflüchtlingen: Dass es geltendes Recht gibt, heißt für eine wachsende Zahl von EU-Mitgliedstaaten ja nicht, dass sie sich daran halten müssen.
Das ist alllerdings nicht ohne Risiko. Denn zum einen kann es ziemlich lange dauern, auf europäischer Ebene etwas zu bewegen. Es besteht also durchaus die Gefahr, dass die Justiz schneller ist, und zumindest einzelne Städte oder Landesregierungen tatsächlich zu Fahrverboten zwingt.
Zum anderen aber wird die Konkurrenz außerhalb Europas nicht schlafen. Sich dauerhaft darauf zu verlassen, dass es zum individuellen PKW mit Verbrennungsmotor auch mittelfristig keine technische Alternative geben wird, halte ich für naiv. Wenn die deutsche Autoindustrie der Versuchung nachgibt, sich einfach auf erfolgreiche Lobby-Arbeit zu verlassen, könnte das schnell dazu führen, dass sie auf der Standspur der Geschichte landet. Der Ausdruck "Toter Mann spielen" könnte dann rasch eine völlig neue Bedeutung gewinnen. (wst)