Rette sich, wer kann

Mit einer Computersimulation wollen Wissenschaftler das Verhalten von Menschenmassen in Paniksituationen analysieren. Die Ergebnisse sollen die Konstruktion von besseren Fluchtwegen ermöglichen.

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Der Druck einer panisch fliehenden Menschenmasse kann Stahlbarrieren verbiegen oder Mauern niederreißen. Eine `Stampede´ verwandelt eine Ansammlung harmloser Mitmenschen in eine zerstörerische Naturgewalt. Deutsche und ungarische Wissenschaftler haben ein Computer-Modell entwickelt, das wertvolle Rückschlüsse auf die Konstruktion von Evakuierungsplänen und Fluchtwegen ermöglichen soll. Dirk Helbing, Illés Farkas und Tamás Vicsek veröffentlichten ihre Arbeit jetzt in der britischen Fachzeitschrift Nature [1|#lit].

Obwohl naturgemäß wenig empirisches Material über das Verhalten von Menschenmassen in Paniksituationen vorliegt, kann man dennoch typische Kennzeichen einer solchen Situation angeben: Die Menschen versuchen sich schneller als gewöhnlich zu bewegen; sie beginnen, einander zu berühren und zu stoßen; bewegen sich unkoordiniert auf Ausgänge oder Engstellen zu oder durch sie hindurch. Dabei entstehen Staus, die körperlichen Interaktionen nehmen zu. Menschen können umfallen und so ebenso zu einem Hindernis werden, das zu neuen Staus führt.

Panische Flucht aus einem mit Rauch gefüllten Raum: In unübersichtlichen Situationen folgen Menschen einer Art `Herdentrieb´. Auch wenn zwei Ausgänge vorhanden sind, staut sich die Masse oftmals an einem Fluchtweg.

Ingenieure und Sicherheitsfachleute haben bisher meist versucht, Verkehrsströme in Analogie zu strömenden Flüssigkeiten zu betrachten - dieser Ansatz kann jedoch das individuelle Verhalten einzelner Menschen nicht berücksichtigen. Die rasant angewachsene Rechenkapazität der letzten zwanzig Jahre ermöglicht mittlerweile auch die Simulation der Bewegung vieler `Individuen´. Dass sich die Bewegung von schwarmartigen Gruppen aus relativ simplen Regeln für unabhängige Individuen ableiten lässt, hat Craig Reynolds zum ersten Mal 1986 gezeigt [2|#lit]. Die Regeln, denen die Schwarmwesen folgten, waren recht simpel: Bewege dich in die Richtung, in die sich deine Nachbarn bewegen. Versuche dich der Geschwindigkeit deiner Nachbarn anzupassen und stoße nicht mit ihnen zusammen.

Helbing und Kollegen berechnen mit einem ähnlichen, aber differenzierteren Ansatz für jedes Individuum die Bewegungsgleichung aller simulierten Individuen: Die Gleichung geht davon aus, dass eine Menge von Menschen mit einem bestimmten Gewicht mit einer bestimmten Geschwindigkeit in eine bestimmte Richtung gehen will und dabei dazu neigt, sich an die Geschwindigkeit ihrer Nachbarn innerhalb einer charakteristischen Zeit anzupassen. Gleichzeitig versuchen die `Modellmenschen´ zu den anderen und zu Mauern oder zu Hindernissen eine geschwindigkeitsabhängige Distanz einzuhalten; ein Verhalten, dass die Wissenschaftler über gegenseitige `Wechselwirkungskräfte´ modellieren.

Aufgrund der Simulationen kamen die Wissenschaftler zu viel versprechenden Ergebnissen [3|#lit]: Sie konnten zeigen, dass eine Menschenmenge in Panik allein aufgrund der höheren Bewegungsgeschwindigkeit an `Flaschenhälsen´, wie etwa Notausgängen, einen Stau verursacht. Mit normaler Geschwindigkeit hätte die Menge das Hindernis dagegen problemlos passieren können.

Die Wissenschaftler wollen aus den Simulationen ableiten, wie man etwa Ausgänge in Gebäuden so anlegen könnte, dass sich die Gefahr von Staus und Panik reduzieren lässt. So würden etwa Säulen, die man zufällig vor Ausgängen verteilt, die Geschwindigkeit und Verdichtung der Menge herabsetzen und so die Staugefahr vermindern. Allerdings sind die Simulationen aufgrund des einfachen Modells nicht unbedingt realistisch. Die Wissenschaftler sagen zwar, dass sie damit viele beobachtete Phänomene reproduzieren konnten, bitten aber um die Zusendung von Daten oder Videos von Paniksituationen beim Verlassen von Räumen oder Gebäuden, um mit diesen das Modell quantitativ überprüfen zu können. (wst)

[1] Dirk Helbing, Illés Farkas und Tamás Vicsek, Simulating dynamical features of escape panic, Nature Vol. 407, 28. September 2000, S. 487

[2] http://www.red3d.com/cwr/boids/

[3] http://angel.elte.hu/~panic (wst)