Fundamentale Weichenstellung: EuGH-Urteil ĂĽber Sampling in der Musikproduktion

Produzenten bewegen sich beim Sampling im urheberrechtlichen Graubereich. Der Europäische Gerichtshofs beurteilte nun die Verwendung von Musikausschnitten.

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Was das Urteil des EuGH fĂĽr die Produktion von Musik bedeutet

(Bild: Pixabay, OpenClipart-Vectors)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Joerg Heidrich
  • Dr. Henrike Maier
Inhaltsverzeichnis

Für die Beteiligten geht es wohl vor allem ums Prestige, für die Musikwelt aber um eine fundamentale Weichenstellung: Seit 20 Jahren streiten sich Mitglieder der Elektro-Pioniere Kraftwerk mit dem Produzenten Moses Pelham vor Gericht. Letzterer hatte eine markante, zwei Sekunden lange Sequenz aus dem Kraftwerk-Song „Metall auf Metall“ für den von ihm produzierten Titel „Nur mir“ von Sabrina Setlur verwendet. Die Sequenz wird im Song fortlaufend wiederholt und bildet als Loop das rhythmische Grundgerüst. Die Kraftwerk-Mitglieder stören sich vor allem daran, dass Pelham nicht um Erlaubnis gefragt hatte, bevor er die Sequenz einbaute.

Inhaltlich geht es bei der Auseinandersetzung also um die grundsätzliche Frage, inwieweit man Teile von fremden Songs für eigene Projekte benutzen darf und vor allem, ob man beim Schöpfer beziehungsweise dem „Tonträgerhersteller“ als Rechteinhaber eine Erlaubnis oder eine kostenpflichtige Lizenz einholen muss.

Pelham und die Kraftwerk-Mitglieder gingen über die Jahre durch viele Instanzen – alleine der Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigt sich derzeit zum dritten Mal mit dem Fall. Im Juni 2017 hatte das oberste deutsche Gericht dazu dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Fragen zu einer Verletzung der Rechte des Tonträgerherstellers durch Sampling vorgelegt. In den Fragen geht es um mögliche Auslegungen der EU-Urheberrechtsrichtlinie in der noch gültigen Version aus dem Jahre 2001 (2001/29/EG).

Der EuGH (Urteil vom 29.07.2019 – C-476/17) kommt zunächst zum Ergebnis, dass die Weiterverwendung eines – auch nur sehr kurzen – Audiofragments grundsätzlich als eine urheberrechtlich relevante Vervielfältigung anzusehen ist. Daher kann ausschließlich der Tonträgerhersteller bestimmen, ob diese Nutzung erlaubt ist – er muss also befragt und auf Wunsch auch entlohnt werden. Die gesetzlichen Vorgaben sollen dem EuGH zufolge ein hohes Schutzniveau für das Urheberrecht gewährleisten. Sie dienen demnach dem Ziel, finanzielle Investitionen des Tonträgerherstellers zu schützen.

Beim Musik-Sampling gibt es jedoch nach der Entscheidung des EuGH zwei Ausnahmen von der harten Regel. Die erste liegt dann vor, wenn ein Künstler „in Ausübung der Kunstfreiheit einem Tonträger ein Audiofragment“ entnimmt, um es in „geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form in einem neuen Werk zu nutzen“. Dann nämlich liege keine Vervielfältigung vor, sodass der Künstler grundsätzlich auch ohne Zustimmung und Vergütung mit dem Sample arbeiten darf. Ergo: Erstellt also der Künstler ein Sample und macht es zum Teil eines neuen Audiowerks, so darf er das, wenn er das Fragment so verwendet, dass das Original im neuen Werk nicht erkennbar ist.

Doch wie genau bestimmt sich diese „Nichterkennbarkeit“ und wer entscheidet darüber? Der EuGH erläutert diesen wichtigen Punkt in seiner Entscheidung nicht und scheint die nähere Prüfung den nationalen Gerichten überlassen zu wollen. Offen bleibt auch, ob die Beurteilung einem Hörer obliegen soll, der das genutzte fremde Werk ebenfalls kennt und gar Musikprofi ist – oder ob es sich bei diesem Hörer um einen „Durchschnittshörer“ handelt, sodass auch ein Gericht aus eigener Anschauung und Sachkunde entscheiden kann.

Wie erwähnt erkennt der EuGH noch eine zweite Möglichkeit für die Verwendung fremder Werkteile ohne Erlaubnis an: das Zitat. Es kommt dann in Betracht, wenn das verwendete Fragment beim Hören des neuen Werks eindeutig wiedererkennbar ist. Beim Zitat im rechtlichen Sinn muss laut EuGH die Nutzung „den anständigen Gepflogenheiten“ entsprechen und „in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt“ sein.

Die Nutzung für Zitate dürfe daher nicht die Grenzen dessen überschreiten, was „zur Erreichung des mit dem fraglichen Zitat verfolgten Ziels erforderlich ist“. Dieses Ziel könne darin liegen, „Aussagen zu erläutern, eine Meinung zu verteidigen oder eine geistige Auseinandersetzung zwischen dem Werk und den Aussagen des Nutzers zu ermöglichen“. Entscheidend sei, dass der Nutzer eines geschützten Werks das Ziel verfolgen muss, mit diesem Werk zu interagieren. An diesen Passagen wird deutlich, dass das Zitatrecht eigentlich auf Textpassagen gemünzt und hier notdürftig auf Musik übertragen ist.

Es spricht auf Basis des EuGH-Urteils immerhin einiges dafür, dass die Voraussetzungen für das „künstlerische Interagieren“ nicht allzu hoch anzusetzen sind. Hierfür spricht schon, dass das Gericht Sampeln klar als Kunstform anerkennt, sodass die erforderliche Interaktion regelmäßig gegeben sein wird.

Der Produzent Moses Pelham sieht sich vom EuGH bestätigt: „Musik braucht die künstlerische Auseinandersetzung mit anderen Werken.“

(Bild: Uli Deck/dpa)

Im vorliegenden Fall von „Metall auf Metall“ hatte der BGH in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2017 übrigens klargestellt, dass Pelhams Verwendung des Kraftwerk-Beats den Ansprüchen an ein Musikzitat nicht genügt: „Erforderlich ist aber auch in einem solchen Fall, dass die Hörer das Musikzitat als fremden Bestandteil erkennen können“, woran es beim verwendeten Kraftwerk-Fragment fehle. Maßgeblich ist demnach, ob der Hörer das Sample erkennen und der Originalquelle zuordnen kann.

In „Nur mir“ hat Pelham das Kraftwerk-Sample unter anderem dem Tempo und der Tonart des Songs angepasst – eine in der Musikproduktion meist notwendige Technik, bei der das Sample aber nicht unkenntlich gemacht wird. Zu klären wäre nun, ob solche üblichen Anpassungen bei einem Musikzitat künftig erlaubt sind oder ob das Sample unverändert übernommen werden muss.

Dieses 2,2 Sekunden lange Sample verwendete Moses Pelham, ohne Kraftwerk um Erlaubnis zu fragen.

Das EuGH-Urteil enthält noch ein weiteres praxisrelevantes Detail: Wer zitiert, muss die Quelle angeben – soweit dies möglich ist. Das gilt auch bei der offenen Nutzung von Samples. Doch wann und wo genau muss bei der Verwendung fremder Audiosequenzen in welchem Umfang die Quelle angegeben werden? Packt man das Ergebnis auf einen Datenträger wie CD oder Vinyl, so mag man dort ja einen Platz für derartige Angaben finden. Was aber ist bei der Verbreitung von Songs über Streaming-Dienste? Schwierig könnte es zuweilen werden, überhaupt herauszufinden, wer die Rechte an dem gesampelten Abschnitt hält – vor allem, wenn bereits die vermeintliche Quelle Samples eingebaut hat.

Quasi im Vorübergehen erklärt der EuGH dann auch noch die sogenannte „freie Benutzung“ aus Paragraf 24 des deutschen Urheberrechtsgesetzes (UrhG) für europarechtswidrig. Dieser erlaubt etwa die freie Nutzung von Fotos für Kollagen, schließt eine freie Verwendung von Melodien aber explizit aus. Unter diese Regelung fielen bislang solche Fälle, bei denen aus einer Kombination von geschützten Werken etwas Neues entsteht.

Die „freie Benutzung“ ist im vorliegenden Rechtsstreit sehr umstritten. 2016 etwa kassierte das Bundesverfassungsgericht ein Urteil des BGH in der Metall-auf-Metall-Sache, weil dieser den Paragrafen 24 zu eng ausgelegt und Pelham die Nutzung des Kraftwerk-Samples untersagt hatte. Das Verfassungsgericht sah jedoch eine künstlerische Auseinandersetzung von Pelham mit dem Kraftwerk-Sample und stellte fest, dass das Sample als freie Benutzung erlaubt sein könnte.

Diese Ausnahme des deutschen Rechts ist jedoch nach Ansicht des EuGH nicht mit den in den europäischen Vorgaben enthaltenen Ausnahmebestimmungen vereinbar und stelle daher eine unzulässige Beschränkung der Rechte der Tonträgerhersteller dar. Deshalb muss nun die freie Benutzung nach Paragraf 24 ersetzt werden durch die europäisch vorgesehenen Regelungen für ausnahmsweise gesetzlich erlaubte Nutzungen fremder Werke.

Für Musiker führt die Entscheidung des EuGH bis zur Klärung der offenen Fragen nur begrenzt zu mehr Rechtssicherheit. Das Gericht hat zwei Möglichkeiten für die Nutzung von fremden Sequenzen ohne Erlaubnis des Rechteinhabers vorgegeben.

Erlaubt ist sie zum einen, wenn das Sample „in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form“ in einem neuen musikalischen Werk verwendet wird. Alternativ kann sie auch unter das Zitatrecht fallen, wenn das übernommene Audiosegment „beim Hören des neuen Werks wiedererkennbar ist“. Allerdings muss „die Nutzung zum Ziel haben, mit dem Werk, dem das Audiofragment entnommen wurde, zu interagieren“. Zudem muss in diesem Fall das Zitat durch einen Quellennachweis gekennzeichnet werden, was im Audiobereich zu erheblichen Problemen führen kann. Von einem „Recht auf Remix“ und einem Freibrief für neue kreative Prozesse ist die Entscheidung noch weit entfernt.

Dennoch sieht sich Produzent Pelham bestätigt: „Die Entscheidung ist eine wichtige Stärkung der Kunstfreiheit“, kommentierte er das EuGH-Urteil. Und: „Musik braucht die künstlerische Auseinandersetzung mit anderen Werken.“ Im konkreten Fall von „Metall auf Metall“ hat nun erneut der BGH zu entscheiden. Drei Möglichkeiten stehen zur Wahl: Entweder hat Pelham das Kraftwerk-Sample durch seine Bearbeitung unkenntlich gemacht oder er hat den Beat rechtskonform zitiert – was wegen der fehlenden Quellenangabe kaum der Fall sein dürfte. Verlieren würde er sicher, wenn die Richter entscheiden, dass seine Bearbeitung eine unzulässige Veränderung eine Musikzitats ist – dann würden die Kraftwerk-Mitglieder Recht behalten.

Joerg Heidrich ist Justiziar von Heise Medien und Rechtsanwalt in Hannover. Die Juristin Dr. Henrike Maier forscht zum Thema deutsches, europäisches und U.S.-amerikanisches Urheber- und Medienrecht und promovierte zum Thema Remixe auf Hosting-Plattformen.


Dieser Beitrag stammt aus c't 18/2019
(hob)