100 Jahre Weihnachtskonzert – die erste Rundfunksendung Deutschlands

Seite 2: Musikalische Postangestellte

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Die für Telegrafie brauchbaren Löschfunken- und Knallfunkensender waren für Sprach-, Musikübertragung gar, ungeeignet, erst mit den damals modernen Lichtbogensendern standen ausreichend stabile und störarme Gerätschaften zur Verfügung, deren Trägerfrequenz sich vom analogen Audiosignal modulieren ließ. Ab dem Juni 1920 versuchten die Techniker, durch von Bredow ermuntert, in Funkpausen über den Sender vom Grammophon gespielte Musik zu übertragen – offensichtlich erfolgreich.

So versammelten sich am 22. Dezember 1920 musikalische Postangestellte direkt im Gebäude des eigentlichen Senders – ein Aufnahmestudio gab es nicht. Auf dem Programm standen "Stille Nacht, heilige Nacht" und andere Weihnachtslieder, der Hochzeitsmarsch aus Wagners "Lohengrin" – als Zugabe intonierten die Postler Luthers "Ein feste Burg ist unser Gott".

Über den 5-Kilowatt-Langwellensender auf der Frequenz 85,7 Kilohertz erreichte die Darbietung der Laienmusiker vom Funkerberg große Teile Europas, der Sender deckte einen Radius von rund 1500 Kilometern ab. Aus Luxemburg, Holland, Bosnien, England, Schweden und anderen Ländern kamen Empfangsbestätigungen. Auch in Deutschland dürften einige Bastler an ihren Detektorempfängern der einstündigen Darbietung gelauscht haben, hüteten sich aber vor schriftlichen Belegen ihres Tuns. Denn der als Folge des verlorenen Ersten Weltkriegs ausgehandelte Versailler Vertrag verbot den Deutschen das Hören von Funksignalen, nur Reichspostler hatten die Lizenz zum Lauschen – im Gegensatz zu den Postlern im Sender. Die funkten schwarz – was offenkundig folgenlos blieb.

Nach der geglückten Bescherung folgten weitere Versuche, schließlich hoben die Siegermächte das Empfangsverbot für Deutschland auf und 1923 begann dann der Rundfunk legal – und gebührenpflichtig. Der Funkerberg lag nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR. Deren "Deutsche Post" übernahm die Anlagen 1949 – über sie sendete man die Rundfunkprogramme der DDR. Nach der Wiedervereinigung 1990 betrieb die Telekom die Anlagen und legte sie 1997 still.

In Nicht-Seuchen-Zeiten führt das Museum durch die erhaltenen Gebäude. Ein ursprünglich zur Stromversorgung genutztes Dieselaggregat ist ebenso funktionsfähig wie ein Nachbau des Lichtbogensenders – der jetzt auf 150 Kilohertz funkt. Zum 2016 vom Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) als Meilenstein der Technikgeschichte gewürdigten Jahrestag, also am 22. Dezember um 14 Uhr, überträgt der Funkerberg wieder ein Weihnachtskonzert (Empfangsmöglichkeiten finden Sie hier).

Einen direkten Live-Stream gibt es nicht, wer kein Kurzwellenradio hat, findet unter http://kiwisdr.com/public/ nach Klick auf "KiwiSDR Map" aber eine Karte mit Kurzwellenempfängern, die das Signal ins Netz leiten. Standorte in Europa sollten das Konzert vom Funkerberg aufschnappen können. Das erste Hörfunkprogramm des Bayerischen Rundfunks erklingt am selben Tag von 8 bis 9 Uhr im 1920er-Retro-Sound – eine Woche lang ist diese Sendung auf dessen Internetseite abrufbar.

Am 22. Dezember erklingt das erste Hörfunkprogramm des Bayerischen Rundfunks von 8 bis 9 Uhr im 1920er-Retro-Sound.

(Bild: BR)

Im Museum Funkerberg finden Besucher auch ein Modell der vollständigen früheren Sendeanlage – samt der "Chile"-Antenne, die an ein unrühmliches Kapitel der Geschichte der damaligen Bundesrepublik erinnert. Nach dem 1973 vom US-Geheimdienst CIA angezettelten Militärputsch in Chile, dem eine folternde und mordende Junta folgte, flohen viele Chilenen. Die BRD gewährte den wenigsten Asyl – anders als die DDR, die viele Flüchtlinge aufnahm. Sie versorgten vom Funkerberg aus mit einer auf Chile gerichteten Kurzwellenantenne die Heimat mit Informationen.

(kbe)