25 Jahre Grim Fandango: LucasArts’ letzter Tanz​

1998 wagte LucasArts, die einstige Hochburg des 2D-Adventures, erstmals den Schritt in die Welt der 3D-Abenteuer. Es hätte viel schlimmer kommen können.​

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Lesezeit: 15 Min.
Von
  • Paul Kautz
Inhaltsverzeichnis

1998 war eines der besten Spielejahre überhaupt. Es brachte zeitlose Klassiker wie "StarCraft", "Tekken 3", "Resident Evil 2", "Unreal", "Fallout 2" oder "Half-Life" hervor. Und dennoch ernannte das populäre Spielemagazin Gamespot in diesem Jahr keinen dieser Meilensteine zu ihrem "Game of the Year" – stattdessen durfte sich "Grim Fandango" diesen Titel aufs Haupt packen (zusammen mit "The Legend of Zelda: Ocarina of Time", da Gamespot diese Auszeichnung für PCs und Konsolen getrennt vergab). Ein Adventure! Ein denkwürdiges Ereignis, das in der aktuell 27-jährigen Geschichte des amerikanischen Magazins bislang einzigartig blieb – genauso einzigartig, wie "Grim Fandango" noch bis heute ist.

Der Fandango ist ein spanischer Volkstanz, eine Spielart des Flamenco, traditionell im Dreivierteltakt, der vermutlich im 17. Jahrhundert seinen Anfang nahm und mittlerweile ganz offiziell als ein nationales Kulturgut Spaniens gilt. Mit dem Spiel hat er aber kaum etwas zu tun. Was auch daran liegt, dass dieser Titel erst sehr spät offiziell wurde: Laut Chefdesigner Tim Schafer standen vorher Namen wie "The Last Siesta" oder "Deeds of the Dead" im Raum, bevor man sich schlussendlich auf "Grim Fandango" einigte – was vor allem daran lag, dass die LucasArts-Chefetage kein Spiel auf den Markt bringen wollte, das den Tod im Titel hat. Auch wenn anfangs keiner verstand, welchen Sinn dieser Name eigentlich ergeben sollte.

Im Nachhinein passt er aber wie die Primel in das Skelett, denn so wie der Fandango von der katholischen Kirche einst als "gottloser Tanz" gebrandmarkt wurde, so trägt auch das Spiel leicht ketzerische Züge: So war es erste Lucas-Abenteuer seit dem 1987er "Maniac Mansion", das nicht auf eine Variante des damals ins Leben gerufenen "SCUMM"-Systems setzt – dem "Script Creation Utility for Maniac Mansion", der revolutionären Game-Engine, die das moderne Point&Click-Adventure überhaupt erst möglich machte. Stattdessen kam hier erstmals die brandneue "GrimE"-Engine zum Einsatz, eine Mischung aus der Hochlevel-Skriptsprache "Lua" und einer erweiterten Variante der "Sith"-3D-Engine, die im 1997 erschienenen "Jedi Knight" ihren Erstauftritt hatte.

Es gab hier kein mausbasiertes Point&Click mehr, stattdessen wurde Held Manny Calavera per Tastatur durch die vorgerenderten Räume gejagt – und das auch noch mit einer an die "Resident Evil"-Spiele erinnernden Panzersteuerung! Und "Grim Fandango" war das erste Adventure der Firma, das mit einem für die damaligen Verhältnisse gigantischen Budget von etwa drei Millionen US-Dollar entwickelt wurde. Oder anders ausgedrückt: Das war seinerzeit ein sehr kontroverses Spiel!

Manny Calavera ist der Held von “Grim Fandango”, der frisch Verstorbenen bequeme Reisen ins Jenseits verkaufen soll.

(Bild: Paul Kautz)

Dass "Grim Fandango" überhaupt existieren durfte, verdankte es "Full Throttle", der 1995 veröffentlichten und hierzulande unter dem Namen "Vollgas" bekannten und deutlich klassischeren LucasArts-Pointnclickerei. Sie stammte ebenfalls aus den Händen von Tim Schafer und verkaufte sich als erstes Adventure der Firma mehr als eine Million Mal. Tim Schafer, der bereits seit 1989 bei der Firma angestellt war und dort für Spiele wie "Day of the Tentacle" oder die ersten beiden Teile der "Monkey Island"-Reihe mitverantwortlich zeichnete, genoss deswegen eine Zeit lang so etwas wie Narrenfreiheit, wie er selbst einräumte. Was ihm die Möglichkeit gab, ein Projekt in die Tat umzusetzen, das er schon lange nahe am Herzen trug: Ein Abenteuer, das sich um die Welt der Toten drehte.

Einen ersten Vorgeschmack darauf, wie Tim sich das vorstellte, durften sich Spieler bereits im 1997er "The Curse of Monkey Island" abholen: Denn in Blondbarts Hühnerrestaurant auf Plunder Island saß ein sehr schweigsamer, da sehr toter Besucher am Tisch, der einen "Ask Me About Grim Fandango"-Button trug – ein fröhlicher kleiner Verweis auf den Piraten "Cobb" im allerersten "The Secret of Monkey Island"-Spiel (1990). Was zu diesem Zeitpunkt aber nur wenige Leute geahnt haben dürften war, welche Unmengen an Film Noir Tim Schafer damals gesehen und wie viele Romane von Autoren wie Raymond Chandler und Dashiell Hammett er gelesen hatte. Denn ein Großteil der dreijährigen Entwicklungszeit von "Grim Fandango" ging für die Ausarbeitung des ungewöhnlichen Szenarios drauf, das deutlich von Filmen wie "Casablanca" (1942), "Tote schlafen fest" (1946) oder "Frau ohne Gewissen" (1944) inspiriert war.

Diese für die damalige Zeit noch ungewöhnlich lange Entwicklungsphase hätte auch locker noch länger sein können. Laut Schafer wurde selbst die Veröffentlichung am 30. Oktober 1998 nur mit Ach und Krach gehalten. Das ist auch der Grund dafür, dass sich die zweite Hälfte des Spiels, also die Kapitel Drei und Vier, etwas gehetzt und weniger verspielt anfühlen als das, was vorher kommt.

Worum geht’s hier überhaupt? Der Spieler schlüpft in die Haut bzw. das Skelett von Manuel "Manny" Calavera, einem Nachwuchs-Sensenmann im "Department of Death" (das in der deutschen Fassung sensationell in "Dienststelle Organisierter Diplomsenser" übersetzt wurde). Seine Aufgabe es ist, frisch Verstorbenen möglichst teure Reisen ins "Reich der Ewigen Ruhe" zu verhökern. Denn die Seelenwanderung dauert normalerweise vier Jahre – doch war man im Leben vor dem Tode eine gute Person, lässt sich diese Zeit über eine Fahrt mit dem legendären Expresszug Nummer 9 auf gerade mal vier Minuten verkürzen. Bald kommt Manny einer gigantischen Verschwörung der Toten auf die Spur.

Manny Calavera ist der Held von “Grim Fandango”, der frisch Verstorbenen bequeme Reisen ins Jenseits verkaufen soll.

Das Ganze klingt jetzt erst mal düster und ernsthaft, und das ist es zu einem gewissen Grad auch. Aber gleichzeitig ist es ein Tim-Schafer-Spiel – und der Mann hat einen sehr bizarren Humor. Und so bekommt man es in "Grim Fandango" nicht nur mit Mord, Entführung, Diebstahl und gebrochen Knochenherzen zu tun, sondern auch mit flammenden Dämonenbibern. Und mit einer Bombe, die entschärft wird, indem man von einem Elementargeist erbrochenen Glibber mit Eisspray einfriert, oder einem Skelett-Tätowierstudio, oder Abenteuern auf einer Katzenrennbahn, auf der man unter anderem in einem gigantischen Futterbottich nach einem Metalldetektor suchen muss. Ganz zu schweigen von den seltenen Ausflügen in die Welt der Lebenden, die in einem absolut bizarr-abstrahierten Scherenschnittstil dargestellt ist. Und Manny selbst mag im Berufsleben aussehen wie der grimm’ge Schnitter, aber man stellt schnell fest, dass er unter seiner schwarzen Kutte ziemlich hohe Stelzen trägt. Es gibt hier also mehr als genug zu lachen. Aber der Humor ist, passend zum Szenario, oftmals sehr schwarz.